Herr Dr. Netanjahu, eigentlich wollten Sie am Stand der JUNGEN FREIHEIT auf der Frankfurter Buchmesse Ihren Roman „Itamar K.“ vorstellen. Doch wegen des Hamas-Terrorangriffs konnten Sie nicht fliegen.
Iddo Netanjahu: Die Flüge wurden gestrichen. Hätte ich aber bei Kriegsausbruch nach Deutschland kommen können, hätte ich es getan, um für Israel zu sprechen – und nicht, um für mein Buch zu werben. Doch jetzt können wir per Skype reden.
Vor fünfzig Jahren haben Sie als Soldat im Jom-Kippur-Krieg gekämpft, zu dessen Beginn es für einen Moment so aussah, als könnte Israel besiegt und ausgelöscht werden. Eine Erfahrung, die seitdem als nationales Trauma gilt. Wie wird sich der Terror vom 7. Oktober in die Psyche Ihres Landes einschreiben?
Netanjahu: Die Kriege 1973 und 2023 sind sehr unterschiedlich. Damals griffen unsere Armee die regulären Streitkräfte Syriens und Ägyptens an. Diesmal wurde Israel von einer völkermordenden Gruppierung angegriffen, darauf aus, so viele Juden wie möglich abzuschlachten, auf die abscheulichste Weise, die man sich vorstellen kann. Was geschehen ist, hoffe ich, wird uns zu der Einsicht bringen, daß es eine Illusion war und bleibt, mit solch pathologischen Mördern Frieden zu schließen. Und ich hoffe, daß auch der Westen dies begreift – daß er begreift, daß dieser Anschlag ebenso gegen den Westen gerichtet war wie gegen Israel.
Inwiefern?
Netanjahu: Ultimatives Ziel der Moslembruderschaft und des radikalen iranischen Regimes – die Hamas ist nur deren Agent – ist, die islamische Welt zu erobern, zu beherrschen und den Westen zu besiegen. Das schmälert allerdings nicht ihren Wunsch, den jüdischen Staat zu vernichten. Sollten unsere Feinde je einen Krieg gewinnen, würden wir tatsächlich physisch ausgelöscht.
Ziel der radikalen Palästinenser war in den letzten hundert Jahren stets unsere Vernichtung. Was sie 1929 in Hebron mit der Ermordung der jüdischen Bevölkerung getan haben, ebenso wie zuvor und danach mit zahllosen Selbstmordattentaten, wahllosen Massenerschießungen, Raketenangriffen etc., ist schlicht Ausdruck dieses Wunsches. Allein seit den Osloer Verträgen 1993, die den Frieden bringen sollten, wurden so viele unschuldige jüdische Zivilisten ermordet wie bei dem jüngsten Anschlag vom 7. Oktober.
Iddo Netanjahu: „Durch den Terror verlieren die Linken noch mehr an Unterstützung“
Wird sich die politische Kultur in Israel – die Sie in Ihrem Roman als links beschreiben und kritisieren – unter dem Eindruck dieses Traumas wandeln?
Netanjahu: Das hoffe ich. Was ich in „Itamar K.“ unter anderem aufzeige, ist die fatale Freundlichkeit vieler Israeli gegenüber den palästinensischen Arabern, die diesen in ihrer Hoffnung auf Frieden naiv vertrauen. Wir haben ihnen ja sogar Waffen geliefert, die sie dann gegen uns gebraucht haben!
Tatsächlich ist Ihr Roman bereits 25 Jahre alt. Ist er heute denn wirklich noch aktuell?
Netanjahu: Mehr denn je. Natürlich wußte ich damals nicht, daß es einmal diesen 7. Oktober geben würde, doch hat dieser furchtbare Tag die Kritik, die ich darin zum Ausdruck gebracht habe, bestätigt.
Wie wird dieser von Ihnen erwartete Wandel der politischen Kultur Israels aussehen?
Netanjahu: Ich denke, der 7. Oktober hat geschafft, was meinem Roman leider nicht gelungen ist: vielen Israelis die Augen für die Realität zu öffnen, etwa daß der Frieden nicht kommt, nur weil man ihn sich wünscht oder man sich nett verhält.
