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Meinung: Moral tötet den Frieden

Meinung: Moral tötet den Frieden

Meinung: Moral tötet den Frieden

Westfälischer Friede
Westfälischer Friede
Westfälischer Friede 1648: Radierung von Jan Luyken Foto: picture alliance/akg-images
Meinung
 

Moral tötet den Frieden

Schlechte Angewohnheiten sind zäh. Das gilt auch und vor allem bei der Moral. Das Auswärtige Amt definiert gerade Regeln, die Unternehmen beibringen sollen, was „menschenrechtliche Verantwortung im Zeitalter einer global verflochtenen Wirtschaft“ ist. Helfen würde ein Blick ins 17. Jahrhundert. Ein Kommentar von Thomas Fasbender.
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Schlechte Angewohnheiten sind zäh. Etwa die des deutschen Zeigefingers, sich bei jeder Gelegenheit in die erhobene Position zu recken. Das zeigt die gegenwärtige Diskussion des „Nationalen Aktionsplans ‚Wirtschaft und Menschenrechte“. Unter der Federführung des Auswärtigen Amts werden Regeln definiert, die deutschen Unternehmen beibringen sollen, was „menschenrechtliche Verantwortung im Zeitalter einer global verflochtenen Wirtschaft“ ist.

Anders ausgedrückt: Diplomaten (Rundum-Sorglos-Paket, unkündbar, beste Altersversorgung) wollen Unternehmern (Konkurrenzdruck, Überlebenskampf, Pleiterisiko) die Grenzen diktieren, die bei Auslandsgeschäften über die jeweils geltenden lokalen Gesetze hinaus zu beachten sind.

Deutschland war noch nie so gut wie heute – moralisch

Das Leitmotiv solcher Initiativen: Deutschland war noch nie so gut wie heute. Moralisch gesehen; in anderer Hinsicht waren wir schon besser. Das stört aber keinen großen Geist, solange es moralisch aufwärtsgeht. Ein Pastor als Präsident, eine Pastorentochter als Kanzlerin, ein Außenministerium, dessen Diplomaten die Menschenrechte anbeten – oder was sie dafür halten. Deutschland im 21. Jahrhundert: ein post-religiöser Gottesstaat.

Das wirkt sich auch im Verhältnis der Länder zueinander aus. Bevor Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Wochenende nach Teheran flog, ließ er die Öffentlichkeit wissen, im Iran einen moralischen Dialog über Abrüstung und Menschenrechte führen zu wollen. Er werde „darauf hinweisen, wie groß die Empörung gegenüber den mit Assad verbündeten Kriegsparteien angesichts der schrecklichen Lage in Syrien inzwischen in Deutschland ist“.

Völkerrecht gilt nur im Westen

Nun sind die Zeiten, als nicht-europäische Länder sich vom weißen Mann zurechtweisen ließen, lange vorüber. Bahram Ghasemi, Sprecher des iranischen Außenministeriums, riet den deutschen Diplomaten, wenn ihnen an einer engeren Zusammenarbeit gelegen sei, sollten sie vorsichtiger und besonnener mit ihren Äußerungen sein. In der deutschen Heimat hat Gabriel mit seiner klaren Kante Moralpunkte gemacht; der Preis war das geplante Treffen mit dem iranischen Parlamentspräsidenten Ali Laridschani. Der Gastgeber ließ sich entschuldigen. Der Minister wird wissen, was ihm – und Deutschland – wichtiger ist.

Ein ungern eingestandenes Erbe der Kolonialzeit ist, dass der Westen die strengen Regeln des Völkerrechts bis heute nur auf die engere europäische und angelsächsische Staatenwelt anwendet. Schon der Balkan (Bombardierung Serbiens 1999, Sezession des Kosovo) bildet einen Graubereich. Das Vorgehen in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und anderen Ländern der ehemaligen „Dritten Welt“ trägt die selbstherrlichen Züge der Kolonialzeit. Daran haben auch Völkerbund und Vereinte Nationen allenfalls in der Form, nicht jedoch im Kern etwas geändert.

Quasi-religiöser, „universaler“ Geltungsanspruch

Wenn es in der europäischen Geschichte eine Lektion gab, die gelernt und lange Zeit gelebt wurde, dann die von 1648. Nach Jahrzehnten grausamer Kriege im Namen der wahren Konfession, in Wirklichkeit jedoch um politischer und dynastischer Interessen willen, akzeptierte der Kontinent ein System, das jedenfalls die Religion als Kriegsgrund eliminierte.

Gut 350 Jahre später gilt die nationalstaatliche „westfälische Ordnung“ dem Zeitgeist als gestrig und überwunden. In der Tat spielen konfessionelle oder religiöse Spannungen auf dem europäischen Kontinent keine Rolle mehr (jenseits des Mittelmeers sieht das schon anders aus). Doch von Neuem legen die europäischen (westlichen Staaten) ihrer Politik weltanschauliche Kriterien mit einem quasi-religiösen, „universalen“ Geltungsanspruch zu Grunde. Nur beziehen die sich nicht mehr auf die Gottesdienst-Ordnung, sondern auf die Ordnung des Staats und der Gesellschaft im Namen von Demokratie, Freiheit, Menschenrechten und Moral.

Die entsprechenden Vorstellungen werden durchaus drastisch umgesetzt: angefangen mit Medienpropaganda und dem Under-cover-Einsatz von Nichtregierungsorganisationen bis hin zu Sanktionen und militärischen Maßnahmen. Wenn Russland heute im Syrienkonflikt an der Seite der formal legitimen Regierung steht und auf die westfälischen Grundsätze pocht, spielen natürlich auch machtpolitische russische Interessen eine Rolle.

Ansprüche der Moral für jeden selbst genügen

Für die westlichen Staaten, die in Syrien irgendwelche „gemäßigten“ Rebellen unterstützen, gilt das gleiche. Ihr Argument ist, daß die Rebellen ihre Macht moralischer, humaner oder anderweitig akzeptabler ausüben würden als die Regierung in Damaskus. Der vernunftbegabte Mensch darf das mit Fug und Recht bezweifeln. Zumal die Gegenpartei, also die Regierung, von sich das Gleiche behaupten kann. „Beweise“ liefern beide Seiten nach Bedarf.

Schon 1648 wußten die Menschen: Ein Glaubenskrieg kann nicht entschieden werden. Ebenso wenig ein Krieg um das Schöne, Wahre, Gute und Moralische. Ein solcher Krieg endet erst durch das physische Verschwinden einer der beiden Seiten. Er ist so sinn- und aussichtslos wie ein Krieg um den Bart des Propheten. Dann doch besser zurück zur guten, alten westfälischen Ordnung. Den Ansprüchen der Moral ist auch Genüge getan, wenn jeder sie für sich befolgt.

Westfälischer Friede 1648: Radierung von Jan Luyken Foto: picture alliance/akg-images
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