Die AfD hat sich im Fall Gedeon auf einen Kompromiß geeinigt. Für den Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt ist die Entscheidung nachvollziehbar, dennoch warnt er, in der Frage auf Zeit zu spielen. Es gehe darum, was die AfD sein wolle: eine staatstragende Partei rechts der CDU, oder eine Sammlungsbewegung von rechten Spinnern.
Herr Prof. Patzelt, droht der Fall Gedeon zur Nagelprobe für die AfD zu werden?
Patzelt: Ja. Hier entscheidet sich, wie ernst es der AfD damit ist, einen Trennstrich zwischen sich und dem rechten Narrensaum zu ziehen. Antisemitismus ist nämlich eine Haltung von Narren – und überdies von Verbrechern sowie von deren Sympathisanten.
Eine Entscheidung wurde nun bis September vertagt, eine kluge Entscheidung?
Patzelt: Vielleicht war sie das Klügste, was sich in jener verfahrenen Lage noch erreichen ließ. Doch es war töricht, die Dinge überhaupt auf einen solchen Showdown hintreiben zu lassen. Wer immer dazu beigetragen hat, legte parteischädigendes Verhalten an den Tag.
„Aus der Verzweiflung geboren“
AfD-Chef Meuthen hatte seinen Verbleib an der Fraktionsspitze mit der Entscheidung über den Ausschluß Gedeons verknüpft, nun aber vorerst keine Konsequenzen gezogen …
Patzelt: Jörg Meuthen hat sich ebenso um bisherige Autorität gebracht wie einst Barack Obama, als der im Syrienkonflikt erst eine rote Linie zog und sich dann doch nicht traute, sie zu überschreiten. Denn wer sich durchsetzen kann, braucht keine Drohungen vom Typ „er oder ich“; und wer dennoch so droht, legt sein politisches Schicksal in die Hände anderer – statt es selbst zu gestalten.
Gedeon ist nach wie vor Mitglied der Fraktion, der Status einer ruhenden Mitgliedschaft ist in der Geschäftsordnung des Landtags nicht vorgesehen.
Patzelt: Im Grunde besagt der Beschluß zu Gedeon nur: „Wir alle tun erst einmal so, als gehöre Herr Gedeon nicht mehr zu uns; und dann sehen wir weiter“. Falls das nur den Showdown verhindern sollte, war das ein aus Verzweiflung geborener taktischer Zug, der ein wenig Tage Nachspielzeit für eine dann nachhaltig tragfähige Entscheidung verschafft.
Falls mit jenem Beschluß aber die Hoffnung verbunden war, er werde den Streit um das Profil und die Glaubwürdigkeit der AfD einstweilen beenden, wird bittere Enttäuschung nicht ausbleiben. Im Gegenteil: Jetzt wird sich alles Interesse darauf richten, welche Rolle Gedeon im Landtag und in der AfD wirklich spielt!
„Die beste Führung beruht auf Autorität“
Ist es nachvollziehbar, eine Kommission zu beauftragen, die die Schriften Gedeons bewerten soll und die Entscheidung über seinen Verbleib in der Faktion von diesem Ergebnis abhängig zu machen?
Patzelt: Es gibt den trefflichen Satz: „Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ‘nen Arbeitskreis“. Ihn befolgend, ist die Absicht schon nachvollziehbar, die unvermeidliche Entscheidung drei Gutachtern zuzuschieben. Doch Sachverständige dürften schwerlich zu einem anderen Befund kommen als jenem, den der stellvertretende Sprecher der AfD Baden-Württemberg in der JUNGEN FREIHEIT veröffentlicht hat: Gedeons Aussagen über „Judaismus“ und „Zionismus“ erfüllen die Kriterien des Antisemitismus. Und aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist ein Abgeordneter schon einmal wegen wesentlich schlechter begründeter Vorwürfe ausgeschlossen worden …
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke meint, Meuthen habe in der Causa Gedeon „Führungsqualitäten“ gezeigt, teilen Sie diese Ansicht?
