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Interview: Antisemitismus in Deutschland: „Die rote Linie ist überschritten“

Interview: Antisemitismus in Deutschland: „Die rote Linie ist überschritten“

Interview: Antisemitismus in Deutschland: „Die rote Linie ist überschritten“

Vizedirektor des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles Rabbi Abraham Cooper (l.) mit Begleitern Collin McMahon und Daniel Schuster zum Interview über Antisemitismus (mit Redakteur Moritz Schwarz) zu Besuch in der Berliner Redaktion der Jungen Freiheit: „Deutschland muß junge Moslems deprogrammieren“, Quelle: JF
Vizedirektor des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles Rabbi Abraham Cooper (l.) mit Begleitern Collin McMahon und Daniel Schuster zum Interview über Antisemitismus (mit Redakteur Moritz Schwarz) zu Besuch in der Berliner Redaktion der Jungen Freiheit: „Deutschland muß junge Moslems deprogrammieren“, Quelle: JF
Abraham Cooper (l.) mit Begleitern zum Interview über Antisemitismus (mit Redakteur M. Schwarz) zu Besuch in der JF-Redaktion: „Deutschland muß junge Moslems deprogrammieren“, Quelle: JF
Interview
 

Antisemitismus in Deutschland: „Die rote Linie ist überschritten“

Den Deutschen ist das wahre Ausmaß ihres Antisemitismus-Problems nicht bewußt, meint Rabbi Abraham Cooper. Um das zu ändern ist der Vizedirektor und Mitgründer des amerikanischen Simon-Wiesenthal-Centers nach Berlin gekommen – und steht der JF Rede und Antwort.
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Herr Dr. Cooper, was können wir tun, um für das Interview mit Ihnen nicht öffentlich des Antisemitismus bezichtigt zu werden?

Abraham Cooper: Wieso? Ich verstehe nicht.

Wir auch nicht. Aber so ist die Lage in Deutschland.

Cooper: Wovon bitte reden Sie?

Als wir zuletzt hier einer jüdischen Stimme Raum gegeben haben – dem Dramatiker Iddo Netanjahu, Bruder des israelischen Ministerpräsidenten – warf uns die Tageszeitung „Die Welt“ daraufhin „schändlichen Antisemitismus“ vor. Daher nochmal die Frage: Was können wir tun, um nicht auch für Ihr Interview so angegriffen zu werden?  

Cooper: Nun, ich habe Ihr Interview mit Bibis Bruder nicht gelesen, und ich kann mich nicht zu Dingen äußern, von denen ich nichts weiß.

Völlig verständlich, und das alles muß auf Sie irre wirken – uns geht es da allerdings nicht anders. Daher die Bitte an Sie als Fachmann, das für uns zu deuten. 

Cooper: Hören Sie, ich weiß nicht, was es damit auf sich hat. Aber seien Sie gewiß: Wenn wir jemanden des Antisemitismus beschuldigendann weiß derjenige genau warum. 

„Wir meinen, dieser Antisemitismus-Beauftragte sollte sein Amt nicht bekleiden“

Zum Beispiel? Etwa der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume – sind Sie wegen ihm nach Deutschland gekommen?

Cooper: Nein, aber sollte er bei unseren Gesprächen hier zum Thema werden, haben wir keine Scheu, unsere Kritik an ihm zu bekräftigen. 

Sie werfen ihm seit 2021 Antisemitismus vor, weil er „in sozialen Netzwerken Vergleiche der Nazis mit Israel und dem Zionismus“ gelikt und geteilt habe. 

Cooper: Wir meinen nach wie vor, er sollte dieses Amt nicht bekleiden. Tatsächlich aber haben wir sehr viel wichtigere Themen auf dem Herzen. 

„Wäre ich die Hamas, würde ich die deutsche Asylpolitik ausnutzen“

Nämlich? 

Cooper: Lassen Sie mich etwas ausholen: Als unser Zentrum bei seiner Gründung 1977 von Simon Wiesenthal die Erlaubnis erhielt, seinen Namen tragen zu dürfen, geschah das unter der Voraussetzung, daß wir seinem Beispiel folgen würden. Das heißt, nicht nur Nazi-Kriegsverbrecher bis zum Ende ihres Lebens zu jagen, um sie der Gerechtigkeit zuzuführen sowie Wächter wider das Vergessen zu sein, sondern auch sonst aktivistisch zu wirken.

Wir sind also keine wissenschaftliche Forschungseinrichtung und nicht nur ein Museum, sondern eine – streng überparteiliche! – politische Bildungseinrichtung, wir organisieren etwa Wanderausstellungen, Vorträge oder Fortbildungen. Auch haben wir siebzehn Dokumentarfilme produziert, von denen zwei sogar den Oscar erhalten haben.

