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Marion Maréchal: Von Frankreich lernen

Marion Maréchal: Von Frankreich lernen

Marion Maréchal: Von Frankreich lernen

Marion Maréchal
Marion Maréchal
Marion Maréchal Foto: picture alliance/Pacific Press Agency
Marion Maréchal
 

Von Frankreich lernen

Marion Maréchal ist auf dem Weg, eine neue Bewegung der Rechten in Frankreich zu formen. Die Partei ihrer Tante Marine Le Pen betrachtet sie dabei als Anachronismus. Ziel ist eine Rechte ohne Komplexe. Für die AfD liefert das Anschauungsunterricht.
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Die eine Nachricht ist, daß der französische Journalist Eric Zémmour durch den Kassationshof der Republik erneut verurteilt wurde. Die Anklage lautete: Aufstachelung zum Religonshaß. Die andere Nachricht ist, daß Zémmour für Marion Maréchal einen „Konvent der Rechten“ moderiert hat. Am 28. September fand in Paris eine Veranstaltung statt, an der Politiker – sogar aus den Reihen von Macrons „La République en Marche“ -, Unternehmer, Professoren, Intellektuelle und Journalisten teilgenommen haben, dazu eine Vielzahl interessierter Bürger; man spricht von mehr als 2.000 Besuchern.

Der Stargast der Veranstaltung war ohne Zweifel Candace Owens, eine schwarze, konservative Aktivistin aus den USA, die zum Umfeld Trumps gerechnet wird. Aber die eigentliche Attraktivität der Veranstaltung lag ohne Zweifel im Auftreten eines brillanten Polemikers – Zémmour – und einer charismatischen Politikerin von nicht einmal dreißig Jahren – Marion Maréchal.

Abkehr vom Vater

Ihrem Wunsch gemäß soll der Konvent als „Unabhängigkeitserklärung der Rechten“ im Blick auf Progressismus, Multikulturalismus und Marktfixierung betrachtet werden. Daß man damit wenig Gegenliebe bei Linken und Liberalen findet, liegt auf der Hand. Aber das Ziel, hier eine „Union der Rechten“ für den kommenden Kampf um die Präsidentschaft vorzubereiten, stößt auch im eigenen Lager auf Widerstand. Selbstverständlich fühlt sich der Rassemblement National (RN) attackiert, der von Marine Le Pen geführt wird, der Tante Marion Maréchals. Die Nichte galt einmal als das Nachwuchstalent des Clans Le Pen, mit zweiundzwanzig Jahren zog sie als jüngste Parlamentsabgeordnete in die Nationalversammlung ein.

Aber nach relativ kurzer Zeit in der Politik ging sie auf Distanz zur Schöpfung ihres Großvaters Jean-Marie Le Pen. Dessen Front National (FN) – die Vorgängerorganisation des RN – war in den 1970er Jahren als Sammlung der antigaullistischen Rechten entstanden und hatte Monarchisten, katholische Traditionalisten, Nationalrevolutionäre und Algerienfranzosen mit all denen zusammengeführt, die die Einwanderung und den wachsenden Einfluß des Islam fürchteten. Diese spannungsreiche Einheit zusammenzuhalten, war für sich genommen schon erstaunlich und nicht ohne gewisse ideologische Zugeständnisse möglich.

Allerdings wäre Le Pen niemals so weit gegangen wie seine Tochter Marine, die den FN auch für Freimaurer und Homosexuelle geöffnet und ein Bekenntnis zum Laizismus abgelegt hat. Den Unmut ihres Vaters und seiner Verehrer nahm sie dabei in Kauf und scheute auch vor einer massiven Konfrontation nicht zurück. Gleichzeitig ist es ihr gelungen, den Spagat zwischen dem Rassemblement als größter Arbeiterpartei Frankreichs und der traditionellen Orientierung am Mittelstand ebenso aufrechtzuerhalten wie den zwischen den Veteranen und jenen alerten jungen Männern, die sie in ihren Beraterkreis zieht.

Auf der Suche nach einer neuen Klientel

Verloren hat Marine Le Pen im Grunde nur die katholischen Hardliner. Die verfügen im Süden noch über Bastionen, aber ihre Versuche, mit Hilfe einer eigenen Partei – CIVITAS – eine Graswurzelrevolution durchzuführen, blieben bisher ohne größeren Erfolg. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß das Projekt Marion Maréchals eine gewisse Anziehungskraft auf diese Kreise ausübt, wenngleich man unter den „Katho-Konservativen“ der Verknüpfung von „Soft-Liberalismus“ in Wirtschaftsfragen und „Verteidigung der Identität“ des Landes mit Vorbehalten gegenübersteht.