Er schildert, wie der unpolitische Drehbuchautor Itamar Koller im Räderwerk des linken Kulturbetriebs zermahlen wird. Daß dieser bei uns links ist, ist erklärlich, da man sich im sicheren Europa Weltfremdheit leisten kann. Warum aber ist er das auch in Israel, das doch in steter Gefahr ist, ausgelöscht zu werden?
Netanjahu: Das war er in Israel schon lange vor Europa und zwar weil der hiesige Zionismus von Beginn an von einer progressiven, linken Elite dominiert wurde. Die Briten, die das Land nach 1918 kontrollierten, schränkten die jüdische Einwanderung zwar stark ein, erlaubten aber der Jewish Agency, Einwanderungsgenehmigungen zu erteilen – und die gab Juden mit linker Gesinnung den Vorzug. Konservative Juden waren so oft gezwungen, in Europa zu bleiben – wo sie der Holocaust weitgehend auslöschte.
So war die Bevölkerung bei Gründung des Staates Israel 1948, die damals nur aus einigen hunderttausend Menschen bestand, kein repräsentatives Abbild der zionistischen Bewegung insgesamt, sondern neigte nach links. Bereits zu dieser Zeit kontrollierte die Linke etliche Institutionen und Meinungsplattformen im Lande und konnte verhindern, daß andere relevanten Einfluß in Kultur, Fernsehen und vor allem an den Universitäten gewannen – die ja besonders großen Einfluß auf die Gestaltung der Gesellschaft haben.
„Sie reden von Moral und Menschenfreundlichkeit, sind aber verlogen, selbstgerecht und unbarmherzig“
Wie ist dann, obwohl Sie politisch rechts sind, Ihr Erfolg als Dramatiker zu erklären?
Netanjahu: Ich habe keinen Erfolg in Israel. Meine Stücke werden hier nicht aufgeführt – sondern im Ausland, unter anderem in New York am Off-Broadway, in ehemaligen Ländern des Ostblocks und anderswo. Mit einer Ausnahme: das Stück „A Happy End“ habe ich ohne meinen Namen bei einem Tel Aviver Theater eingereicht, das es mit großer Begeisterung aufnahm. Als dann aber meine Autorschaft doch bekannt wurde, ebbte die Begeisterung ab. Schließlich wurde es nur während eines Festivals an zwei Wochenenden gezeigt, und das war’s – Ende meiner Karriere als Dramatiker in Israel.
Itamar Koller, das sind also Sie selbst?
Netanjahu: Ich denke schon. Obwohl ich „Itamar K.“ schon Jahre bevor mir das passierte geschrieben habe. Ich wurde also zu ihm – so herum ist es wohl richtig. Was Itamar im Roman erlebt, geschieht aufgrund der nahezu totalen Kontrolle, die die Linke auf dem kulturellen, akademischen und medialen Feld erreicht hat. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich sehr von dem, was die Rechte anstrebt.
Inwiefern?
Netanjahu: Einem konservativen Universitätsprofessor, Chefredakteur, Theaterregisseur, Film- oder Fernsehchef sind die politischen Ansichten eines Studenten oder Mitarbeiters in der Regel egal, was zählt, sind Können und Leistung. Die Linke hingegen neigt dazu, Leute mit denselben Ansichten zu fördern. In „Itamar K.“ geht es unter anderem darum, zu zeigen, daß wir im Westen zwar in freien Gesellschaften – schließlich kommt niemand für eine abweichende Meinung ins Gefängnis –, aber gleichzeitig sehr kontrollierten Gesellschaften leben. Und sobald man, wie Itamar, etwas schaffen will, das nicht ins linke Schema paßt, läufst du Gefahr, daß deine Arbeit und du selbst zerstört wirst.
