Sie stellt die kleinste Fraktion, aber immerhin ist es wieder eine: Nach ihrem Überraschungserfolg ist die Linkspartei mit 64 Abgeordneten wieder in den Bundestag eingezogen. Ohne Sahra Wagenknecht und Co., dafür aber mit 46 neuen Gesichtern. Studenten, Auszubildende, Gewerkschafter, bisherige Landtagsmitglieder. Vor allem aber Personen, die aus ihrer Vorliebe fürs Radikale kein Hehl machen, seien es Antifa- oder antiisraelische Proteste. Sie sind es, die den Ton in der erneuerten Linksfraktion angeben.
„Alerta, Alerta, Antifascista“, riefen die frisch gewählten Abgeordneten nach der ersten Fraktionssitzung vor versammelten Kameras beim Gruppenfoto im Paul-Löbe-Haus. Mit dabei auch Ferat Koçak, der als erster in der Parteigeschichte ein Direktmandat außerhalb der ehemaligen DDR geholt hatte, in Berlin-Neukölln. Der Bezirk gilt als Hochburg antiisraelischer Unruhen seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023.
Das bisherige Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses machte sich dabei vor allem als selbsternannter „parlamentarischer Beobachter“ einen Namen. Etwa bei „Beats against Genocide“ im August vergangenen Jahres. Als ein Rapper die antiisraelische und strafbare Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ gerufen hatte und damit gegen die Versammlungsauflagen verstieß, nahm ihn die Polizei fest. Die Teilnehmer skandierten daraufhin „Fuck the Police“. Nach einer weiteren Festnahme schmissen sie mit Flaschen, Steinen und Pyrotechnik auf die Sicherheitsbeamten. Vier Beamte wurden verletzt, 17 Teilnehmer festgenommem. Mitveranstalter der Kundgebung: Koçaks Linken-Kreisverband.
Koçak organisiert linksextreme Demonstrationen
„Die aufgeheizte Stimmung zwischen Demonstrierenden und Polizei hat sich über die letzten Monate durch brutales Agieren der Polizei und Demonstrationsverbote aufgebaut“, resümierte dieser auf seiner Internetseite. Nur wenige Wochen nach „Beats against Genocide“ meldete er eine weitere Kundgebung an, diesmal aber mit dem „Bund der Kommunist:innen“ als Versammlungsleiter. Nach eigenen Angaben baue ihr Programm „auf dem Marxismus und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung sowie denen der antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfe“ auf.
Koçak selbst distanzierte sich mehrfach von der Hamas, betonte aber im Gespräch mit dem Freitag: „Für mich ist es selbstverständlich, daß ich mich für ein Ende der deutschen Waffenexporte nach Israel und für einen gerechten Frieden für alle Menschen in der Region einsetze.“ Diese Forderung stand auch im Programm der Linkspartei zur Bundestagswahl.
Koçak ist nicht der einzige, der mit Kontroversen um den Nahostkrieg auffällt. Nur wenige Tage nach dem 7. Oktober hatte sein heutiger Fraktionskollege Mirze Edis mit einem Instagram-Beitrag für Entsetzen gesorgt. Dort teilte der Gewerkschafter aus Duisburg einen Beitrag des Blogs „Die Rote Fahne“ auf X, in dem ein Rabbiner der ultraorthodoxen Gruppierung Neturei Karta zitiert wird. „Der zionistische ‘Staat Israel’ widerspricht dem Judentum und der heiligen Schrift. Wir unterstützen die legitimen Rechte der Palästinenser, die Besatzung Palästinas muß enden“, heißt es darin.
Kuscheln mit der Roten Hilfe
Koçak ist zudem Mitglied der Roten Hilfe. Nach Angaben des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz dient diese Organisation besonders „Personen aus dem linksextremistischen Spektrum“ als Anlaufstelle. „Unter anderem übernimmt sie Anwalts- und Gerichtskosten und leistet Unterstützung durch das Organisieren von Solidaritätsbekundungen und einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit zugunsten der Inhaftierten. Somit ist die Rote Hilfe ein zentraler Akteur bei der Legitimierung linksextremistischer Straf- und Gewalttaten“, heißt es im Bericht der Landesbehörde aus dem Jahr 2023. Unterstützt wird von der Roten Hilfe nur derjenige, der sich nicht von seinen Straftaten distanziert und auch sonst nicht in irgendeiner Art und Weise mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet.
Der sächsische Verfassungsschutz betont das Ausmaß der Unterstützung der mutmaßlichen Hammerbande-Gewalttäterin Lina E. und ihrer Komplizen im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren. So habe sie neben der Rechtshilfe für die Linksextremistin auch „Informationsveranstaltungen“ im Zusammenhang mit dem „Tag X“ nach der Urteilsverkündung angeboten. „Es gibt Menschen, die beschlossen haben, daß sie dem faschistischen Treiben nicht tatenlos zusehen oder sich darauf verlassen werden, daß irgendwer anders irgendwann schon irgendwas unternehmen wird“, zitiert der sächsische Verfassungsschutz die linksextreme Organisation. Damit habe sie zum Ausdruck gebracht, „Faschismus“ sei nicht durch den Rechtsstaat zu bekämpfen.
