In der Politik wird mitunter mit harten Bandagen gekämpft. Dies gilt vor allen in Wahlkampfzeiten und wenn eine relativ neue politische Kraft droht, den etablierten Parteien Wählerstimmen wegzunehmen. Der politische Streit endet in einer Demokratie aber eigentlich dort, wo die eingesetzten Mittel die vom Gesetz vorgesehenen Bahnen überschreiten. Oder wenn es um die Gesundheit geht – sollte man zumindest meinen. Denn der Fall einer AfD-Bundestagskandidatin in Baden-Württemberg läßt daran Zweifel aufkommen.
Andrea Zürcher wurde vor zwei Wochen von den AfD-Mitgliedern aus den Landkreisen Waldshut und Breisgau-Hochschwarzwald zur Wahlkreiskandidatin für die Bundestagswahl nominiert. Die 37jährige ist seit 2016 in der AfD, stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands Konstanz und arbeitet unter anderem für die AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel.
„Mir sind die Tränen gekommen“
Die gelernte Kauffrau leidet an einer chronischen Krankheit und muß deshalb regelmäßig zum Arzt. So auch am gestrigen Donnerstag. Wie sie im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT erzählt, hat sie seit einem Jahr einen Hausarztvertrag bei einer Gemeinschaftspraxis in Stühlingen, bei der sie seit zwei Jahren Patientin ist. Der Arzt habe ihr bei ihrem jüngsten Besuch unvermittelt den Vertrag gekündigt. Der Grund: ihre politische Meinung.
Aus der Zeitung habe er erfahren, so schildert es Zürcher, daß seine Patientin für die AfD kandidiere. „Er meinte, das Vertrauensverhältnis sei dadurch zerstört und er könne bei meiner Behandlung nicht mehr 100 Prozent geben.“ Nur in medizinischen Notfällen werde er eingreifen, ansonsten solle sie sich einen anderen Hausarzt suchen.
„Ich war noch nie in meinem Leben so sehr geschockt. Mir sind die Tränen gekommen“, sagt Zürcher. Sie habe sich bisher nie vorstellen können, daß es so etwas in Deutschland gebe. „Es ist gleichermaßen erschütternd wie ernüchternd, in welcher Offenheit die vermeintlich tolerante – von sich selbst als bürgerliche Mitte sprechende – Gesellschaft ungeniert und vor Publikum medizinische Versorgung vom eigenen politischen und ideologischen Ideal abhängig macht“, klagt die AfD-Politikerin.
Arzt: „Kein Kommentar“
Kündigt ein Arzt tatsächlich den Vertrag mit einer regelmäßig anwesenden Patientin, weil diese für die aus seiner Sicht falsche Partei kandidiert? Eine Anfrage der JF an den betreffenden Mediziner ergab nichts. Der Anruf endete nach wenigen Sekunden mit den Worten: „Kein Kommentar.“ Auch ein weiteres Nachhaken änderte nichts.
Die AfD-Kandidatin Zürcher erstattete unterdessen am Freitag Anzeige bei der Polizei wegen Diskriminierung und aller weiteren in Frage kommenden Straftaten. Laut Grundgesetz darf in Deutschland niemand aufgrund seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden.
Daß ein Arzt den Vertrag mit einer Patientin kündigt, ist ungewöhnlich. Denn Hausärzte sowie die Krankenkassen profitieren von solchen Vereinbarungen. Erstere erhalten Prämien von den Kassen, wenn sie Patienten längere Zeit an sich binden können. Und letztere sparen dadurch, weil die Patienten kein „Ärztehopping“ betreiben, also von einem Facharzt zum nächsten gehen, sondern erst mal zu ihrem Hausarzt, der sie dann gezielt zu einem Kollegen weiterleitet. Eine Antwort auf eine Anfrage der JF an die betreffende Krankenkasse von Andrea Zürcher steht noch aus.
AfD am stärksten von Angriffen betroffen
Daß die AfD direkt und indirekt benachteiligt wird, ist nicht neu. Vor allem seitdem sie im Bundestag und in allen 16 Landesparlamenten vertreten ist, werden immer wieder Fälle bekannt, bei denen bisherige politische Gepflogenheiten über Bord geworfen werden, wenn die AfD davon profitieren könnte. Die derzeit größte Oppositionspartei im Bundestag ist auch seit Jahren am stärksten von Angriffen gegen Personen, Immobilien oder Wahlplakate betroffen.
Daß nun selbst Ärzte eine Behandlung verweigern, weil eine Patientin für die AfD kandidiert, wäre allerdings eine neue Stufe.