Die Entwicklung an diesem Punkt zu beobachten, dürfte ähnlich aufschlußreich sein wie die Positionierung Robert Ménards, der als Bürgermeister von Béziers für einen neuen Stil rechter Basispolitik weit über die Grenzen seiner Stadt bekannt wurde. Ménard ist derjenige, der als erster die „Einheit der Rechten“ gefordert hat, um für die kommende Präsidentschaftswahl gerüstet zu sein. Zu dem Konvent hat man ihn aber offenbar nicht eingeladen, obwohl seine Zielvorstellungen sich in vielem mit denen von Zémmour und Marion Maréchal decken. Vielleicht ist die Ähnlichkeit der Strategie aber auch gerade ein Grund, den Trennungsstrich deutlicher zu ziehen. Denn es mehren sich die Anzeichen, daß die Rechte der Fünften Republik in einen neuen Aggregatzustand übergeht.

Der Vorgang ist deshalb so wichtig, weil Frankreich das erste Land war, in dem eine erfolgreiche nationalpopulistische Strömung entstand. Die gewann im Laufe der letzten vier Jahrzehnte ein erstaunliches Maß an Stabilität, erreichte aber auch die Grenzen ihres Wachstums. Marine Le Pen hat darauf mit dem Versuch reagiert, eine Klientel zu gewinnen, die bisher Distanz hielt und einen „Relaunch“ durchzuführen, dem sogar der alte Parteiname zum Opfer gefallen ist.

Politisches Laboratorium Europas

Dagegen wollen Zémmour und Marion Maréchal einen Neuansatz versuchen, der einerseits offener ist – das heißt ausdrücklich die Gemäßigten anspricht – und andererseits das „identitäre“ Profil schärft. Zémmour sprach davon, daß die „Frage der Identität eine Frage von Leben und Tod“ sei, und Marion Maréchal hat die Formel „Unternehmungsgeist und das Ewige Frankreich“ geprägt. Damit zielt sie vor allem auf die enttäuschten Anhänger der Gruppierung Les Republicains, die als bürgerliche Formation bei den Europawahlen dramatisch gescheitert ist.

Sie will aber nicht nur diese Heimatlosen unter dem Banner des „Konservatismus“ sammeln, sondern betrachtet auch den RN, wenn nicht als politischen Gegner, dann doch als einen Anachronismus, der überwunden werden muß. Aus dieser Vorstellung, daß sie die Zukunft verkörpert und die französische Rechte von ihrer heillosen Zersplitterung heilen kann, erklärt sich viel von der Anziehungskraft ihrer Idee einer Rechten ohne Komplexe.

Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Aber vieles spricht dafür, daß Frankreich wieder einmal das politische Laboratorium Europas ist. Seit mehr als zweihundert Jahren laufen dort die sozialen Experimente ab, während man in Deutschland noch beim Versuchsaufbau steht. Besonders deutlich wird das, wenn man die Situation im Hinblick auf jene Kräfte betrachtet, die den französischen vergleichbar sind. Das gilt vor allem für die AfD, und es fällt sofort auf, daß es an deren Spitze niemanden gibt, der fähig oder willens wäre, diesen „gärigen Haufen“ mit derselben Härte zu disziplinieren, die eine wesentliche Vorbedingung für den Aufstieg des FN war.

Ringen um die „kohärente“ Rechte

Das hat einen Grund in der merkwürdigen Fixierung auf den Gedanken der Basisdemokratie, aber es geht in der Führung der Alternativen offenbar auch um die Erfahrung, daß die Partei nicht zögert, ihre Vorsitzenden politisch zu liquidieren. Bei dieser Art Selbstenthauptung haben sich immer diejenigen durchgesetzt, die den höchsten Grad an Geschlossenheit erreichten, während der Rest den Vorgang entweder passiv hinnahm oder zu lavieren begann. In der Folge erweckten die Verantwortlichen den Eindruck, als ob es ihnen immer nur um Taktik, nie um Strategie gehe.

Wenn sie improvisieren und hurtig die Allianzen wechseln, bedienen sie sich aber nicht als überlegene Könner eines Werkzeugs, ohne das in der Politik kaum auszukommen ist. Sie wirken wie Getriebene, die sich in Abhängigkeit von jedem begeben, der seine Forderungen hinreichend rücksichtslos vorträgt. Das Fehlen persönlicher Autorität oder echter Hausmacht wirkt dabei ebenso fatal wie das dauernde Kreiseln der Nadel im weltanschaulichen Kompaß.

Man muß jedenfalls bedauernd feststellen, daß die AfD sehr weit entfernt bleibt von jenem Punkt des Prozesses, der in Frankreich, wenn nicht erreicht, dann doch in Sicht ist: eine „kohärente“ Rechte. Marion Maréchal hat dieses Ziel formuliert und den Teilnehmern des Konvents zum Schluß vor Augen geführt, welchen Herausforderungen Frankreich und Europa gegenüberstehen: „Der große Austausch, die große Deklassierung, die große Erschöpfung der Natur, die große Degeneration und die große Konfrontation der Mächte.“ Angesichts dessen blieben nur Einheit, Kampfgeist und die Entschlossenheit, die Hoffnung nicht sinken zu lassen.

Marion Maréchal Foto: picture alliance/Pacific Press Agency
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