„Es ist wie damals in der Sowjetunion: Du kannst nicht beiseitestehen, du mußt mitmachen“
Was Ihr Buch tatsächlich aktuell macht, ist, daß all das nicht einem Rechten, sondern einem Unpolitischen passiert. Denn rechts durfte man in dieser Sphäre schon vor 25 Jahren nicht sein. Neu ist dagegen, daß man auch links sein muß, denn die alte Political Correctness verlangte „nur“: Halte dich an die linken Spielregeln! Die Wokeness dagegen fordert: Spiele nicht nur nach unseren Regeln, spiele für unsere Mannschaft!
Netanjahu: Eben, es ist wie in der Sowjetunion, man kann nicht abseitsstehen, man muß mitmachen! Übrigens waren an der Gründung Israels sehr viele Persönlichkeiten beteiligt, die bolschewistische Ansichten hatten, vor allem in der Kibbuz-Bewegung, und die dann einflußreiche Positionen in der Gesellschaft besetzten. Sie waren keine Stalinisten in dem Sinne, daß sie jemanden ins Lager sperren wollten, aber für sie war klar, daß es nur ein „Richtig“ gibt und andere Ansichten inakzeptabel sind.
Und das ändert sich nun mit dem 7. Oktober?
Netanjahu: Nein, viele Linke werden wohl an ihren Dogmen festhalten. Schon weil wahre Einsicht ihr Lebenswerk in Frage stellt. Was sich aber ändert, ist, daß immer weniger Israelis ihren Ideen glauben.“ Der Hamas-Terror hat bei vielen ein böses Erwachen ausgelöst: „Wie konnte ich nur so blind sein!“ hörte ich von einem bekannten linken Reporter. Was schon vor dem 7. Oktober begonnen hat, daß linker Kulturbetrieb, Medien, Akademiker etc. an Unterstützung verlieren, weil die Realität zeigt, wie falsch ihre Lehren sind, wird sich nun, nach dem was passiert ist, wahrscheinlich noch verstärken.
Matthias Matussek ist voll das Lobes über „Itamar K.“, das er „literarische Schmuggelware“ nennt: „Endlich eine Abwechslung zur notorisch linken israelischen Literatur, die sonst ins Deutsche übersetzt wird.“ Warum aber geschieht das erst jetzt, nach 25 Jahren?
Netanjahu: Sie meinen die Übersetzung ins Deutsche? Zugegeben, ich habe mich nie darum bemüht. Aber man hat das Buch wohl auch gar nicht wahrgenommen, weil es, wie meine anderen Werke, in Israel niedergemacht oder gar nicht thematisiert wurde. Mit einer Ausnahme, denn zu meiner Überraschung brachte damals die wichtige israelische Tageszeitung Haaretz eine positive Besprechung! Irgendwann gab es dann außer einer italienischen auch eine russische Ausgabe, die übrigens relativ erfolgreich ist.
Warum?
Netanjahu: Ich glaube, weil der Roman bei Menschen aus Rußland auf die Erfahrung mit einem unfreien Gesellschaftssystem trifft. Meine russischen Leser erkennen wohl etwas wieder, was viele noch selbst erlebt haben. Und von dort, also durch den Erfolg der russischen Ausgabe, ist „Itamar K.“ nun auch nach Deutschland gekommen.
„Der Kulturbetrieb ist korrumpiert, er hat sich an eine Ideologie prostituiert“
Der Titel erinnert an Franz Kafkas Josef K., die Hauptfigur in „Der Prozeß“. Zufall?
Netanjahu: Nein, natürlich nicht. Doch um ehrlich zu sein, kam der Bezug zu Kafka erst auf, als das Manuskript bereits fertig war. Ich hatte noch keinen Titel und dachte daran, es nach dem Protagonisten „Itamar Koller“ zu nennen. Dann sagte meine Frau, mit offensichtlicher Anspielung auf Kafka: „Wie wäre es mit ‘Itamar K.’?“ Die Haaretz erinnerte mein Buch dagegen eher an Orwells „1984“ als an Kafka. Ich meine, da liegt sie richtig.
Als Satire paßt Ihr Buch allerdings besser zu Kafka. „Der Prozeß“ ist zwar nicht lustig, aber dessen Absurdität scheint mitunter bei Ihnen durchzuschimmern.
