Neun Jahre nach ihrer Gründung, dem zwischenzeitlichen Einzug in Bundestag, EU-Parlament und alle Landesparlamente, steckt die AfD in der Krise. Dem rasanten Aufstieg folgten zuletzt zehn Wahlen mit zum Teil herben Verlusten. Auch die Oppositionsführerschaft im Bundestag ging verloren. Erreichte die Partei am 1. Oktober 2018 in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa 18,5 Prozent und war damit demoskopisch zweitstärkste Kraft, ringt sie heute mit der prozentualen Zweistelligkeit, weit hinter Union, SPD und Grünen. Die immer wieder versprochene Aufarbeitung des Abwärtstrends wurde durch heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen nie ernsthaft angegangen. Die JUNGE FREIHEIT hat zahlreiche Statistiken, Analysen, Umfragen und Wahlergebnisse ausgewertet und die größten Problemfelder analysiert.
Kaum kommunale Verankerung
Es klingt paradox: Während die AfD-Kandidaten in Sachsen bei den jüngsten Landratswahlen fast durchweg mehr als 20 Prozent der Stimmen erreichten, bröckelt die kommunale Verankerung in anderen Bundesländern. Bei vielen Kommunalwahlen erreichte die AfD zuletzt schlechte Ergebnisse. Im bayerischen Landkreis Deggendorf, eigentlich eine Hochburg der Partei in Bayern, ging Landratskandidatin Katrin Ebner-Steiner vor wenigen Wochen mit 6,4 Prozent fast völlig unter.
Der Abstand zum siegreichen CSU-Kandidaten: beinahe 50 Prozentpunkte. In Niedersachsen waren es bei den Kreiswahlen im September 2021 noch 4,6 Prozent. Die Zahl der Sitze sank von 177 auf 113.
Auch in den östlichen Bundesländern sah es zuletzt düster aus. In Magdeburg kam der Bürgermeisterkandidat der AfD Ende April auf gerade einmal fünf Prozent. Bei der Landtagswahl kaum ein Jahr zuvor errang die Partei in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts noch 16 Prozent. In Mecklenburg-Vorpommern trat die Partei bei den vergangenen Oberbürgermeisterwahlen in mehreren Städten gar nicht mehr an. Es fehlte schlicht an (geeigneten) Kandidaten. Diese Entwicklung ist kein Einzelfall. Auch in Sachsen ist die Kandidatendecke dünn. Bei der zurückliegenden ersten Runde der Kommunalwahlen traten in den aussichtsreichen Regionen fast durchgehend Landtagsabgeordnete, in Dresden sogar EU-Parlamentarier Maximilian Krah, an.
Das Problem: Gewinnen die Kandidaten tatsächlich, verliert die Partei Sitze im Landesparlament, da es keine Nachrücker gibt. Und selbst dort, wo die AfD starke Ergebnisse in Städten und Gemeinden einfährt, kämpft sie mit Austritten und Spaltungen. In Cottbus wurde die Partei 2019 stärkste Kraft und erreichte 11 Sitze im Stadtparlament. Drei Jahre später sind fast die Hälfte der Mandatsträger weg. In Bochum trat zuletzt die gesamte Fraktion geschlossen aus der AfD aus. Das sind keine Einzelfälle, immer öfter führen Grundsatzstreitigkeiten auf Bundesebene zum Zerfall lokaler Fraktionen. Besonders verheerend: Bei den Bürgern vor Ort verfestigt sich damit der Eindruck, die AfD sei keine produktive Kraft und vor allem mit sich selbst beschäftigt. Wer der Partei nicht mal mehr zutraut, eine Kleinstadt mitzugestalten oder zu regieren, wird sich auch bei Bundes- und Landtagswahlen schwerer tun, ihr sein Vertrauen zu schenken.
Schwierige Mitarbeitergewinnung
An der Bezahlung liegt es nicht: Alle AfD-Fraktionen in Bund und Ländern lehnen sich an den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes an, übernehmen diese oder zahlen sogar einen Aufschlag. Dennoch sind Dutzende gutvergütete Stellen unbesetzt. Auch die Bundespartei sucht für ihre ohnehin kleine Bundesgeschäftsstelle noch sieben Mitarbeiter. Unter anderem einen Pressesprecher und Veranstaltungsmanager. Spätestens seit der Bundesverfassungsschutz die Partei ins Visier genommen hat, berichten Personalverantwortliche von einbrechenden Bewerberzahlen. Auch die Qualität habe nachgelassen. Während in der ersten Legislatur im Bundestag noch gelang, zahlreiche erfahrene Mitarbeiter aus der Verwaltung und Ministerien zu gewinnen, ist nun eher ein rückläufiger Trend zu beobachten.