Unsere neueste Produktion „Hört nie auf zu träumen. Leben und Vermächtnis von Shimon Peres“ können Sie übrigens auf deutsch aktuell bei Netflix sehen. Doch auch das ist noch nicht alles. Wir sind auch eine Menschenrechtsorganisation und stolz darauf, zu deren Verbreitung in der Welt beizutragen, ebenso wie – zumindest zu einem kleinen Teil – zum Friedensprozeß zwischen Israel und den Golfstaaten.

Aber was ist nun Ihr Anliegen in Deutschland?

Cooper: Sehen Sie, der Terror vom 7. Oktober hat zum Glück die Sichtweise vieler Regierungen auf die Hamas verändert. Auch in Deutschland wird deren Präsenz nun mit Besorgnis gesehen – ebenso wie die der Hisbollah, hinter der die den Holocaust leugnende Regierung des Irans steht. Zwar sind, wie ich glaube, die deutschen Innenbehörden sehr effizient, doch pflegt Deutschland ja eine erstaunlich offene Politik gegenüber Asylsuchenden. Nun, wäre ich bei der Hamas, ich würde das ausnutzen.

Doch ob nun Hamas- und Hisbollah-Mitglieder in Deutschland oder hiesige politische Gruppen, die diese unterstützen, bis hin zu Vertretern aus dem akademischen Bereich: Was wir beobachten müssen, ist die Übernahme und Verbreitung von Hamas-Narrativen, die so in den politischen Diskurs geschleust werden – leider auch bei Ihnen in Deutschland.

Ebenso aber in Frankreich, Großbritannien und anderen europäischen Ländern, ebenso wie in den USA, Kanada oder Australien. Also, zu glauben, daß das, was wir am 7. Oktober erleben mußten, sei nur ein Problem Israels und weit entfernt von uns in Europa und Amerika, ist ein fataler Irrtum! 

Warum? 

Cooper: Weil das Einsickern der Hamas und ihrer Narrative in den westlichen Ländern genauso deren Sicherheit und Lebensqualität bedroht.

„Das FBI sollte diese Vorfälle nicht länger als Haßverbrechen einstufen, sondern als Terrorismus“

Islamismus und Terrorismus sind zweifellos auch für uns eine Gefahr, zuletzt wurde im Dezember der deutsche Tourist Collin-Christian B., 24, auf offener Straße in Paris ermordet, um ein „Zeichen“ gegen den Gaza-Krieg zu setzen. Aber dennoch ist der arabisch-israelische Konflikt doch kein arabisch-europäischer. 

Cooper: Wir sollten uns klarmachen, was leider selbst die Vereinten Nationen noch nicht verstanden haben: Der Terror und der Krieg in Gaza sind nicht nur eine weitere „Runde“ in einem Ringkampf zwischen israelischer Armee und Hamas. Nein, die Bresche, die diese am 7. Oktober geschlagen hat, reicht weit über jene hinaus, die sie in die israelischen Grenzzäune gestoßen hat.

Zum Beispiel Großbritannien, wo seitdem die antisemitischen Vorfälle um 1.350 Prozent angestiegen sind! Und das, obwohl die Offiziellen, wie der Bürgermeister Londons, mit sehr guten öffentlichen Worten versucht haben, dagegenzuwirken. Doch zugleich hatte man Demonstrationen erlaubt, auf denen etwa zu Hakenkreuzen entstellte Davidsterne gezeigt wurden. Und die selbst in der Nähe jüdischer Einrichtungen stattfinden durften – was für die Menschen dort absolut beängstigend war!

Oder die USA: Erstmals haben wir eine geradezu konzertiert wirkende Aktion selbst an den besten Universitäten des Landes erlebt, in deren Folge es jüdische Studenten nicht mehr wagten, ihr Wohnheim zu verlassen, weil sie beschimpft und Opfer von Haßverbrechen wurden und man ihnen Gewalt androhte.

Dazu kommen Proteste in den Straßen, um den öffentlichen Raum zu besetzen, und selbst das Haus des Präsidenten des American Israel Public Affairs Committee wurde mit Rauchbomben angegriffen. Alles extrem verstörende Erfahrungen. Wir müssen gemeinsam erreichen, daß das FBI diese Vorfälle nicht länger als Haßverbrechen einstuft, sondern als Terrorismus!

Wozu aber Ihr Besuch in Deutschland?

