Der kleine, rechtsintellektuelle Jungeuropa Verlag war der Aufreger wenn nicht sogar der Mittelpunkt der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Dafür mußte er nichts weiter tun, als seinen angemieteten Platz in der Messehalle einzunehmen. Dieser ganz normale Vorgang wurde von großen Teilen des Kultur- und Medienbetriebs zum Skandal ausgerufen.
Sie betrachten die Frankfurter Buchmesse nicht als Marktplatz, als Forum, als Agora des Austauschs, der Debatte, des Meinungsstreits, sondern als Appellplatz, auf dem Ordnung zu herrschen hat, wo eine Handvoll allein seligmachender Meinungsparolen skandiert werden und ein „wokes“ Meinungslager seine totale Hegemonie und Macht demonstriert. Es ist beachtlich, daß diesmal die Messeleitung das zerschlissene Fähnlein der Meinungsfreiheit hochgehalten und dem eliminatorischen Gleichschaltungsfuror getrotzt hat.
Ohne diesen Furor wäre die Absage der Lesung der bis dato wenig bekannten, „afrodeutschen Serbokroatin oder serbokroatischen Afrodeutschen“ Jasmina Kuhnke nicht mal eine Fußnote wert gewesen. Zu durchsichtig war ihre gefühlte Bedrohung durch „Gewalt von rechts“ auf den PR-Effekt hin angelegt, zu unerheblich ist sie als Autorin. Auch hätte den allseits Empörten auffallen müssen, daß in der Vergangenheit ausschließlich rechte und konservative Verlage von Zerstörungsaktionen heimgesucht und die Betreiber des Antaios-Verlags 2018 sogar körperlich attackiert wurden.
Tanz um eine leere Mitte
Über den Theaterdonner geriet das selbstgestellte Thema der Messe in den Hintergrund: Die Schönheit der Vielfalt, der Diversität. Offenbar reicht die Vision der bunten Zukunftswelt nicht aus, um kollektive Begeisterung zu wecken und ein Feuerwerk der klugen Gedanken auszulösen. Tief im Innern ahnen viele, daß die „One world“ ein großer Bluff und auf jeden Fall ein großes Risiko darstellt. Außerdem gilt: Wo immer auf der Welt ein Unglück passiert, wird stets nach dem alten weißen Mann gerufen, der sein technisches Hilfswerk heranschaffen, vor Ort für Ordnung sorgen und das Überleben sichern soll.
Die Diversitätsapostel tanzen also um eine leere Mitte. Das Sinn- und Geistvakuum muß von einem Feind gefüllt werden: vom Rassisten, vom Rechten, vom Nazi. „Ich rede nicht mit Nazis. Ich höre Nazis nicht zu. Ich lese keine Bücher von Nazis“, verkündete Frau Kuhnke. „Eine wehrhafte Demokratie redet nicht mit ihren Feinden, sondern bekämpft sie“, trat ihr ein Kulturredakteur des Stern zur Seite und nutzte die Gelegenheit, dem Verfassungsschutz seinen tiefempfundenen Dank dafür auszusprechen, daß er einen anderen neurechten Verlag unter Beobachtung gestellt hat. Wer der „giftigen Ideologie der Rechten“ auf prominenten bürgerlichen Plattformen ein Podium biete, trage „zur weiteren Normalisierung und Verbreitung von Menschenhaß bei“, machte sich ein unscheinbarer Funktionär der Anne-Frank-Stiftung wichtig.
Nazis, Menschenhasser, Rassisten – die Begriffe sind ahistorisch, unscharf und beliebig. Es scheint sich um einen ewigen, allgegenwärtigen, metaphysischen Feind zu handeln, der immer da ist, sich ständig verkleidet und gegen den man sich im permanenten „Aufstand der Anständigen“ befindet. Den man braucht, um sich an ihm zu reiben und das Feuer zu entfachen, an dem die Gemeinschaft der Guten sich wärmen kann. Zweitens repräsentiert dieser Feind den blinden Fleck der eigenen Ideologien, das Verdrängte, die Gründe, warum die bunten Utopien niemals aufgehen werden. Die Schläge gegen den Feind gelten den heimlichen eigenen Zweifeln.
Absturz des Niveaus
Was bedeutet es für eine ehrwürdige Veranstaltung wie die Frankfurter Buchmesse, von diesem Hexensabbat beherrscht zu werden? Auf jeden Fall einen tiefen Absturz des Niveaus. Die alten Klagen, daß früher alles besser war, sind abgeschmackt, gewiß, aber man muß doch darauf hinweisen, daß auf früheren Messen Autoren wie Bachmann, Frisch, Mosebach oder Strauß die Gemüter beschäftigten. Diesmal erhaschten neben Kuhnke weitere im Verborgenen geblüht habende Geistesgrößen wie Annabelle Mandeng und Nikeata Thompson (Schauspielerinnen) oder Riccardo Simonetti (Influencer) eine enorme parasitäre Publizität, indem sie gleichfalls ihre Auftritte absagten.
