Jubel bei den Grünen, Katzenjammer bei den Macronisten, verhaltenes Nicken bei den Bürgerlichen und leichtes Erschrecken bei allen über die historisch hohe Zahl der Enthaltungen – so lassen sich die ersten Reaktionen nach der zweiten Runde der Kommunalwahlen in Frankreich einordnen. Aber das ist nur der erste Blick auf die mediale Bühne. Der Blick hinter die Kulissen offenbart das bekannte Szenario französischer Politik: Wandel auf den alten Brettern, ein paar Stellwände werden verschoben, das Theater bleibt stehen.
Zunächst der Jubel: Es stimmt, daß die Grünen mit Lyon, Straßburg, Bordeaux größere Städte und mit Poitiers, Besancon und Annecy mittlere Städte erobert haben. Aber in Paris, Rennes, Nantes, Dijon und Lille bleiben sie in der zweiten Reihe, zum Teil denkbar knapp, zum Teil deutlich abgeschlagen hinter den Sozialisten. Wenn man die Enthaltung von rund 60 Prozent der Wähler noch ins Kalkül zieht, dann flacht die grüne Welle in den „Erfolgsstädten“ auf weniger als ein Fünftel der Wähler ab. Demokratietheoretisch gesehen ist das eine schwache Legitimität, begrenzt auf ein urbanes Milieu.
Und angesichts der vielen rotgrünen Bündnisse im Vorfeld der Stichwahl läßt sich parteipolitisch sagen: Das linke Lager wird grün. Ob es auch mehrheitsfähig wird, ist aber völlig offen. Landesweite Wahlen entscheiden sich in Frankreich in der Provinz, etwa in den 30.000 Kommunen, die schon im ersten Wahlgang ihre Bürgermeister gewählt hatten. In der Stichwahl am Sonntag ging es um die restlichen 5.000 Kommunen, die freilich mehr als ein Drittel aller Wähler ausmachten.
Nichtwähler sind das Potential für kommende Urnengänge
Hierauf ruht die Hoffnung der Bürgerlichen und der Rechten. Die Republikaner haben im zweiten Wahlgang zwar keine spektakulären Siege eingefahren, aber in der Fläche und Masse sind sie jetzt die Partei mit den meisten Bürgermeistern und der tiefsten Verankerung im Land. Sie haben den ständigen Zersetzungs-und Teilungsbestrebungen der Präsidentenpartei widerstanden. Auch die Le Pen-Partei Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung) hat sich gut gehalten, nicht nur in Perpignan. Sie hat auch einige kleinere Städte und Gemeinden hinzugewonnen. Für Parteichefin Le Pen liegt der Schluß nah: Das Establishment ist uneins, wir sind in der Mitte der Bevölkerung angelangt. Viel wird für die RN davon abhängen, ob Macron die soziale und wirtschaftliche Krise nach Corona in den Griff bekommt.
Die historisch hohe Enthaltung – noch nie in der V. Republik blieben so viele Wähler zuhause – enthält auch ein Quantum Trost für Präsident Macron und seine Truppen. Für die Wahlen im nächsten Jahr (Departements, Regionen und Senat) und vor allem für die Präsidentschaftswahlen in knapp zwei Jahren lassen sich noch viele Prozente mobilisieren. Das wird Macron natürlich probieren, mit einem grüneren Anstrich der Regierung und stärkeren Ausgriffen nach rechts. Denn das hat die Krise schon gezeigt und Umfragen bestätigen es: Die Franzosen wollen weniger Abhängigkeit vom Ausland, insbesondere in Fragen der Gesundheit – Stichworte wären Masken und Medikamente aus China – und der Sicherheit. Die größten Sorgen drehen sich dabei konkret um die soziale Absicherung, die Kaufkraft, die Kriminalität, die Einwanderung. Man will die Souveränität des Landes zurück.
Dem wird Macron Rechnung tragen. Innenpolitisch wird sich das in der neuen Regierung vor allem programmatisch abbilden. Er kündigte schon am Montagvormittag an, 15 Milliarden Euro in die Umsetzung von 146 der 149 Vorhaben der nationalen Klimakonvention zu investieren. Teile des Programms könnten 2021 auch als Referendum dem Volk vorgelegt werden, was ihm eine neue Legitimation bescheren würde. Auch personell sucht er einen Neuanfang.
Berlin soll blechen
Allerdings haben die Grünen schon erklärt, daß sie der neuen Regierung nicht beitreten wollen. Sie schmieden an einem rotgrünen Bündnis auf nationaler Ebene. Knackpunkt wird sein, ob sie sich auf eine Galionsfigur für die Präsidentschaftswahlen einigen können. Schon am Wahlabend fiel mehrfach der Name von Anne Hidalgo, der Bürgermeisterin von Paris, die mit großem Vorsprung wiedergewählt wurde. Sie hielt noch am Abend eine Rede, in der sie Töne anschlug, die über eine Kommunalwahl weit hinausgingen: Hoffnung für alle, Demokratie wiederbeleben, die Republik restaurieren. Grünen-Chef Yannick Jadot zeigte sich skeptisch.
Außenpolitisch wird Macron darauf drängen, daß das EU-Krisenhilfsprogramm weniger aus Krediten denn aus Zuschüssen besteht, vielleicht sogar fast nur aus Zuschüssen. Mit anderen Worten: Berlin soll blechen. Da wird er in der Bundeskanzlerin eine willige Partnerin finden. Ob es ihn und seine Partei rettet, ist dennoch sehr fraglich. Die Kommunalwahlen haben gezeigt, daß die Präsidentenpartei LREM (La Republique en Marche) einige Persönlichkeiten aufweisen kann, etwa Premierminister Edouard Philippe, aber auf dem Land praktisch keine Rolle spielt. Philippe hat mit 58 Prozent so überzeugend in Le Havre gewonnnen, daß Macron eigentlich nicht mehr auf ihn verzichten kann, auch wenn er mißtrauisch die Popularität des Premiers beäugt, die anders als bei ihm in der Krise nur gewachsen ist.
Mehr noch: Die alte Spaltung des Landes seit der Großen Revolution in Rechts und Links, die Macron überwinden wollte, sie besteht fort. Das rotgrüne, linke Lager umgibt ein Hauch des Totalitären, man will mit Verboten und Steuern hantieren. Die Rechte will eine Entlastung der Bürger. Rechnerisch hat das Lager Mitte-Rechts eine Mehrheit. Macron wird versuchen, in diesem Lager Stimmen zu holen. Wenn es ihm gelingt, Antworten auf ökologische Themen und Gerechtigkeitsfragen glaubhaft zu vertreten, bleiben die grünroten Revolutionäre in der Opposition. Gleiches werden auch Le Pen und die Republikaner versuchen. „Ihr seid nicht die Eigentümer ökologischer Ideen“, warf der bürgerliche Politiker Jean Francois Cope dem Grünen-Chef Yannick Jadot am Wahlabend vor. Das wird man noch öfter hören, nicht nur in Frankreich.