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Schwindende Meinungsfreiheit: Verleumdet, gemobbt, eingesperrt – Prominente deutsche Opfer der Cancel Culture

Schwindende Meinungsfreiheit: Verleumdet, gemobbt, eingesperrt – Prominente deutsche Opfer der Cancel Culture

Schwindende Meinungsfreiheit: Verleumdet, gemobbt, eingesperrt – Prominente deutsche Opfer der Cancel Culture

Das Bild zeigt verschiedene mehr oder weniger prominente Deutsche, die Opfer der Cancel Culture wurden.
Das Bild zeigt verschiedene mehr oder weniger prominente Deutsche, die Opfer der Cancel Culture wurden.
Prominente deutsche Opfer der Cancel Culture: Die Meinungsfreiheit ist massiv gefährdet. Fotos: Imago/HMB Media / Imago/Stock & People / Imago/Andreas Weihs / Imago/Funke Foto Services / Imago/Ulmer II / picture alliance/dpa | Marijan Murat / privat / Imago/Future Image Grafik: JF
Schwindende Meinungsfreiheit
 

Verleumdet, gemobbt, eingesperrt – Prominente deutsche Opfer der Cancel Culture

Cancel Culture ist allgegenwärtig. Manche verlieren ihren Social-Media-Account, manche ihr Konto, andere sogar ihre physische Freiheit. Die JUNGE FREIHEIT hat die prominentesten deutschen Fälle gesammelt.
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Es war ein Lied über Liebe, das auf jeder Party gespielt wurde. Doch plötzlich wurde Gigi D’Agostinos „L’Amour toujours“ geächtet. Was war geschehen? Weil junge Menschen die brennenden politischen Probleme überspitzten und in infantilem Überschwang zur Melodie „Ausländer raus“ riefen, fordern Veranstalter, DJs und sogar staatliche Institutionen, das Lied zu „canceln“ – es von allen Playlists zu streichen, aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Gegen einige der Mitsänger leiteten Staatsanwaltschaften sogar Ermittlungsverfahren ein.

So wie dem Lied erging es kürzlich auch Büchern, ja gar einer ganzen Bibliothek. Wie in einer „digitalen Bücherverbrennung“ kündigte der Gemeinsame Bibliotheksverbund (GBV) der Bibliothek des Konservatismus (BdK) den Vertrag. In der Folge sind die Bücher ab Ende des Jahres erstmal nahezu unauffindbar, da die BdK kein eigenes Katalogsystem betreibt. Der Grund dafür? Wird verschwiegen. Aber die Vermutung liegt nahe, daß es am Inhalt der Bücher liegt.

Cancel Culture entstand schrittweise

Die Cancel Culture ist weit mehr als ein Modebegriff. Sie ist das moderne Scherbengericht aus der griechischen Antike – nur in Lichtgeschwindigkeit. Was einst als Slang in der US-Popkultur seinen Anfang nahm, ist heute die schärfste Waffe im Kulturkampf, die alles und jeden erfassen kann. Der heutige Aufruhr der Cancel Culture ist das Ergebnis eines tiefgreifenden Umbruchs in der öffentlichen Kommunikation, der die Machtverhältnisse verschoben hat. Wo früher primär institutionelle Normen – festgelegt an Universitäten, in Medienhäusern oder der Politik – die Grenzen der Sagbarkeit definierten, hat das Aufkommen der sozialen Medien die Kontrolle an eine dezentralisierte Masse übergeben.

 Dies löst einen radikalen Wandel aus: von der Political Correctness (PC) hin zur handlungsorientierten Cancel Culture, die direkt auf soziale und ökonomische Sanktionen abzielt.

Während die PC die Sprache normieren wollte, um gesellschaftliche Gruppen hervorzuheben oder zu schützen, greift die Cancel Culture oft schnell und hart in die Existenz ein. Da werden Arbeitsverträge gekündigt, Räumlichkeiten nicht geöffnet, Bank- oder Social Mediakonten gesperrt. Die Entwicklung vollzog sich in drei entscheidenden Phasen: In den 1980er und 1990er Jahren etablierte die PC die neuen sozialen Sprachstandards; in den 2000er Jahren polarisierten die Medien diese Standards und machten moralische Bewertung zentral.