Patzelt: Die beste Führung ist jene, von der man nichts merkt – weil sie nämlich nicht auf Drohungen und Machtworten, sondern auf persönlicher Autorität und auf Argumenten beruht. Herr Meuthen hat, warum auch immer, seine Rolle anders gespielt. Freilich gehört zum Führungsprozeß auch die Bereitschaft der Geführten, auf Argumente zu hören und das seltene Gut praktischer Führungsautorität nicht zu gefährden.
Kann Meuthen die Fraktion nach der ganzen Angelegenheit überhaupt noch anführen, immerhin ist die AfD Oppositionsführer im Landtag?
Patzelt: Das hängt vom Fortgang der Ereignisse ab. Sollte Gedeon bis zum September im Landtag nicht mehr gesehen werden und sich auch nicht länger vernehmbar äußern, festigt das Meuthens Position. Andernfalls kommt es zum Abnutzungskampf gegen den Fraktionschef und Bundesprecher Meuthen, und zwar mit ganz ungewissen Erfolgsaussichten für ihn.
Persönliche Machtkämpfe
Wie könnte die AfD aus dieser verfahrenen Situation Ihrer Meinung nach noch herauskommen?
Patzelt: Nichts hindert Herrn Gedeon daran, sein Mandat niederzulegen und damit der AfD einen wichtigen Dienst zu erweisen. Und nichts hindert die baden-württembergische Landtagsfraktion daran, nach Sicherstellung entsprechender Mehrheitsverhältnisse ihren Beschluß zum Begutachtungsverfahren wieder aufzuheben.
Plausibles Argument wäre, daß man sich über die Möglichkeit einer „ruhenden Fraktionsmitgliedschaft“ getäuscht habe und, zutreffend informiert, gleich anders entschieden hätte. Und die politische Klugheit geböte es, sich – mit Bereitschaft zur wechselseitigen Gesichtswahrung – auf den einen oder anderen Weg zu machen. Das schlechteste Vorgehen wäre tatenloses Abwarten.
Geht es im Fall Gedeon Ihrer Meinung nach überhaupt um Rote Linien, über das, was in der AfD vertretbar ist und was nicht, oder ist die Angelegenheit nur Mittel zum Zweck, um innerparteiliche Machtkämpfe auszufechten?
Patzelt: Tatsächlich wurde das Ringen um die Durchsetzung einer wichtige „roten Linie“ von vielen AfD-Führern mit persönlichen Machtkämpfen verbunden. Es ist aber nur dann sinnvoll, Persönliches mit Politischem zu verknüpfen, wenn es um gleichermaßen plausible Alternativen innerhalb eines gemeinsamen Kurses geht.
Hier aber steht eine Frage zur Entscheidung an, bei der es gar keine inhaltliche Konkurrenz unter solche AfD-Führern geben dürfte, die ihre Partei als eine zweifelsfrei vernünftige und staatstragende Partei rechts neben der CDU aufstellen wollen – und eben nicht als eine Sammlungsbewegung von rechten Spinnern. Ist man sich aber hinsichtlich dieses Ziels einig, muß man einander auch bei der Durchsetzung eines entsprechenden Kurses in jedem Fall bedingungslos unterstützen.
Hat die AfD-Führung in dem Fall in Gänze versagt?
Patzelt: Das ist mein Eindruck. Mir scheint, daß da manche ihre eigenen Interessen und Loyalitätsinvestitionen für wichtiger genommen haben als jene Hoffnungen, die so viele AfD-Mitglieder und AfD-Wähler in die von ihnen geführte Partei gesetzt haben. Den politischen Gegner freut dieser Vorgang jedenfalls. Wer aber als Parteiführer genau diese Wirkung zeitigt, der hat sein Amt ganz gewiß unzulänglich ausgeübt.
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Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Jahrgang 1953, ist Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der TU Dresden. Seit 1992 hat er dort den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich inne. Er ist Mitglied im Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.