Die Einheit von sozialdemokratischer Funktionärselite und Arbeiterschaft gründet sich auf einem Vertrauensverhältnis. „Wir kämpfen für euch“, ruft der Funktionär. „Wir folgen euch“, antwortet der organisierte Arbeiter. Immer im Vertrauen, daß man seine Interessen auch wahrnimmt, macht der deutsche Arbeiter seither sein Kreuzchen bei den Sozialdemokraten. Aber stimmt das überhaupt?
Was sind eigentlich die Interessen der deutschen Arbeiterschaft, mag man sich selbst zu diesen stellen wie man will? Das erste Wichtige ist zunächst, daß sie als selbstorganisierte Einheit auftritt. Sie braucht ein Bewußtsein von sich selbst, von ihrer Einheit, ihrer Identität. Denn gibt es kein Zusammengehörigkeitsgefühl, keine Solidarität der Arbeiter untereinander, dann fällt die Arbeiterschaft als politischer Faktor aus.
Das zweite Wichtige, gleichwohl mit dem ersten eng verbundene, ist die Forderung nach einer guten Bildung der breiten Masse. Denn nur der geistig rege Arbeiter kann gemeinsam mit anderen für seine Rechte kämpfen. Und nur, wenn das Arbeiterkind über eine hochwertige Schulbildung verfügt, kann es sich später als Freier und Gleicher unter Freien und Gleichen fühlen, ohne daß ihm privilegierte Bereiche vorenthalten werden.
Forderung nach Sicherheit für die Familie
Das dritte Wichtige und wahrscheinlich Wichtigste ist der Arbeiterschaft, daß man sie anerkennt, daß man nicht gering schätzen möge, was sie mit ihrer Hände Arbeit hervorbringt. Dies drückt sich gar nicht so sehr in der Forderung nach immer höheren Löhnen aus, denn die Gier nach mehr als dem, was man hat, ist eigentlich eine kapitalistische Tugend. Dem Arbeiter ist eigentlich die Sicherheit viel wichtiger.
Der Arbeiter will nicht nur, daß er von seinem Lohn seine Familie ernähren kann, er will auch, daß er das noch morgen kann. Er will, daß man ihn nicht einfach so auswechseln kann wie ein defektes Rädchen im Getriebe, sondern seine Bedürfnisse anerkennt. Er will, daß es seiner Familie gut geht, daß es seine Kinder „einmal besser haben“ als er. Sichert man ihm dies zu, ist der Arbeiter für gewöhnlich ein bescheidener Mensch.
Wie verhält es sich nun mit der sozialdemokratischen Politik der letzten, sagen wir, zwanzig oder dreißig Jahre? Wie ist sie mit diesen drei absolut lebensnotwendigen Bedürfnissen der deutschen Arbeiterschaft umgegangen? Hat die Funktionärselite die Interessen des Arbeiters verfolgt oder wenigstens nur gewahrt und verteidigt? Nein, nichts von alledem. Sie hat diese nicht nur ignoriert, sondern mit ihrer Politik aktiv bekämpft!
Ein gewollter, geplanter und systematisch durchgeführter Verrat
In der Tat, man kann es nicht anders sagen. Es war ein gewollter, geplanter und systematisch durchgeführter Verrat am deutschen Arbeiter. Ein ungeheuerlicher Verrat, den die Funktionärselite in ihrer ideologischen Befangenheit noch nicht einmal in voller Tragweite realisiert hat. Es gibt ja noch immer einige von ihnen, die insgeheim von einer großen, irgendwie blutrünstigen sozialistischen Revolution träumen.
Das zeigt aber nur ihre absolute Blindheit. Die Französische Revolution hat den Adel auf das Schafott geschickt. Sollte es tatsächlich in Deutschland einmal eine blutige, sozialistische Revolution geben – was das Schicksal verhüten möge –, so ist es eigentlich nicht irgendein Bankenvorstand, der als Verursacher daran glauben müßte. Denn angemessenerweise sollte man genau diese Funktionärselite zur Laterne begleiten – und niemanden sonst.
Denn diese Funktionärselite hat die deutsche Arbeiterschaft für ein klein wenig mehr Macht, für irgendeinen besser dotiertes Pöstchen verschachert – an Herren jenseits des Bosporus‘. „Rassismus“ kreischen Friedrich-Ebert-Stiftung und andere Versorgungseinrichtungen für SPD-Funktionäre, kommt man hierauf zu sprechen. Wirklich? Oder ist das vielleicht doch eher die Reaktion eines schlechten Gewissens?