Doch erst die 2010er Jahre und die Veröffentlichung der Sanktionen durch Social Media ließen die Macht in die Hände des Internetmobs fallen. Hier verschob sich der Fokus vom „Call-Out“, vom bloßen Benennen möglicher Missetäter, das noch Kritik und Aufklärung zum Ziel hatte, zum „Canceln“, das den Entzug der sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Legitimität beabsichtigt.

Neben den hier dokumentierten Fällen hat das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit eine umfangreiche Sammlung  mit oft akademischem Hintergrund angelegt.


Martin Wagener

Der Politikwissenschaftler Martin Wagener geriet wegen seines Buchs „Kulturkampf um das Volk“ ins Visier des Verfassungsschutzes. Ihm wurde vorgeworfen, darin einen ethnisch geprägten Volksbegriff zu vertreten – ein Verdacht auf „verfassungsschutzrelevanten“ Extremismus. In der Folge entzog ihm die Hochschule des Bundesnachrichtendienstes (BND) die Lehrerlaubnis, er erhielt Hausverbot, und seine Sicherheitsfreigabe wurde herabgestuft. Später kürzte der Dienstherr sogar seine Bezüge.

Wagener wies die Vorwürfe entschieden zurück und erklärte, er stehe ohne Einschränkung hinter dem Grundgesetz. Sein Buch sei ein wissenschaftlicher Beitrag zur Debatte über nationale Identität. Obwohl er selbst den Begriff „Cancel Culture“ vermeidet, sehen viele konservative und rechte Medien in dem Vorgang einen Angriff auf die Meinungsfreiheit und ein Beispiel für politisch motivierte Repression gegenüber Akademikern. Der Fall löste eine breite Debatte über die Grenzen legitimer Wissenschaft aus.

Martin Wagener – Kulturkampf um das Volk Jetzt im JF-Buchdienst bestellen
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Lisa Eckhart

Der Kabarettistin wurde von zwei Künstlern vorgeworfen, mit bissigen Witzen über Juden, Frauen und Minderheiten antisemitische, sexistische oder rassistische Klischees zu bedienen. 2020 sagte das Harbour Front Literaturfestival in Hamburg Eckharts Lesung kurzfristig ab – aus Angst vor Protesten, nachdem sich zwei Autoren weigerten, mit ihr aufzutreten. Als Begründung wurden Sicherheitsbedenken vorgeschoben. Die Absage löste eine Debatte über Meinungsfreiheit und „Cancel Culture“ aus. Viele prominente Stimmen verteidigten Eckharts Kunstfreiheit, und sie blieb erfolgreich – sie holte den Auftritt nach.

Ulrike Guérot

Die Politikwissenschaftlerin geriet wegen umstrittener Thesen in die Kritik. Mainstream-Medien warfen ihr vor, daß sie die USA für den Ukraine-Krieg mit verantwortlich mache und während Corona Verschwörungserzählungen verbreitet habe. 2023 hatte ihre Universität Bonn Plagiatsvorwürfe gegen sie erhoben. Sie habe wissenschaftliche Standards verletzt. Guérots Arbeitgeber, die Uni Bonn, kündigte ihr im Februar 2023 fristlos. Gerichte bestätigten dies später, allerdings kam es zu Auseinandersetzungen über das Urteil. Die Frage steht im Raum, ob in politisch opportuneren Fällen ebenso hart geurteilt worden wäre.

Gefängnis für „Querdenken“-Gründer

Marie-Luise Vollbrecht

Die Biologin vertrat öffentlich die These, es gebe biologisch nur zwei Geschlechter – dies werteten Trans-Aktivisten als transfeindlich und behaupteten, das sei wissenschaftlich rückständig. Vollbrecht hatte in einem „Welt“-Artikel dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgeworfen, Zweigeschlechtlichkeit zu leugnen, und auch diese Ansicht verteidigt. Sanktionen: Ihre geplante Uni-Vorlesung im Juli 2022 („Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“) an der HU Berlin wurde nach Ankündigung von Protesten abgesagt – offiziell aus Sicherheitsgründen. Erst später durfte sie den Vortrag unter Polizeischutz nachholen. Die Absage sendete enorme Wellen aus: Selbst die Bundesforschungsministerin kritisierte die Uni-Leitung scharf. Konservative warfen der HU „Cancel Culture“ vor, während Aktivisten der Uni Transfeindlichkeit ankreideten – beide Seiten fanden das Vorgehen falsch.

