Am 1. Oktober 1982 führte uns der Geschichtslehrer in den Fernsehraum unserer Schule. Wir durften die Liveübertragung aus dem Bundestag sehen. Die Redeschlacht um das Konstruktive Mißtrauensvotum, mit dem Helmut Schmidt (SPD) nach dem Wechsel der FDP zur Union abgewählt und Helmut Kohl (CDU) zum Bundeskanzler gewählt wurde. Ich war ein halbes Jahr zuvor als 14jähriger Mitglied der Jungen Union geworden und verfolgte den Sieg „meines“ Parteivorsitzenden mit Herzklopfen.
Mir ist das Entsetzen der Linken noch in Erinnerung. Der Haß und die Verachtung gegenüber Kohl und CSU-Chef Franz Josef Strauß. Welche Unverschämtheit, in einer Demokratie Mehrheiten zu organisieren und einfach den sozialdemokratischen Kanzler zu stürzen! Der Rückfall in finsterste reaktionäre Zeiten sollte angeblich drohen.
Hoffen auf eine „geistig-moralische Wende“
14 Jahre nach der linksradikalen Studentenrevolte von 1968, dem Marsch durch die Institutionen, nach 13 Jahren sozialliberaler Regierungspolitik, erhofften Konservative tatsächlich einen scharfen Politikwechsel. Helmut Kohl hatte auch von einer „geistig-moralischen Wende“ gesprochen, die an die Thesen von der konservativen „Tendenzwende“ zu appellieren schien.
Schnell trat jedoch Ernüchterung ein. Der konservative Publizist Caspar von Schrenck-Notzing fällte das harte Urteil, „nicht erst nach Übernahme der Kanzlerschaft“ habe Kohl sich damit beschäftigt, „konservative Ansätze und Personen innerhalb und außerhalb der CDU unter seine Kontrolle zu bringen oder zu eliminieren“.
Teilerosion des konservativen Flügels
Der Politikwechsel – von einer veränderten Haushaltspolitik abgesehen – trat nicht ein. Die Deutschlandpolitik von Schmidt/Genscher mit dem Appeasement gegenüber der DDR wurde fortgesetzt. Es kam zur Teilerosion des konservativen Flügels der Union. Ich gehörte auch zu denen, die der CDU bald enttäuscht den Rücken kehrten.
Die JUNGE FREIHEIT ist ein Spaltprodukt der Ära Kohl, und viele, die für sie schreiben, sind durch die Dissidenz zu einer sich konservativ entkernenden Union geprägt worden. Empört hat uns die faktische Aufgabe des operativen Ziels der Wiedervereinigung und das Arrangement mit der Teilung als Endpunkt der Geschichte.
Die Hypotheken wiegen schwer
Wäre es nicht zum von den Deutschen in der DDR erzwungenen Mauerfall am 9. November 1989 gekommen – Helmut Kohl hätte nicht die Gelegenheit ergreifen können, die Einheit Deutschlands durchzusetzen. Sie ist sein bleibendes historisches Verdienst!
Daneben wiegen die Hypotheken schwer: eine nie korrigierte Migrationspolitik, die Aufgabe traditioneller Familienpolitik und des Lebensschutzes, der Verrat an den Enteignungsopfern der DDR, der Irrweg des Maastricht-Europas und die Aufgabe der D-Mark zugunsten des Euro-Abenteuers, mit dessen fatalen Folgen wir heute zu kämpfen haben.
JF 26/17