In einem offenen Brief an die rund 64.000 Mitglieder der FDP fordert der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel dazu auf, den Antrag der FDP-Eurorebellen um Frank Schäffler zu unterstützen. Im Handelsblatt forderte er bereits am Montag den Rücktritt der FDP-Spitze, falls der Mitgliederentscheid gegen den Vorstand erfolgreich sei: „Die FDP-Mitglieder haben die historische und einmalige Chance, nicht nur der Euro-Politik eine neue Richtung zu geben, sondern mit ihrem Abstimmverhalten für Änderungen in der FDP-Spitze zu sorgen“. (rg)
Die JUNGE FREIHEIT dokumentiert den gesamten offenen Brief Henkels an die FDP-Basis:
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
in diesen Tagen bekommen Sie von Ihrem Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler im Rahmen eines Mitgliederentscheids einen Antrag zur Europolitik zusammen mit einem Gegenantrag des Bundesvorstandes.
Zwar bin ich kein Mitglied der FDP, fühlte mich aber den liberalen Idealen Ihrer Partei immer sehr verbunden und habe sie deshalb über viele Jahre in Wort und Tat unterstützt. Mit Ihnen leide ich darunter, daß die FDP aus einem Landtag nach dem anderen fliegt und in den Umfragen heute kaum noch eine Rolle spielt.
Wenn dazu noch die Sozialdemokratisierung der CDU/CSU voranschreitet und die SPD immer weiter nach links gedrängt wird, hat der Niedergang der letzten Partei, die sich noch eindeutig zu Freiheit, Selbstverantwortung und Subsidiarität bekennt, nicht nur für Liberale, sondern für unser ganzes Land fatale Folgen. Zu Recht weist der FDP-Bundesvorstand darauf hin, daß die von Herrn Schäffler angestoßene Mitgliederbefragung Sie in eine priviligierte Position bringt. Im Gegensatz zu allen anderen Bürgern können Sie direkten Einfluß auf den weiteren Verlauf der Europolitik nehmen.
Um den bewusst gestreuten Mißverständnissen entgegen-zutreten: auch Kritiker der derzeitig praktizierten Europolitik können begeisterte Europäer sein. Im Antrag von Herrn Schäffler wird die Einführung des „Europäischen Stabilitäts-mechanismus“ (ESM) mit guten und berechtigten Argumenten abgelehnt. Die wichtigsten davon sind: Verschuldete Staaten sollten für ihre Verbindlichkeiten selbst haften, Kreditgeber sollten ihre Risiken nicht auf die Steuerzahler abwälzen, Staaten sollten auf Wunsch oder auf Verlangen aus der Währungsunion austreten können, die Strategie, mit neuen Schulden Zeit zu kaufen, müßte beendet werden.
Schon mit der Überschrift des Gegenantrags stellt der Parteivorstand die Realität auf den Kopf. Die Umwandlung einer Währungsunion in eine Transferunion, die durch den ESM jetzt verewigt werden soll, nennt die Parteispitze „Stabilitätsunion“. Sie reklamiert in ihrem Antrag zwar das Beharren auf „automatischen Sanktionen“, verschweigt aber, daß Präsident Sarkozy Kanzlerin Merkel in Deauville solche längst ausgeredet hat.
Der FDP-Vorstand „lehnt eine zentralistische Wirtschaftsregierung ab“, aber genau dorthin geht die Reise. Die Parteiführung verspricht Ihnen, für „Schuldenbremsen in allen Verfassungen der Euro-Staaten“ zu sorgen, sagt Ihnen aber nicht, daß die Sozialisten in Frankreich, wo die Neuverschuldung in diesem Jahr mehr als drei Mal so hoch sein wird wie bei uns, dieses Projekt gerade beerdigt haben. Sie verspricht „Hilfe nur bei Gegenleistung“, dabei zeigen die neuesten Entwicklungen in Griechenland, daß diese in einer Demokratie nicht einmal vom Ministerpräsidenten garantiert werden kann.
Der Vorstand behauptet, sicherstellen zu können, daß „Jeder für seine Schulden selbst haftet“, dabei konnten selbst die Rücktritte von Bundesbankpräsident Weber und von EZB-Chefvolkswirt Stark nicht verhindern, dass die EZB inzwischen 170 Milliarden Euro in Staatsanleihen aus Südländern investiert hat, für die wir im Insolvenzfall mit über 30% haften. Die FDP-Parteispitze reklamiert, dafür gesorgt zu haben, daß die Erhöhung des neuen Rettungsschirmvolumens auf 211 Milliarden begrenzt ist, vergißt aber zu erwähnen, dass die Zinsen fast noch einmal so viel ausmachen und dass die Wahrscheinlichkeit, das Geld ganz zu verlieren, über die (erst von ihr kritisierte und dann akzeptierte) „Hebelung“ auch entsprechend „gehebelt“ wurde.
Auch in seiner Europarhetorik verweigert sich der Vorstand der Realtität. Er blendet völlig aus, daß die Europolitik, statt zusammenzuführen, für immer mehr Zwist in Europa sorgt. Als Folge des ständigen Hineinredens in die Angelegenheiten anderer Länder, schafft diese immer neue Auseinandersetzungen innerhalb der Eurozone. Gleichzeitig wird der Graben zwischen der Eurozone und den verbleibenden zehn Nichteuroländern in der EU immer größer.
Zusammenfassend müssen Sie davon ausgehen, das die FDP-Fraktion im Bundestag dem ESM – koste es was es wolle – zustimmen wird, obwohl kaum eine dieser im Antrag angekündigten Bedingungen auch nur den Hauch einer Chance hat, erfüllt zu werden. Der Antrag der Parteispitze endet mit den Worten: „Es entspricht unserer liberalen Haltung und Tradition, nicht nur Nein zu sagen.“ Wer dem Antrag von Herrn Schäffler folgt, stellt die Frage, warum die FDP-Spitze in der Europolitik immer Ja sagen muß, wenn eine klassisch liberale Position nach der anderen in der Koalition aufgegeben wird.
Statt Wettbewerb ist jetzt Harmonisierung angesagt, statt Subsidiarität wird auf Zentralismus gesetzt. Mehr noch, als Nebenprodukt von Eurorettungspaketen soll aus einem Europa der Vaterländer jetzt eine Art Vaterland Europa werden! Bitte nutzen Sie die historische und einmalige Chance, der Europolitik eine neue Richtung zu geben und damit auch die FDP wieder für die Wählerinnen und Wähler zu einer attraktiven Partei zu machen! Stimmen Sie für den Antrag von Herrn Schäffler.
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Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und danach Vorsitzender der Leibniz-Gemeinschaft. Er ist Vorstandsvorsitzender der Initiative „Konvent für Deutschland“.