„Als Demokratin bin ich der Auffassung, daß zu einem rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren auch eine angemessene juristische Unterstützung der Beschuldigten gehört. Dafür steht die Rote Hilfe ein“, hatte hingegen Isabelle Vandre bereits 2018 betont. Bis Ende vergangenen Jahres saß die neue Bundestagsabgeordnete für die Linke im Brandenburger Landtag. Den Angaben auf ihrer eigenen Seite zufolge ist auch sie Mitglied der Roten Hilfe. Ende November 2019 unterstützte sie die Protestaktionen der Gruppierung „Ende Gelände“ in der Lausitz öffentlich. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Klimaprotest-Gruppe als linksextremen Verdachtsfall ein.
Selbsternannte Seenotretter und parlamentarische Anarchisten
Auch Vandres Fraktionskollege Vinzenz Glaser solidarisiert sich mit Extremisten und radikalen Bewegungen. In einem Instagram-Kurzfilm wirbt der Freiburger Abgeordnete etwa dafür, sich mit der Letzten Generation zu solidarisieren. „Die wahre Gefahr, die geht doch von denen aus, die in Regierungsverantwortung sind, ja, die also uns alle regieren, aber viel zu wenig tun in Sachen Klimaschutz.“ Die im Antifa-Ost-Prozeß Angeklagten nennt er eine „politisch unliebsame Gruppe“. Wie Vandre ist er bei der Roten Hilfe aktiv, ebenso die Fraktionsmitglieder Jan Köstering und Lea Reisner.
Letztere machte sich vor allem als sogenannte Seenotretterin einen Namen. Von 2017 bis 2021 war sie in verschiedenen Vereinen tätig, die Migranten auf dem Mittelmeer auf Schiffe übernehmen und nach Europa bringen, darunter bei Sea Watch. Zudem war sie Mitgründerin der Kabul Luftbrücke. Diese arbeitete mit der Bundesregierung bei der Erstellung des Bundesaufnahmeprogramms für „besonders gefährdete“ Afghanen zusammen.
Bereits 2024 kandidierte Reisner bei der Europawahl auf Listenplatz vier, verpaßte aber knapp den Einzug ins EU-Parlament. „Ich bin sogar schon seit 2019 Parteimitglied. Nur solange Wagenknecht noch dabei war, habe ich das nie öffentlich zugegeben, meine von Rassismus betroffenen Freunde wären ausgerastet“, erwähnte sie im Vorjahr gegenüber der Zeitung nd (früher Neues Deutschland). Im Gespräch mit dem Blatt bezeichnete sie sich als Anarchistin, betonte zugleich, daß sich auf parlamentarischem Wege „keine anarchistische Utopie“ erreichen lasse. „Ich finde aber, daß man das Parlament nutzen sollte, damit die Bedingungen zumindest nicht noch schlimmer werden.“
„Das Comeback der Linkspartei wird auch das Verhältnis von linker Partei und linken Bewegungen verändern“
Ein klares Bekenntnis zum linksradikalen Vorfeld kommt von Katalin Gennburg. Die ehemalige Fraktionskollegin Ferat Koçaks im Berliner Abgeordnetenhaus hatte bereits 2018 eine Entkriminalisierung der Hausbesetzungen gefordert und nannte sie gegenüber nd „ein legitimes Mittel“, wenn das „Recht zu wohnen“ angegriffen werde. Auf Kritik der Boulevardzeitung B.Z. und der Deutschen Polizeigewerkschaft, die den Begriff „rechtmäßig“ verwendeten, schrieb die Politikerin auf X: „Den Unterschied zu ‘rechtmäßig’ kennen Sie schon, oder?!“ Mehrfach setzte sie sich gegen Räumungen der besetzten und zu Antifa-Szeneorten gewordenen Häuser ein, darunter für das Haus an der Liebigstraße 34 .
„Das Comeback der Linkspartei wird auch das Verhältnis von linker Partei und linken Bewegungen verändern“, faßt das Blatt Analyse und Kritik den Wahlerfolg zusammen. In Berlin und Leipzig sei der Wahlkampf zu einer „sozialen Bewegung“ geworden, während viele linke Gruppen und Initiativen seit der Corona-Pandemie zum Erliegen gekommen seien. Das „Comeback“ der Partei zeige, daß es bei „aller rechter Dominanz“ wieder mehr Bereitschaft gebe, sich für „progressive Ziele“ zu organisieren. „Nicht nur die Partei, auch die radikale Linke ist gefragt, mit diesen Erkenntnissen etwas zu machen.“
Die Hoffnung am linken Rand, von der Rückkehr in Fraktionsstärke und einem Plus an Mandaten zu profitieren, ist nicht unbegründet. Außer mehr parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten gibt es einen Mehrbedarf an Mitarbeitern, wodurch gutbezahlte Posten für Partei- und Gesinnungsgenossen winken. Und apropos Geld: Die Linke bezieht künftig wieder Fraktionsgelder. Pro Monat gut eine halbe Million Euro, dazu für jedes Fraktionsmitglied mehr als 10.000 Euro – und obendrauf den Oppositionszuschlag von 15 Prozent auf den Grundbetrag und von zehn Prozent auf den Betrag für jedes Mitglied.