Ein Jahr nach dem Wahlchaos in Berlin auf Bundes- und Landesebene halten zahlreiche Kritiker die Ergebnisse noch immer für ungültig, illegitim sowie grundgesetzwidrig und fordern Neuwahlen. Darunter der frühere Parlamentarier im Abgeordnetenhaus und heutige Gewerkschaftschef Marcel Luthe. Er war einer der Ersten, der die Wahlergebnisse vom 26. September 2021 angefochten hatte.
Nun hofft er auf Bewegung in der Sache und Neuwahlen in der Hauptstadt. Am Mittwochvormittag verhandelt der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Einsprüche gegen die Gültigkeit der damaligen Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen der Stadt. Die Beschwerdeführer, darunter Vertreter der Landeswahlleitung sowie der AfD, sollen die Möglichkeit erhalten, Versäumnisse zum Wahlgeschehen und damit verbundene Rechtsfragen vorzutragen. „Aber eben nicht meinen Einspruch“, kritisierte Luthe im Vorfeld der öffentlichen Sitzung, die in einem Hörsaal der Freien Universität stattfindet.
Wahlprotokolle in Bananenkisten verpackt
Seine Recherchen, die er mit Einsichtsrechten durchsetzen konnte, förderten bereits etliche Belege für die Ungültigkeit der vergangenen Berliner Wahl zu Tage. „Ich habe versucht, die öffentlichen Protokolle aus jedem einzelnen der über 2.000 Wahllokale zu bekommen“, sagte Luthe. Vorgefunden habe sein Team teils lose, in Bananenkisten verpackte Papiere.
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Auf dem Foto ist eine Wahlniederschrift zu sehen, auf der viele Unterschriften des Wahlvorstandes fehlen. Diese sind aber zwingend notwendig, um die Gültigkeit einer Abstimmung zu dokumentieren. „Wer im Wahllokal wählt, wird im Wählerverzeichnis abgehakt“, schilderte der ehemalige FDP-Abgeordnete ein weiteres schweres Versäumnis. „Vielerorts wurde die Stimmabgabe aber einfach nicht erfaßt. Die Wählerverzeichnisse selbst liegen dem Verfassungsgericht nicht vor, so daß eine Manipulation unbemerkt geblieben wäre.“ Dies sei ein klarer Wahlfehler.
„Wer hat geprüft? Offensichtlich niemand!“
„Wer hat geprüft, ob dieses Protokoll den gesetzlichen Anforderungen genügt? Offensichtlich niemand!“, sagte der seinerzeitige Spitzenkandidat der Freien Wähler kritisch in Richtung der zuständigen Bezirkswahlämter. „Wer kann sagen, ob die angeblichen Wahlergebnisse die Summe aller abgegebenen Stimmen sind? Offensichtlich niemand!“ Deshalb kämpfe er seit Monaten darum, daß das Verfassungsgericht diese Unterlagen prüfe und das Wahlchaos schlußendlich offiziell mache.
„Wie in meiner Anfechtung vorgetragen und auch offiziell dokumentiert, sind bei dieser Wahl statistisch hoch auffällig – insgesamt 7,5 Prozent – aller ausgegebenen Wahlscheine zur Briefwahl ‘nicht wirksam genutzt‘ worden“, schilderte Luthe Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl. Demnach sind im Vorfeld viele Wahlunterlagen zu spät per Post rausgeschickt worden. Er sieht allein aufgrund dieser Versäumnisse etwa 18.000 Erst- und Zweitstimmen, die dadurch nicht abgegeben werden konnten.
Wahlchaos bei Briefwahl könnte 18.000 Stimmen betreffen
Von den insgesamt bisher 35 eingereichten Einsprüchen gegen das Wahlchaos wolle der Berliner Landesverfassungsgerichtshof zunächst vier verhandeln. Um eine Entscheidung zu fällen, habe das Gericht drei Monate Zeit.
Zuvor hatte bereits im August der Wahlprüfungsausschuß des Bundestages die Wiederholung des Votums für betroffene Wahlbezirke bei der Bundestagswahl der Hauptstadt in Aussicht gestellt. Wie die Berliner Morgenpost jüngst berichtete, könnte am Ende das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das letzte Wort haben, was eine Neuwahl auf Bundesebene angeht. Eine solche könne 2023 an der Spree abgehalten werden.