Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, hat am vergangenen Samstag in Usbekistan öffentlich verkündet, sein Land wolle der Schanghaier Kooperationsorganisation (SCO) beitreten. Diese Worte fielen unmittelbar nach einem dortigen Treffen des asiatischen Staatenbündnisses, in dem China und Rußland die dominanten Mitglieder sind. Zuerst meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu Erdogans „Wechselabsichten“, die im Grunde keine sind.
Denn Ankara werde weiterhin im westlichen Verteidigungsbündnis der Nato verbleiben, versicherte der türkische Staatschef. Zeitgleich wolle die Türkei mit einem möglichen SCO-Beitritt ihre „historischen und kulturellen Verbindungen zum asiatischen Kontinent“ vertiefen, betonte Erdogan. Für die Bundeszentrale für politische Bildung ist die „Eindämmung des Einflusses der Nato, insbesondere in Zentralasien“ allerdings eines der Hauptziele der Organisation. Darüber hinaus ist der seit Jahren schwelende, Nato-interne Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland über Gebiets- und Rohstoffansprüche im östlichen Mittelmeer weiterhin akut und ungelöst.
Trittin fordert „Zwangsmaßnahmen“ gegen die Türkei
Vor diesem Hintergrund mehrten sich in der deutschen Politik jüngst kritische Stimmen zur türkischen Ankündigung. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin, zugleich Mitglied im Auswärtigen Ausschuß, verlangte eine „robustere Türkei-Politik und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen“ gegenüber Ankara seitens der Nato und der EU. Beide Organisationen müßten „sich fragen lassen, wie lange sie sich von Erdogan noch auf der Nase herumtanzen lassen“, sagte der Grüne der Welt am Montag. „Die Türkei hindert die Nato an der Überwachung des UN-Waffenembargos in Libyen. Sie bohrt in Griechenlands Wirtschaftszone.“ Zudem umgehe der Nato-Partner die europäischen Rußland-Sanktionen und bremse den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, kritisierte, „außenpolitisch wäre dies ein weiterer symbolischer Schritt weg vom Westen und seinen Werten“. Sollte die Türkei tatsächlich der SCO beitreten, wäre dies „ein schwerer politischer Fehler für die Zukunft“ für das Nato-Mitglied.
Verständnis und Kritik aus der Opposition
Für den Vize-Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Alexander Graf Lambsdorff, scheint das türkische Vorhaben weniger problematisch zu sein. „Gerade, weil die SCO eine ausgesprochen geringe Integrationskraft hat, sollte dieser Schritt nicht überbewertet werden“, urteilte er.
Der Unionsfraktionsvize Johann Wadepuhl (CDU) blickte als Oppositionspolitiker kritisch auf die Ankündigung der Türkei. Dieser Schlingerkurs gehe zu weit, die SCO habe „eindeutig andere Wertvorstellungen als die Nato und richtet sich damit gegen uns“. AfD-Chef Tino Chrupalla verteidige Erdogans Vorhaben „in einer multipolaren Welt“, denn die Türkei bleibt laut ihm ein „strategisch wichtiger Partner“ für Deutschland.
Erdogan wirft Nato und EU „mangelnde Unterstützung“ vor
Sollte die Türkei der SCO beitreten, wäre es das erste Nato-Land in der östlichen Staatengruppe. Peking und Moskau gelten als Konkurrenten der Nato, Interessenskonflikte scheinen damit vorprogrammiert. Bereits in der jüngeren Vergangenheit kritisierte Erdogan die Nato und die EU, wie die Nachrichtenagentur dpa unlängst berichtete. Der türkische Präsident warf beiden Organisationen „mangelnde Unterstützung“ in Bezug auf den türkischen Mitglieds- beziehungsweise Kandidatenstatus vor. Ob dies auch der Anlaß für den Wechselwunsch gewesen sei, ließ der türkische Staatschef offen.
Ankara ist schon seit 1952 Mitglied der Nato, 1999 erhielt es von Brüssel den Status eines offiziellen EU-Beitrittskandidaten. Passiert sei seitdem wenig, monierte Erdogan häufig. Zuletzt beanstandete das EU-Parlament im Juni die „anhaltende Verschlechterung der Menschenrechtssituation“ sowie demokratische Defizite im türkischen Staat und Justizsystem.
Im Gegensatz dazu lobte die EU-Führung zugleich die „feste Ausrichtung auf die Nato und die EU“ sowie „die Bereitschaft der Türkei, im Krieg Rußlands gegen die Ukraine als Vermittler aufzutreten“. Außerdem sei Ankara ein wesentlicher Stabilitätsanker, was die Zuwanderung nach Europa angehe. Andererseits drohte Erdogan Deutschland und Europa wiederholt mit dem Einsatz von Migranten als „Waffe“, um politisches Wohlverhalten in seinem Sinne zu erzwingen.
Die Türkei und Rußland: Es ist kompliziert …
Obwohl die Türkei von Anfang an den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt hat und zuletzt im Juli gemeinsam mit der Uno das Abkommen über Getreideexporte zwischen Kiew und Moskau vermitteln konnte, bleiben Rußland und die Türkei in anderen Bereichen enge und verläßliche Partner. So beispielsweise bei gegenseitigen Waffenlieferungen oder in Syrien.
Allerdings könnte ein möglicher türkischer Beitritt zur SCO einen anderen Streitpunkt in die Organisation hineintragen. Im zuletzt wieder aufgeflammten Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien unterstützt die Türkei Baku, während Moskau zu Jerewan hält. Somit ist Rußland für die Türkei Partner und Konkurrent zugleich. Dies könnte die SCO künftig belasten.
Die Türkei ist bereits seit 2012 ein „Dialogpartner“ für die Schanghaier Organisation. Das wirtschafts- und sicherheitspolitische Staatenbündnis wurde 2001 gegründet und repräsentiert nach eigener Aussage mittlerweile 30 Prozent der Weltwirtschaftsleistung und 40 Prozent der Weltbevölkerung. Aktuelle Mitglieder sind die Volksrepublik China, Rußland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Indien und Pakistan, zuletzt trat der Iran im September der Organisation bei. Sicherlich dürfte auch die US-Regierung einen kritischen Blick gen Ankara werfen, sollte der Nato-Partner Türkei einer Organisation beitreten, in der der iranische „Erzfeind“ – aus Sicht der USA – anzutreffen ist.