Michael Ballweg

Dem Gründer der „Querdenken“-Proteste wurde vorgehalten, während der Corona-Pandemie falsche Informationen zu verbreiten und Spender betrogen zu haben. Hausdurchsuchungen folgten. 2022 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Betrugs, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Ballweg saß rund neun Monate in Untersuchungshaft – wie ein Terrorist in Stuttgart Stamheim. Konten und Online-Kanäle wurden gesperrt. Vor Gericht fielen die Vorwürfe in sich zusammen; übrig blieben nur geringfügige Steuervergehen.

Er sagt der JF: „Cancel Culture ist für mich keine abstrakte Idee, sondern Realität. Heute bin ich faktisch vom Bankensystem ausgeschlossen, obwohl ich friedlich und im Rahmen der Verfassung für Grundrechte eingetreten bin. Mein gesamter Freundeskreis hat sich 2020 aufgelöst, und auch wirtschaftlich wurde alles zerstört. Meine Firma befindet sich inzwischen in Liquidation, und ich habe seit 2020 alle Kunden verloren. Das zeigt: Wer Fragen stellt, wird nicht widerlegt – sondern ausgegrenzt.“

Norbert Bolz

Im Oktober 2025 wurde beim emeritierten Medienwissenschaftler Norbert Bolz eine Hausdurchsuchung durchgeführt – wegen eines ironisch gemeinten Tweets, das eine hessische Meldestelle der Staatsanwaltschaft zugeleitet hatte. Bolz hatte geschrieben: „Gute Übersetzung von ‘woke’: Deutschland erwache!“ Berlin leitete daraufhin ein Verfahren wegen des Verdachts auf Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen ein, da „Deutschland erwache!“ verboten ist. Medien, Politiker und Juristen aller Lager – selbst aus dem linken Spektrum – sahen darin einen Angriff auf die Meinungsfreiheit. Bolz selbst sprach von einem Zeichen zunehmender Ideologisierung. Der Fall entfachte eine breite Debatte über den Umgang der Justiz mit Ironie, Satire und politisch unliebsamen Meinungen.

Kinder mit hineingezogen

Boris Palmer

Nutzer auf Facebook warfen dem Tübinger Oberbürgermeister (parteilos, ehemals Grüne) wiederholt rassistische Entgleisungen vor — etwa die Verwendung des „N-Worts“ und Vergleiche mit Holocaust-Opfern bei einer Migrations-Konferenz 2023. Bereits 2021 hatte er per Facebook-Post über den deutschen Fußballer mit nigerianischem Vater, Dennis Aogo, Empörung ausgelöst. Ein Parteiausschlußverfahren seitens der Grünen folgte. Studenten skandierten bei seinem Auftritt „Nazis raus“.

Er kündigte daraufhin eine Auszeit als OB an, suchte psychologische Hilfe und ließ seine Mitgliedschaft bei den Grünen ruhen und trat später selbst aus. Reaktionen: Palmer entschuldigte sich bei allen Enttäuschten und gestand, es nicht geschafft zu haben, solche Eklats zu vermeiden.  Er hatte Aogo satirisch in einem Konflikt mit einem anderen Fußballer in Schutz nehmen wollen. Während Parteikollegen seinen Rückzug begrüßten, sah er selbst sich als Opfer einer überzogenen „Empörungssturm“-Kultur.

Markus Frohnmaiers Tochter

Eltern mit anderen politischen Ansichten als der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier hielten seine politische Gesinnung für unvereinbar mit den Werten eines Kindergartens. Ihm wurden „extremistische, rassistische, fremdenfeindliche und homophobe Positionen“ zugeschrieben. Einige Eltern starteten eine Petition, um seine vierjährige Tochter aus der Kita ausschließen zu lassen – wegen der politischen Haltung des Vaters. Bei einem Elternabend ruderten die Initiatoren zurück. Letztlich blieb das Kind in der Kita. Die Kita-Leitung betonte Neutralität und lehnte politisch motivierte Ausgrenzung ab.

