Jeder medienkritische Mensch weiß, daß es so etwas utopisches wie eine neutrale Presse nicht gibt: Vielmehr hängt das, was man liest davon ab, wo man es liest. Und das, obwohl die hiesigen Zeitungen in vielen Fragen einen ähnlichen Kurs fahren.
Doch nicht nur in Gewichtung, Betrachtungsweise und der politischen Ausrichtung unterscheiden sich die Zeitungen, sondern auch in der Qualität des journalistischen Handwerks: Für einige ist das berufsethische Wahrheitsgebot eine ernste Angelegenheit. Für andere dagegen scheint es relativ zu sein.
Sicherlich ist vieles in diesem Geschäft eine Frage der Interpretation. Aber wie weit kann man die Wahrheit zurechtbiegen? Bei Journalismus geht es nämlich nicht nur um Tatsachen, sondern auch darum, wie sie präsentiert werden: Ein wenig hier gedreht und dort unterschlagen – und schon sieht die Wahrheit ganz anders aus.
Verständnis über Kausalität
Wie unterschiedlich eine Nachricht wiedergegeben werden kann, zeigte sich am vergangenen Sonntag: Abhängig davon, bei welcher Zeitung man im Internet über den „Eklat“ um Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) und Israel las, bot sich einem ein völlig unterschiedliches Bild:
Die FAZ titelte von allen großen Zeitungen am neutralsten: „Israel verweigert Niebel Einreise in Gazastreifen“, hieß es. Im Artikel stellte die FAZ Israel als den Verursacher der Verstimmung dar.
Was Niebel danach über einen „großen außenpolitischen Fehler“ sagte und daß es nun „fünf vor Zwölf für Israel“ sei, gibt die FAZ natürlich auch wieder. Aber in den richtigen Kontext gestellt, versteht der Leser, daß es sich nicht um eine Provokation, sondern eine Reaktion auf Israels Vorgehensweise handelte. Somit setzte die FAZ die Geschehnisse immerhin in den richtigen Zusammenhang. Was man von anderen Zeitungen nicht behaupten kann.
„Harte Töne von einem deutschen Spitzenpolitiker“
Spiegel Online beispielsweise machte zum gleichen Zeitpunkt am Sonntag mit der Überschrift auf: „Minister Niebel legt sich mit Israel an“. Es seien „harte Töne von einem deutschen Spitzenpolitiker“, hieß es weiter. Und daß der Entwicklungshilfeminister „für einen diplomatischen Eklat“ gesorgt habe.
Daß Israel Verursacher des Streites war, wurde lediglich in einem Nebensatz erwähnt. Hätte man also nur diesen Artikel gelesen, hätte man zu dem Schluß kommen können, Dirk Niebel sei ein anti-israelischer Provokateur, oder zumindest ein außenpolitischer Dilettant.
Auch die Bild ließ Niebel zur gleichen Zeit eher schlecht wegkommen und titelte „Zentralrat kritisiert FDP-Minister Niebel“. Getoppt wurde das einen Tag später mit der Überschrift „Was will Niebel im Gaza-Streifen?“ und der Unterschlagzeile „FDP-Politiker verteidigt seine umstrittene Politik-Show“. Neutrale Berichterstattung sieht anders aus.
Doch auch wenn sich Spiegel Online und die Bild in der Tendenz stark ähnelten, so dürften beide doch aus unterschiedlicher Motivation heraus gegen Niebel Stimmung gemacht haben. Während Spiegel Online seinem alten FDP-Haß freien Lauf ließ, schoß die Bild wohl aus der bedingungslosen Solidarität zu Israel gegen Niebel, die ja bekanntlich bei Springer zur Verlags-Linie gehört.
Im Ergebnis macht dies jedoch keinen Unterschied: Ob nun aus politischer Präferenz oder aus Solidarität zu Israel: Ganz so neutral, wie sich die Presse hierzulande gerne darstellt, ist sie eben doch nicht.