Netanjahu: Ja, es hat etwas Kafkaeskes, wie Itamar sich in dieser irrealen Welt immer weiter verhakt, die stets von Moral und Menschenfreundlichkeit spricht, sich in Wahrheit aber verlogen, selbstgerecht und unbarmherzig zeigt. Übrigens war mir wichtig, diese Leute nicht als dumm oder untalentiert darzustellen, denn das sind sie nicht, im Gegenteil sogar! Aber ihre Begabung und ihr Intellekt sind korrumpiert, weil sie sich an eine Ideologie prostituieren.
Vor 25 Jahren haben Sie dem Roman, obwohl eine Satire, ein tragisches Ende gegeben. Wie würden Sie ihn heute enden lassen?
Netanjahu: Damals schien mir, daß es für einen wie Itamar schon keinen Platz mehr in Israel gab. Inzwischen aber haben sich die Dinge geändert, denn man kann Menschen nicht auf die Dauer unterdrücken – erst recht nicht seit dem Internet.
„Bei uns in Israel sind die Bürger nur früher aufgewacht als bei Ihnen in Deutschland“
Anders als in Deutschland gibt es in Israel trotz der linken Kulturhegemonie schon lange eine klare politische Mehrheit rechts. Warum?
Netanjahu: Weil bei uns schon früher einschneidende Ereignisse immer mehr Leute aufgeweckt haben. 1993 vertrauten die Israelis dem Versprechen eines Zwei-Staaten-Friedens, was immer wieder katastrophale Folgen hatte, bis hin zu den schrecklichen Ereignissen des 7. Oktober. Und jedesmal sind mehr Bürger aufgewacht.
Allerdings wird der rechten Regierung Ihres Bruders eben wegen des 7. Oktober das Ende vorhergesagt, sobald der Krieg und der politische Burgfriede vorbei sind.
Netanjahu: Wir werden sehen. Aber das ist im Moment keine wichtige Frage, alles was derzeit zählt, ist der Schutz Israels.
Kein israelischer Premier war so lange an der Macht wie Ihr Bruder. Warum hat er nicht mittels Kulturförderung eine konservative Gegenkulturindustrie aufgebaut?
Netanjahu: Weil es eine Art „Tiefen Staat“ gibt: die Bürokratie, und macht man gegen sie Politik, schaltet sie den Obersten Gerichtshof ein. Das ist es ja, was bis zum 7. Oktober die israelische Politik dominiert hat: die Auseinandersetzung über die Justizreform der Regierung, die im Grunde ein Kampf darum ist, wer die Politik in Israel tatsächlich kontrolliert. Aber es ist für uns überlebenswichtig, daß wir diesen Streit jetzt nicht aufrühren, sondern ruhen lassen – bis es uns gelungen ist, gemeinsam die Gefahr zu beseitigen, die uns nicht erst sei dem 7. Oktober so tödlich bedroht.
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Dr. Iddo Netanjahu. Der 1952 in Jerusalem geborene Schriftsteller ist der Sohn des Historikers und bedeutenden Zionisten Benzion Natanjahu und Bruder des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie des Nationalhelden Jonathan Netanjahu, der 1976 bei der von ihm kommandierten, damals sensationellen (und mehrfach verfilmten) Geiselbefreiung von Entebbe ums Leben kam. Vor seinem Erfolg als Dramatiker, dessen Stücke unter anderem in New York, Moskau oder St. Petersburg gespielt wurden, diente Iddo Netanjahu bei den Spezialkräften der israelischen Armee und machte Karriere als Radiologe. Nun ist im Gerhard-Hess-Verlag sein in Israel bereits 1998 veröffentlichter Roman „Itamar K.“ auf deutsch erschienen, der „ebenso im heutigen Deutschland spielen könnte“, so der Publizist Michael Klonovsky, „eine Satire, grotesk, bitter, aber rasend komisch“. Die Ausgabe ergänzt der Essay „Der Selbsthass der Mandarine“ zum Thema des Romans aus der Feder des Publizisten und jüdischen AfD-Politikers Artur Abramovych, der auch die Übersetzung erledigte.
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