Cooper: Wissen Sie, daß sich nach dem 7. Oktober in Ihrer Hauptstadt durchschnittlich fünf antisemitische Haßverbrechen pro Tag ereignet haben? Deutschland sieht sich dem für es relativ neuen Problem des Antisemitismus aus palästinensisch-islamischem Umfeld gegenüber. Der zudem lange verborgen wurde, da man Vorfälle, bei denen die Täter unklar waren, einfach dem Rechtsextremismus zuordnete. Dazu kommt, daß der Rechtsextremismus ja nicht abnimmt, im Gegenteil, sowie ein Antisemitismus von links. Deutschland steht also in mehrfacher Hinsicht vor dieser Herausforderung!

Und künftig muß es eine wachsende Zahl junger Moslems aufklären und bilden, die absolut keine Verbindung zur deutschen Geschichte haben sowie nicht das geringste Interesse an dem, was Juden hier einst erlitten haben, da sie zu Hause zum Haß auf uns erzogen wurden. Diese jungen Menschen müssen regelrecht deprogrammiert und ihnen vermittelt werden, wie essentiell der Holocaust für Deutschland ist.

Nach der Entscheidung Ihrer Kanzlerin, die Grenze für die Flüchtlinge zu öffnen, habe ich mehrfach Gespräche mit Vertreten des Bundesjustizministeriums geführt, bei denen ich vergeblich in Erfahrung zu bringen versuchte, wann und wie man denn der damit einhergehenden Stärkung des Antisemitismus begegnen wolle. Leider konnte man mir keine Antwort geben, weil man selbst nicht wußte, was beziehungsweise ob die Regierung überhaupt diesbezüglich etwas zu tun gedachte. 

„Keine Partei darf den Kampf gegen den Antisemitismus politisieren, das produziert nur mehr Antisemitismus“

Wo sehen Sie also das Hauptproblem in Sachen Antisemitismus hierzulande: auf der Rechten, der Linken, beim Islam oder beim Staat, der nicht reagiert? 

Cooper: Sicher, der Staat kann mehr tun, aber mit Polizei und Justiz allein läßt sich Antisemitismus nicht ausmerzen. Das kann nur die Gesellschaft, und dazu braucht es Konsens über die Parteigrenzen hinweg. Daher darf der Kampf gegen ihn nie von einer Partei allein besetzt werden, da es sich dann für die übrigen wie eine politische Niederlage anfühlt, sich an ihm zu beteiligen. Vielmehr müssen sich alle Seiten kritisch hinterfragen und ihren Teil der Schuld suchen, statt jeweils das andere Lager für das Erstarken des Antisemitismus verantwortlich zu machen. 

Ist aber nicht genau das in Deutschland der Fall? Sie haben selbst erwähnt, daß Vorfälle ohne klaren Täter der Rechten zugeschlagen wurden. Was ja kein Versehen war, sondern politische Absicht.

Cooper: Ich kann davor nur nachdrücklich warnen: Denn wenn eine Seite den Kampf gegen den Antisemitismus politisiert, produziert das am Ende sogar mehr Antisemitismus! Natürlich aber ist man nirgendwo, auch nicht beim Kampf gegen Antisemitismus, gegen Dummheit und Heuchelei gefeit. Das sollte aber die guten, ehrlichen Menschen, ob links, rechts oder in der Mitte, nicht beirren.    

Vermutlich haben Sie die Erfahrung gemacht, daß Ihre offiziellen deutschen Gesprächspartner großes Verständnis zeigen, Ihnen zustimmen und Versprechungen machen. Aber glauben Sie ihnen?

Cooper: Das hängt davon ab, welche Taten sie folgen lassen. Versprechen überzeugen nur, wenn sie auch Konsequenzen haben, wenn also etwas unternommen wird, das die Zahl der Fälle sinken läßt. 

Das Gegenteil ist in Deutschland der Fall.

Cooper: Um dem entgegenzuwirken bin ich hier. 

„Das betrifft jede Gesellschaft, mit relevantem Anteil an arabisch-islamischen Einwanderern“

Die Beteuerungen und Versprechen der deutschen Politik nach dem 7. Oktober haben wir alle schon seit dem 11. September 2001 x-mal gehört. Was aber ist seit damals passiert? Das Gegenteil: Islamismus und Antisemitismus haben zugenommen. Warum, glauben Sie, sollte sich das ausgerechnet nun ändern? 