Auch unter den Bundestagsabgeordneten, die ein monatliches Personalbudget von fast 22.000 Euro ausgeben können, bleibt dem Vernehmen nach viel Geld liegen. Hinzu kommen nicht besetzte Stellen für persönliche Mitarbeiter von Landtagsabgeordneten und in den Kommunalfraktionen. Und dort, wo noch eingestellt wird, geht es immer öfter nicht um Qualifikation, sondern darum, durch Gehaltszahlungen an Mitglieder Mehrheiten auf Parteitagen zu sichern. Darunter leiden dann zwangsläufig die Qualität der parlamentarischen Arbeit, das Ansehen und am Ende auch Wahlergebnisse.
Emotionalisierung der Sprache
Am 25. Mai veröffentlichte die AfD auf ihrer Facebook-Seite (rund 550.000 Gefällt-mir-Angaben) und damit auf ihrem Hauptverbreitungsorgan eine Grafik mit dem Text „Während er mit der Elite schlemmt: Habeck will uns HUNGERN sehen!“, bebildert mit einem schwer verpixelten Bundeswirtschaftsminister und ein paar Tellern mit marinierten Zucchini-Scheiben, die in jedem Schrebergarten gereicht werden. Neun Jahre nachdem man eine unfair austarierte Währungsgemeinschaft kritisierte, unterstellt man der Bundesregierung nun, sie wolle die eigenen Wähler verhungern sehen. Daß jede Koalition, die so etwas verantworten müßte, zwangsläufig alle Wahlen verliert, spielt keine Rolle. Und solche Aussetzer sind keine Ausnahme. Seit Jahren verschärft die Partei auf allen Ebenen den Ton ins teilweise Unerträgliche.
Links: AfD 2022 / Rechts: AfD 2014:
Aus „Mut zur Wahrheit“ wird mehr und mehr das gezielte Schüren von Wut und Haß. Die Wirkung läßt sich auch demoskopisch beobachten. Laut einer in Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführten Befragung assoziieren die Bürger die AfD vor allem mit den Emotionen Angst, Empörung, Verzweiflung und Wut. In den wichtigen Kategorien Sicherheit, Vertrauen, Hoffnung und Zufriedenheit belegt die Partei den letzten Platz.
Konzentration auf die Social-Media-Blase
Auf Facebook ist die AfD seit ihrer Gründung unangefochtener Spitzenreiter. Bis heute teilen sich die Beiträge hundert- oder gar tausendfach. Doch was bedeuten die Zahlen? Daß Facebook anhand von nicht öffentlichen Algorithmen Nutzern bevorzugt jene Beiträge anzeigt, die „ins Profil“ passen, wird in der Konsequenz mittlerweile als „Blase“ bezeichnet. Heißt: Es werden fast nur die eigenen Fans angesprochen. Zudem berichten immer mehr AfD-Facebook-Verantwortliche, daß sich die Reichweiten auch mit Geld nicht mehr ausweiten lassen. Neue Wähler werden also kaum noch angesprochen. as gleiche gilt für Youtube.
Bei genauerem Hinsehen fällt auf, daß auf den wichtigen AfD- Seiten immer wieder die gleichen Accounts auftauchen. Oft werden keine Kommentare geschrieben, sondern nur Bildchen, Smileys oder Kurzsätze wie „Nur noch AfD!!!!!“ gepostet, egal, um was es eigentlich geht. Der Spiegel wertete im Januar den Hintergrund dieser Vielschreiber aus und kam zu dem Schluß, daß mindestens 30 Prozent von ihnen als „Fake-Profile“ gewertet werden müßten, keine eigenen „Facebook-Freunde“ haben und bevorzugthübsche junge Damen als Foto verwenden, sonst aber vor allem in Fremdsprachen schreiben oder keinen Wohnsitz in Deutschland angeben. Auch relativ gesehen müssen die Beiträge eingeordnet werden. Wenn etwa ein Post der AfD 2.000mal geteilt wurde, haben sich eben nur 2.000 Personen entschieden, diesen aktiv zu verbreiten. Das entspricht 0,002 Prozent der deutschen Bürger und 0,04 Prozent der AfD-Wähler. Auch bei den oft geklickten Videos muß beachtet werden, daß fast 50 Prozent nicht länger als ein paar Sekunden angesehen werden.
Vernachlässigung des politischen Vorfelds
Der Satz „Wir müssen das politische Vorfeld stärken!“ kommt jedem AfD-Politiker in Bewerbungsreden leicht über die Lippen. Allerdings haben neun Jahre nach Parteigründung noch nicht alle AfD-Landesverbände „Kommunalpolitische Vereinigungen“ gegründet. Diese erhalten Fördermittel aus Landesmitteln für politische Schulungsarbeit. Professionalisierung also.
