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Land des Lächelns

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Ist es einem Mangel an echten Erlebnissen geschuldet, daß das im permanenten „Small-Talk“ Vermeldete so oft als „total interessant“, „ungeheuer spannend“, „absolut aufregend“ und „ungeheuer witzig“ dargestellt wird? Überall Superlative. Alle Welt auf der Jagd nach Bonmots; keine Mittags- oder Pausenrunde ohne offensiven Humor. Wohin man auch kommt, es empfängt einen das Grinsen der verordnet guten Laune, so zahnig wie Rotkäppchens vermeintliche Großmutter.

Tolle Stimmung? Eher scheinen gerade die Leistungs- und Entscheidungsträger, die Supercleveren und Gewinner auf einem Kriegspfad des Dauerlächelns. Ihr Vorteil: Alle ihnen zugeordneten Vasallen lachen mit. Alles präsentiert und „performt“, alles muß sich verkaufen und ist dabei schon erfolgreich aufgegangen im humankapitalistischen Warensortiment. Aber nicht nur die selbsterklärten Eliten und deren nacheifernder Anhang sind ausdauernd amüsiert. Man sehe sich nur einen Parteitag der Grünen an und was man dort so für lustige Lebensfreude hält. Gern mal wieder Kind sein! Nein, hier soll keiner Miesepetrigkeit das Wort geredet, nur gezeigt werden, wie anstrengend vermeintliches Glück sein kann.

Man weiß von der Doppelbödigkeit der menschlichen Komödie nicht erst seit Freud. Das alles ist nicht nur normal, sondern bereichert die Nuancen des einfachen Lebens. Schopenhauer, dessen kluge Fabel von den Stachelschweinen nebenher empfohlen sei, sieht gerade in der Höflichkeit ein notwendiges Vehikel, die grundsätzliche Bosheit untereinander zu kompensieren: „Höflichkeit ist wie ein Luftkissen: es mag wohl nichts drin sein, aber es mildert die Stöße des Lebens.“ – Aber die Höflichkeit scheint sogar auf dem Rückzug, statt dessen dringen einem immer mehr Daueraufgeregte in die eingerissene Aura. Schön Sie zu sehen! Wie geht’s Ihnen? – In bestimmten Kreisen der Bussi-Gesellschaft hat die Umarmung längst den Händedruck abgelöst. Und erst die Partys, bunt wie früher Revuen oder Operetten. Jede Abi-Fahrt ein aufwendiger Exzeß anbefohlenen Ausflippens.

Datensätze voller Narzißmen

Wo man hinkommt, warten die prallen Stories: Möchte man am Tresen einen duftenden Whisky genießen, erzählt einem schon ein engagierter Kenner völlig ungefragt, daß er letztes Jahr bei schwerem Wetter hoch in den Highlands endlich, endlich die ultimative Destillerie gefunden hätte: Dort nehmen sie noch Fässer, die von der alten Ostindien-Company stammen, füllen frühestens nach 23 Jahren ab; und es soll Sorten geben, die am Grunde eines Teiches lagern, auf dem die Pfarrgänse schwimmen, sanft vom Wasser bewegt, weißt du? Und das schmeckst du, das schmeckst du echt, da stecken Torf und Seewind im Aroma. Mehr geht nicht!

Mehr geht nicht. Wer nicht laufend irgendwas spricht oder sendet (postet!), wer nicht mal diesen, mal jenen durch irgendeinen Mega-Prozessor angetriebenen multimedialen Fetisch mit ganzen Datensätzen voller Narzißmen hochhält, gilt als irgendwie reduziert oder deppert. Vermutlich fürchten viele die Stille schon wie einen Vorboten des Todes. Vielleicht ließe sich gar eine Proportionalität zwischen der Tristesse der Zeiten und der soziokulturellen Verpflichtung zum Witz herleiten. Was, du bist schlecht drauf? Sei doch mal gut drauf!

Ohne Zweifel kann gelten: Lachen ist gesund. Nur nicht, wenn es zur Maske gerinnt. – Als ich aus dem Beitrittsgebiet heraus die ersten Bundesbürger kennenlernte, dachte ich: Wie herzlich doch! Wie zugewandt! Wie beredt! Wie pointiert! Was für ein Stil und welche grandiosen Auftritte! – Wir Ostler waren nicht nur so befreit wie geschichtlich erledigt; wir fühlten uns gegenüber den neuen Landsleuten anfangs wie Gefühlslegastheniker – verklemmt, parataktisch sprechend, geradezu einsilbig und rhetorisch so unbeweglich. Und was die anderen nicht alles erlebt hatten: Mit allen Wassern gewaschen. Nein, geradezu megacool!

Wir waren gewohnt, daß sich das Eigentliche zwischen den Zeilen abspielt

Bis wir dann mitbekamen, daß das Obst zwar blitzblank aussieht, die Brötchen riesig sind, alles wunderschöne Bezeichnungen führt und überhaupt eine Menge verheißt, aber, kritisch betrachtet, dann doch kleiner und weniger substantiell ausfällt, im Aroma eher fade bleibt und tolle Farben schnell verbleichen. Ach, der Osten war ja so grau!, sagten sie uns immer. Stimmt. Und wir waren es gewohnt, daß sich das Eigentliche zwischen den Zeilen abspielte. Dort war jetzt nichts mehr zu finden, um so mehr aber im Kleingedruckten. Gestik wurde plötzlich wichtig, Mimik, Körpersprache und überhaupt das richtige Outfit.

Der obligatorische Dauerhumor, das Gut-drauf-Sein, die XXL-Übertreibungen sind kein Ost-West-Problem; sie sind eher das Erfordernis einer Show, ohne die es seit Adam und Eva beziehungsweise seit den aufgeregten Primatenhügeln im Omo-Tal offenbar nicht geht. Und Leben ohne Witz ist ein Trauerspiel. Der „ehrwürdige Jorge“ in Umberto Ecos „Der Name der Rose“ – „Jesus hat nie gelacht!“ – hatte hoffentlich nicht recht. Aber wo die gute Laune schon mit jedem Tagesgruß diktatorisch zu regieren beginnt, da wird es unheimlicher als in einem Milieu ruhiger, zuweilen verschmitzter Ernsthaftigkeit.

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