Zu Kuhnkes Romandebüt „Schwarzes Herz“ gibt es – nach einem Durchblättern im Buchladen – nicht viel zu sagen. Im Deutschlandfunk war nachsichtig von einem „Bekenntnistext mit handwerklichen Mängeln“ die Rede. „Gutes und böses, rassistisches und solidarisches Personal sind deutlich voneinander unterschieden.“ Das ist ein untrügliches Merkmal der Kitschliteratur, zu deren Unterabteilungen der sozialistische Realismus zählte. Charakterfeste Parteifunktionäre trafen auf schleimige Agenten des Klassenfeindes. Die DDR-Autoren hatten sich bereits Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre von dieser primitiven Ästhetik, die ihnen von der Partei aufgezwungen worden war, emanzipiert. Jetzt findet eine reaktionäre Rolle rückwärts in eine Primitivität neuen Typus statt.
Erschienen ist das Buch im Rowohlt-Verlag, der die Bedrohungslegende während der Messe ausdrücklich unterstützt hat. Es handelt sich um den Verlag, wo Fallada, Musil, Salomon, Tucholsky und viele andere große Autoren erschienen sind, der 1919 Kurt Pinthus’ legendäre Lyrik-Anthologie „Menschheitsdämmerung“ herausbrachte. Und jetzt? „‘Ich fühle mich bedroht von einem Bücherstand’, ist die letzte Zuflucht des Versagers“, war im Netz zu lesen. Zu den Versagern gehört die institutionalisierte Öffentlichkeit im Zustand der Idiotisierung.
Kulturkampf ist ein geistiger Bürgerkrieg
Was kann, darf, soll in dieser Atmosphäre noch gedeihen? Um das Ausmaß des Niveauverlusts zu erfassen, muß man sich nur den Vortrag „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“ zu Gemüte führen, den Hugo von Hofmannsthal 1927 im Auditorium Maximum der Universität München hielt. Mit der Literatur verband er die Hoffnung, „daß der Geist Leben wird und Leben Geist, mit anderen Worten: (daß sie) zu der politischen Erfassung des Geistigen und der geistigen des Politischen, zur Bildung einer wahren Nation“ beitragen würde. Sind den Schlachtrössern der Cancel Culture solche Sätze überhaupt noch verständlich?
Und was läßt sich auf das „Nazi!“-Gekeife erwidern? Klaus Mann schrieb in den gleichfalls bei Rowohlt erschienenen Memoiren „Der Wendepunkt“ über die NS-Parolen unmittelbar vor 1933: „Ich kapierte kein Wort.“ Lohnte es sich überhaupt, „den offenbaren Unsinn und frechen Aberwitz logisch zu widerlegen? … Aber vielleicht wurde in die Mysterien der Nazi-Seele nur eingeweiht, wer die Vernunft in sich überwunden, endgültig auf sie verzichtet hatte? War man noch nicht so weit, so konnte einem wohl etwas beklommen zumute werden angesichts von soviel Dummheit und Lüge.“ Man braucht zum aktuellen Verständnis der Sätze nur die politischen Vorzeichen zu wechseln.
Als Buch zur Stunde ist im Jungeuropa Verlag der Titel „Kulturkampf. Moralischer Universalismus statt Selbstbehauptung?“ des Politikwissenschaftlers Lothar Fritz erschienen. Offiziell geht es, so die Kernaussage, um Demokratie, Rechtsstaat, Diskurs und Teilhabe, doch in Wahrheit versucht eine unheimliche Allianz aus globalen Profitinteressenten und linken Ideologen der partikularen Selbstbestimmung – der Volkssouveränität – den Todesstoß zu versetzen. Der Kulturkampf ist ein geistiger Bürgerkrieg.
Wie weit man sich den unmittelbar, über die kalte Analyse hinaus, zumuten will, ist ein Ermessensfrage, die man sich täglich neu stellen muß. Im konkreten Fall haben sowohl Jasmina Kuhnke als auch der attackierte Verlag gewonnen. Beide haben über die eigene Blase hinaus Bekanntheit erlangt. Wiederholen läßt sich das nicht – nicht für den Verlag. Der Kräfteverschleiß wäre zu groß. Es ist damit zu rechnen, daß die Wokeness-Aktivisten ihre Anstrengungen, die Frankfurter Buchmesse zu einem Ort ideologischer Reinheit zu machen, verdoppeln werden.