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Augstein in den Top Ten

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Im deutschen Feuilleton brummten diese Woche die Kommentarspalten. Den Anlaß hatte das in Los Angeles residierende Simon-Wiesenthal-Center (SWC) geliefert. Pünktlich zum Jahreswechsel gab es seine übliche Liste der Top-Ten-Antisemiten des Vorjahres heraus. Auf Platz neun diesmal: Jakob Augstein. Dem Spiegel-Erben und Herausgeber des Freitag wirft das SWC seine Kritik an der israelischen Politik im allgemeinen vor, sowie sein Lob für Günter Grass und dessen Gedicht über das, was angeblich „gesagt werden mußte“ – Israel sei eine Gefahr für den Weltfrieden.

Zuerst schrieben fast sämtliche Redaktionen von FAZ bis taz jeweils eigene Beiträge. Manchmal wurde Augstein als Journalist verteidigt. Er kritisiere israelische Politik im Detail, ohne antisemitische Stereotypen zu verwenden. Die Welt ergriff eher Partei für das SWC – nun ja. Dann gab es ausgiebige Leserdebatten darüber, was denn nun schon „Antisemitismus“ sei und was noch als „Israelkritik“ gelten könne.

Zufallsauswahl für eine deutsche Provinzposse

Das ging insofern am Kern der Sache vorbei, als das SWC einen solchen Unterschied gar nicht macht. Die „2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs“ werfen antiisraelische und antisemitische Äußerungen schlicht in einen gemeinsamen Bewertungstopf. Wer nun darin landet, das unterliegt offenbar einer gewissen Zufallsauswahl.

Daß nicht Günter Grass selbst, sondern Jakob Augstein für sein Lob von Günter Grass das Rennen machte, könnte auf die Initiative von Henryk M. Broder zurückgehen, den man sich im Wiesenthal-Center weniger als den Komödianten vorstellt, als der er in Deutschland vorwiegend auftritt, sondern der dort im Zusammenhang mit der Augstein-Anklage als „Antisemitismus-Experte“ des deutschen Bundestags präsentiert wird. Mit Augstein verbindet ihn seit längerem eine herzliche Privatfehde. Insofern scheint hier eine deutsche Provinzposse den Weg in die Weltpresse gefunden zu haben.

Gute Ratschläge aus einer weichgespülten BRD

Jakob Augstein hat es zweifellos „nicht so gemeint“ und das Wiesenthal-Center sich selbst einen Bärendienst erwiesen. Das ist der erste Eindruck. Auf der anderen Seite ist es schon merkwürdig zu beobachten, wie aus der bundesdeutschen Provinz heraus ein steter Fluß an guten Ratschlägen zum schnellen Frieden in Richtung Naher Osten und Israel publiziert wird.

Dabei wird dort auf allen Seiten mit Wucht und auf Basis rigoroser politischer, historischer und vor allem religiöser Überzeugungen gekämpft, von deren Intensität man in der weichgespülten Welt der politisch vor sich hindämmernden BRD kaum eine Vorstellung hat. Insofern sollte sich wohl jeder zweimal überlegen, ob er genug überblickt, um hier wirklich Ratschläge oder „legitime Kritik“ anbringen zu können. Das wäre der zweite Eindruck.

Die abstrusen Klischees deutscher Vergangenheitsbewältigung

An dieser Stelle drängt sich dann ein dritter auf. In den letzten Jahrzehnten wurde praktisch jedes Jahr eine weitere Schippe Intensität auf die Bewältigungsversuche der deutsch-jüdischen Vergangenheit draufgelegt. Geradezu hysterische Distanzierung vom gesamten Deutschland der Vergangenheit gehört dabei zum guten Ton und schließt mittlerweile gelegentlich auch den Verzicht auf das Weiterleben der Deutschen ein. Die Erklärung der großen Parteien im Mecklenburger Landtag vom 16. November 2011, jede Forderung nach dem biologischen Fortbestehen des deutschen Volks sei „menschenverachtend“, dürfte einen sicheren Platz unter den „2011 Top Ten Anti-German Slurs“ finden.

Mit Blick auf die Zukunft der Vergangenheitsbewältigung hat die bundesdeutsche Regierungschefin die Sache Israels mittlerweile zur eigenen Staatsräson erklärt. In dieser Situation richtet sich unvermeidlich ein großer Teil von bundesdeutschen öffentlichen Debatten und Publizistik auf den Nahen Osten. Dabei wird neben zutreffenden Beobachtungen viel Unsinn geschrieben, in den immer wieder auch die abstrusen Klischees deutscher Vergangenheitsbewältigung einfließen, die dabei nach außen transportiert werden. In die Top Ten gehört er sicher trotzdem nicht.

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