Aya Velázquez

Der Verfassungsschutz hält der Journalistin und Aktivistin vor, während der Corona-Pandemie „Delegitimierung des Staates“ betrieben zu haben. Sie half die internen RKI-Protokolle zu leaken und spekulierte über angebliche Geheimdienst-Verstrickungen, was ihr den medialen Stempel einer „Querdenkerin“ einbrachte. Der Verfassungsschutz nahm Aya Velázquez 2024 wegen möglicher „staatsdelegitimierender“ Aktivitäten offiziell ins Visier. In sozialen Netzwerken wurde ihr Benutzerkonto zeitweise gelöscht. Plattformen wie Youtube entfernten Videos von ihr. Jüngst kündigte die GLS-Bank ihr Konto. Velázquez beklagt einen politischen „Maulkorb“.

Strafanzeige wegen „Schwachkopf“

Julia Ruhs

Der TV-Journalistin (Moderatorin des öffentlich-rechtlichen Formats „Klar“) wurde von Kollegen vorgeworfen, in ihrer Sendung einseitig konservative Perspektiven einzunehmen. Über 250 NDR-Mitarbeiter unterzeichneten einen Brief, der sich vom Sendungskonzept distanzierte. Implizit stand der Vorwurf im Raum, Ruhs gebe „rechten Stimmen“ zu viel Raum  (Übermedien) oder verletze journalistische Standards. Im September entschied der Norddeutsche Rundfunk, Ruhs nicht weiter als Moderatorin einzusetzen – die Sendung wird fortgeführt, jedoch mit anderer Besetzung. Sie darf „Klar“ nur noch beim Bayerischen Rundfunk (BR) moderieren – was allerdings noch nie geschehen ist. Eine Begründung nannte der NDR nicht.

Julia Ruhs zeigte sich „fassungslos“ und nannte den Rauswurf ein „Armutszeugnis“ für den Rundfunk. Sie warf der Führung offen „Cancel Culture“ vor – offenbar habe man keine konservative Stimme im Programm ertragen. Der Programmdirektor wies diesen Vorwurf als „absurd“ zurück und betonte, man wolle weiter vielfältige Perspektiven zeigen. Der Vorgang führte zu einer Debatte über politische Ausgewogenheit und Meinungsvielfalt in den Öffentlich-Rechtlichen.

Dieter Schönecker

2018 plante der Philosophieprofessor der Uni Siegen ein Seminar zur Meinungsfreiheit mit Gastvorträgen u. a. von Thilo Sarrazin und AfD-Politikern wie Marc Jongen. Ziel war, verschiedene Positionen zur Redefreiheit zu beleuchten. Nachdem linke Redner absagten, geriet die Veranstaltung wegen ihrer „Einseitigkeit“ in Kritik. Die Uni verweigerte Mittel und distanzierte sich öffentlich. Studierendenvertreter und Hochschulmitglieder protestierten, die Uni stellte Bedingungen und erhöhte die Sicherheitsvorkehrungen. Schön­ecker hielt trotz Drucks an der Veranstaltung fest, betonte die Wissenschaftsfreiheit und sprach von einem „Testfall“ für offene Debattenkultur. Die Vorträge fanden letztlich unter Polizeischutz statt. Der Fall wurde bundesweit als Beispiel für Cancel Culture diskutiert.

Stefan Niehoff

Die hessische Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ meldete den Ermittlungsbehörden den 64jähriger Rentner 2024, nachdem er auf X den Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als „Schwachkopf“ bezeichnet hatte. Habeck stellte auf Nachfrage der Polizei Strafanzeige. Niehoff erlitt eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts auf Beleidigung und Volksverhetzung. Im Juni 2025 wurde Niehoff vom Amtsgericht Haßfurt wegen der Verbreitung verfassungswidriger Kennzeichen zu einer Geldstrafe von 825 Euro verurteilt – die schwerwiegenderen Vorwürfe wurden eingestellt. Der Rentner sprach gegenüber der JF von einem Einschüchterungsversuch.

Aus der JF-Ausgabe 50/25.

Prominente deutsche Opfer der Cancel Culture: Die Meinungsfreiheit ist massiv gefährdet. Fotos: Imago/HMB Media / Imago/Stock & People / Imago/Andreas Weihs / Imago/Funke Foto Services / Imago/Ulmer II / picture alliance/dpa | Marijan Murat / privat / Imago/Future Image Grafik: JF
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