Während in Berlin beispielsweise alle Parteien mindestens eine Vereinigung gegründet haben, bliebt die AfD tatenlos. Das dort aufgeführte „Bildungswerk für Alternative Kommunalpolitik Berlin e.V.“ steht den Grünen nahe. Und selbst da, wo die Partei solche Vereine hat, agieren sie zumeist unter Ausschluß der Öffentlichkeit. In Baden-Württemberg fand laut dem Facebook-Auftritt die letzte Veranstaltung im Juni 2021 statt, die Webseite wurde zuletzt 2019 im Bereich Veranstaltungen aktualisiert. Auch die auf Bundesebene als parteinah anerkannte Desiderius-Erasmus-Stiftung steht unter Druck.
Während die Organisation juristisch aussichtsreich um die Gewährung staatlicher Finanzhilfen streitet, stellen AfD-Spitzenpolitiker wie Alexander Gauland, Tino Chrupalla, Stephan Brandner, Sebastian Münzenmaier und Björn Höcke die Existenz einer Parteistiftung in einem Antrag an sich in Frage. Wie die von den gleichen Politikern geforderte „Nachwuchsentwicklung im Sinne einer Bestenauslese“ finanziert werden soll, bleibt völlig offen.
Zurückgehendes Wählerpotential
Im August 2018 veröffentliche das Meinungsforschungsinstitut Insa eine sogenannte Potentialanalyse. Ergebnis: Fast 22 Prozent der Wähler waren für die AfD direkt zu erreichen. 13 Prozent der Bürger gaben an, die Partei „sicher“ wählen zu wollen und 4,5 weitere Prozent, dies zum Stichtag tun zu wollen. Machte ein Ergebnis von 18 Prozent, zu dem vier weitere Prozent kommen, die sich das grundsätzlich vorstellen könnten.
Ende Mai 2022 gaben nur noch acht Prozent der Wähler an, die AfD „sicher“ zu wählen, 2,5 Prozent wollten dies aktuell tun, und 4,5 weitere Prozent gaben an, sich dies wenigstens vorstellen zu können. Macht als Gesamtpotential von rund 15 Prozent. Damit ist jeder dritte Sympathisant innerhalb von vier Jahren verlorengegangen.
Dagegen sagen 67 Prozent der Wähler, eine Wahl der AfD käme „grundsätzlich gar nicht“ in Frage. Zum Vergleich: Die Grünen kommen auf ein Wählerpotential von 42,5 Prozent, die Union auf 43 Prozent und die FDP auf 26,5 Prozent. Problematisch für die Partei ist, daß sie unter den Wählern anderer Parteien nicht mehr als Alternative zur eigentlich bevorzugten Partei wahrgenommen wird.
Nur vier Prozent der bisherigen Unionswähler nennen die AfD laut einer Studie der Adenauer-Stiftung als erste Alternative, auch bei der FDP sind es vier Prozent. Bei SPD, Linken und Grünen sind es ein Prozent und selbst bei den Wählern der anderen Kleinparteien nur zwei Prozent. Im Gegenzug geben 23 Prozent der AfD-Wähler an, gegebenenfalls die Union zu wählen, neun Prozent liebäugeln mit der FDP und fünf Prozent mit den Linken. Mehr als jeder Dritte bisherige Wähler der AfD ist also grundsätzlich wechselwillig.
Fehlende Disziplin
Es gibt AfD-Bundestagsabgeordnete, die witzeln, falls sie mal eine Sitzung der Fraktion verpassen, könnten sie sich über den Inhalt am kommenden Morgen in Ruhe aus den Medien informieren. Der Galgenhumor weist auf ein Problem der Partei hin: So gut wie keine Vorstands- oder Fraktionssitzung bleibt vertraulich. Auch ein Grund, warum dringend nötige Aufarbeitungen von Wahlergebnissen, die „intern“ stattfinden soll, praktisch nie umgesetzt werden. Zuletzt beharkten sich Bundestagsabgeordnete und Mitglieder des Bundesvorstands sogar direkt auf Twitter. Zustände, wie bei den in der Versenkung verschwunden Piraten. Selbst bei einfachen Dingen, wie etwa der Umstellung des Logos auf das neue Design, hapert es. Zahlreiche Verbände nutzen noch die alte Version, in der die Abkürzung AfD ausgeschrieben wird. Der für Parteien wichtige Wiedererkennungswert leidet unter diesem Design-Chaos.