Cooper: Nun, deshalb wollen wir künftig unseren Fokus von Paris nach Berlin verschieben, denn Deutschland ist in Europa immer noch das in vieler Hinsicht wichtigste Land. Zudem: Jüngst haben wir im Simon-Wiesenthal-Center eine 43minütige Dokumentation gezeigt – gegen die übrigens auf der Straße vor unserem Haus demonstriert wurde, auch das ist verstörend. Dieser Film besteht zum größten Teil aus Originalaufnahmen, die die Vergewaltiger und Mörder des 7. Oktober selbst gedreht haben. Als er zuvor in der Knesset, dem israelischen Parlament, vorgeführt wurde, sind einige Abgeordnete in Tränen ausgebrochen, manche gar ohnmächtig geworden!

Wie ich schon sagte, stellt der 7. Oktober das Überschreiten einer roten Linie dar – was jedem klarmachen müßte, daß es sich um ein Problem handelt, das jede Gesellschaft betrifft, die heute einen relevanten Anteil an Einwanderern aus dem arabischen, islamischen Kulturkreis hat. Und ich glaube, jeder Politiker, der das dennoch immer noch nicht verstanden hat, wird es spätestens dann begreifen, wenn er diesen Film sieht! Zumal, was künftig in solchen Ländern geschehen wird, sich nicht notwendigerweise immer nur gegen die Juden richtet. Wer weiß, wer beim nächsten Mal die Opfer sein werden? 

„Deutschland ist zum Magnet auch für schlechte Menschen geworden“

Unter den deutschen Juden gibt es zwei Lager: Das eine, fast völlig von den Medien ignoriert, meint, islamischer Antisemitismus könne nur gehemmt werden, wenn die Einwanderung massiv reduziert wird. Das andere, in den Medien sehr präsent, sagt dazu nein, die Lösung sei vielmehr, Einwanderer besser aufzuklären und auf unsere Werte zu verpflichten. Wer hat recht?  

Cooper: Nun, ich habe in den letzten Jahren viele führende Vertreter etwa aus Bahrain, den Emiraten, Indonesien, Indien etc. getroffen und erlebt, daß Koexistenz möglich ist. Was ebenso die Abraham-Deklaration beweist, zu der sich 2020 Israel und die USA gemeinsam mit den beiden eben genannten arabischen Staaten sowie Marokko und dem Sudan verpflichtet haben. Und ich glaube, auch unter den Palästinensern werden sich irgendwann die Vernünftigen durchsetzen, von denen es übrigens viele gibt. Denn sie werden sehen, daß die islamischen Länder, die mit uns kooperieren, prosperieren und sich dann fragen: Warum kann das nicht auch bei uns so sein? Man sollte also niemals Araber oder Moslems an sich dämonisieren!

Auf der anderen Seite aber kann man auch keine unkontrollierte Einwanderung zulassen. Es mag ja sein, daß die deutsche Entscheidung 2015 die richtige war, aber heute ist Deutschland zu einem Magneten auch für schlechte Menschen geworden. Doch das zu kritisieren bedeutet nicht, gegen Migration an sich zu sein.

Nehmen Sie die Amerikaner, die auch nicht gegen jede Einwanderung sind – wohl aber gegen illegale, die quasi jedermann erlaubt, ins Land zu kommen. Daher kann ich Deutschland nur raten, darauf zu achten, jene auszusieben, die gefährliche Ansichten ins Land bringen. Etwa bestimmte Imame, die hierherkommen und unkontrolliert Dinge predigen, die die Sicherheitsbehörden nicht mitbekommen und die hier weitere Imame ausbilden. Das muß enden und stattdessen muß es Ihnen gelingen, eine Art deutsche Version des Islam durchzusetzen!

Das bedeutet auch, wenn sich jemand weigert, mehr über den Holocaust zu erfahren, nicht zu sagen, gut, wir nehmen Rücksicht, sondern: Nein! Wir freuen uns zwar, daß du in Deutschland bist und deine Zukunft bei uns siehst – aber bitte stelle dich dem. Denn das ist es, was wir von dir unverhandelbar verlangen, um mit uns gemeinsam in Frieden zusammenzuleben.

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Dr. Abraham Cooper ist Mitgründer und Vizedirektor des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles sowie Vizevorsitzender der vom amerikanischen Präsidenten und dem Kongreß gemeinsam berufenen „United States Commission on International Religious Freedom“ (Kommission für die internationale Lage der Religionsfreiheit). Wiederholt führte das Nachrichtenmagazin Newsweek den 1950 in New York geborenen Ehrendoktor der Jeschiwa-Universität auf der Liste der fünfzig einflußreichsten US-Rabbis.

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Abraham Cooper (l.) mit Begleitern zum Interview über Antisemitismus (mit Redakteur M. Schwarz) zu Besuch in der JF-Redaktion: „Deutschland muß junge Moslems deprogrammieren“, Quelle: JF
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