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Nordatlantikbündnis wächst: „Finnlandisierung“ war gestern – Nato-Beitritt ist jetzt

Nordatlantikbündnis wächst: „Finnlandisierung“ war gestern – Nato-Beitritt ist jetzt

Nordatlantikbündnis wächst: „Finnlandisierung“ war gestern – Nato-Beitritt ist jetzt

Schweden und Finnland verhandeln über ihren Nato-Beitritt Foto: picture alliance / AA | TUR Presidency/ Murat Cetinmuhurdar
Schweden und Finnland verhandeln über ihren Nato-Beitritt Foto: picture alliance / AA | TUR Presidency/ Murat Cetinmuhurdar
Schweden und Finnland verhandeln über ihren Nato-Beitritt Foto: picture alliance / AA | TUR Presidency/ Murat Cetinmuhurdar
Nordatlantikbündnis wächst
 

„Finnlandisierung“ war gestern – Nato-Beitritt ist jetzt

Viel war im politischen Berlin nach dem Angriff Rußlands auf die Ukraine von einer „Zeitenwende“ die Rede. Doch während Deutschland zögert, Schaffen Schweden und Finnland mit ihren Bestrebungen zum Nato-Beitritt Fakten. Dabei gerät eine Minderheit wieder unter die Räder. Ein Kommentar von Stefan Scheil.
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Der russische Angriff auf die Ukraine symbolisiert tatsächlich eine Zeitenwende. Das mag für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor ein paar Monaten nur eine Floskel gewesen sein, die er vor dem Bundestag gebrauchte, um dieser Erkenntnis dann so wenig Taten wie möglich folgen zu lassen. In Berlin wendet das Regierungsbündnis alle Kraft auf, um aus dem Ukraine-Krieg entweder gar keine oder nur solche Konsequenzen zu ziehen, die man sowieso auf der Liste der politischen Ziele hatte. Bei der Energiewende zum Beispiel, wo die Reduzierung des Verbrauchs fossiler Energie neuerdings mit dem Hauch des außenpolitischen Widerstandsgeists begründet wird.

Historische Konsequenzen werden anderswo gezogen. So wollen Finnland und Schweden jetzt dringend formell der Nato beitreten. Die sowieso schon traditionell engen Beziehungen zum Bündnis reichen nicht mehr aus, hat doch die Attacke auf die Ukraine plastisch vor Augen geführt, wie wenig man in Moskau von informellen Beziehungen beeindruckt ist. Die Ukraine hatte und hat solche Beziehungen nämlich reichlich. Prominente Regierungsvertreter des Westens geben sich dort die Klinke in die Hand, Geld fließt in Milliardentranchen und auch an Waffen und militärischer Ausbildung gibt es reichlich Unterstützung.

Was die Ukraine nicht hatte und nicht hat, sind echte militärische Verbündete. Solche, die zum Einsatz eigener Streitkräfte verpflichtet wären, sollte der Bündnisfall eintreten. Um zu den „jeden Zentimeter“ an Boden zu gehören, die von der Nato laut Ankündigung mit allen Mitteln verteidigt werden, werfen beide Staaten mit dem Nato-Beitritt jahrzehntelang und gar jahrhundertelang beachtete Grundsätze über Bord.

Schwedens Neutralität hat eine lange Geschichte

Finnland galt seit 1945 als eine Art neutraler Pufferstaat zwischen Ost und West. „Finnlandisierung“ schien zwischenzeitlich ein wünschenswerter Zustand zu sein, wie ihn jedenfalls verschiedene osteuropäische Staaten zu Zeiten des Kalten Krieges auch anstrebten, um sich der Moskauer Dominanz zu entziehen. Unter diesem Stichwort ökonomisch und innenpolitisch dem Westen zugehörig zu sein, ohne sich ihm militärisch und außenpolitisch zu verpflichten, noch Anfang des Jahres wurde „Finnlandisierung“ unter solchen Vorzeichen auch als mögliches Zukunftsmodell für die Ukraine gesehen.

Schwedens Neutralität hat andere und ältere Wurzeln. Seinen früheren Status als europäische Großmacht büßte das Land vor 300 Jahren ein, als es den Angriff Rußlands auf seine damaligen Staatsgebiete im Baltikum und – Finnland nicht abwehren konnte. Die Entscheidung fiel damals im Jahr 1709 auf dem Schlachfeld im heute ukrainischen Poltawa und hatte dauerhafte Konsequenzen für beide Seiten.

Die Schweden seien seit Poltawa „fett wie die Kapaune“ geworden, weil sie sich keine militärischen Abenteuer mehr leisteten. Die Russen seien dagegen arm geblieben, weil sie genau das dauernd wiederholen würden, beklagte der russische Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn in den 1970ern.

Türkei knüpft Nato-Beitritt Schwedens an Bedingungen

Damit ist auf schwedischer Seite nun ein Stück weit Schluß. Nicht weil der Nato-Beitritt unbedingt ein militärisches Abenteuer darstellen würde, aber weil er auch die schwedische Armee verpflichtet, nun den „Zentimeter Boden“ der Bündnispartner zu verteidigen, notfalls im Baltikum, wo man vor dreihundert Jahren zuletzt die Klinge mit Rußland kreuzte.

Und auch moralisch zahlt Schweden für diesen Schritt zurück auf das internationale Parkett der Blockbildung einen Preis. Die Türkei muß dem Nato-Beitritt zustimmen und verlangt einen namhaften Preis dafür. Schweden soll seine Unterstützung für kurdische Autonomiebestrebungen einstellen, vielleicht sogar politisch aktive Kurden an die Türkei ausliefern, die dort als „Terroristen“ abklassifiziert und entsprechend drastisch abgeurteilt werden dürften.

Das schwedische Selbstverständnis als moralische Großmacht dürfte dadurch nachhaltig Schaden nehmen. Daß es wieder einmal die so oft in der Geschichte unter die Räder gekommenen Kurden sind, die hier getroffen werden, zeigt das Ausmaß, in dem die nötige „Zeitenwende“ auch ein Rückruf in die Geschichte sein wird. Über die Dauer, bis er in Berlin ankommt, muß einstweilen noch spekuliert werden.

Schweden und Finnland verhandeln über ihren Nato-Beitritt Foto: picture alliance / AA | TUR Presidency/ Murat Cetinmuhurdar
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