Eine Rose dröhnt nicht, wenn sie verwelkt. Im deutschen Mittelstand hat solch ein leises Sterben eingesetzt, das öffentlich noch kaum wahrgenommen wird. Das liegt auch an den verzögernden Maßnahmen wie Insolvenzverschiebung, Kurzarbeitergeld, Sonderhilfen oder Steuerstundung – alles Maßnahmen, die den Betroffenen kurzfristig helfen, aber abgerechnet wird am Schluß.
Inzwischen rechnen seriöse Wirtschaftsforschungsinstitute damit, daß jeder fünfte bis jeder vierte Betrieb nicht überleben wird. Manche Branchen sind mehr betroffen, andere weniger. Der sich schon seit langem dahinziehende Lockdown verlängert für so manchen nur das Siechtum, wenn er sich nicht bereits entschlossen hat, den Betrieb aufzugeben, bevor er zu tief in den roten Zahlen steckt.
Firmen vertrauen einander nicht mehr so stark, weil sie nicht wissen, ob der andere nicht schon mit einem Bein in der Insolvenz steht und sie auf ihren Rechnungen sitzenbleiben. So mancher, der nach dem Lockdown im Frühjahr investierte, sieht sich um diese Investition und Hoffnung betrogen, nachdem im November wieder alles zugemacht wurde.
Ganze Branchen haben bald ein Jahr Berufsverbot
Inzwischen redet die Politik über eine Öffnung nicht vor März. Diese Salamitaktik ist ein Sterben in Scheibchen. Wovon sollen die Leute leben? Sie haben ihre Rücklagen für das Alter in die Firma gesteckt, weil sie die Firma im Schweiße ihres Angesichts ein halbes oder ganzes Arbeitsleben lang aufgebaut haben. Dabei haben sie auf vieles verzichtet, denn sobald man den ersten Mitarbeiter eingestellt hat, hat man eine so viel größere Verantwortung als zuvor. Stemmt der Unternehmer die Kosten, die er trotz Kurzarbeitergeld noch hat, wenn er seine Mitarbeiter nach Hause schickt? Für ein oder zwei Monate: ja, vielleicht.
Manche haben ein faktisches Berufsverbot seit März: Messebauer zum Beispiel oder Musiker. Die ganze Eventbranche liegt darnieder. Wenn die Betroffenen einen Minijob suchen, um etwas zu verdienen, stoßen sie auf die Konkurrenz der Studenten, deren übliche Tätigkeitsfelder, Kinos oder Lokale, auch zu sind. Insbesondere Soloselbständige haben oft wenig Eigenkapital oder große Reserven, von denen sie ein Jahr oder länger zehren könnten.
Sie verkaufen ihre Arbeitskraft – gerade so wie ein Arbeitnehmer, nur eben in eigener Verantwortung. Ihr Risiko, im Alter arm zu sein, wächst in diesen Zeiten beträchtlich. Diese Reserven waren für das Alter oder würden für den Neubeginn gebraucht. Wir hatten 2020 mehr als zwei Millionen Soloselbständige. Es ist offen, wie viele es schaffen werden, 2021 zu überstehen.
So geht es auch vielen kleineren Unternehmen. Da werden die Rücklagen angegriffen, die natürlich auch mal bei einem kurzzeitigen Einnahmeeinbruch abfedern sollen, aber nicht auf Dauer. Sie sind auch dazu da, neue Produkte zu entwickeln, sich neue Märkte zu erschließen, die Maschinen oder die IT zu modernisieren und die Mitarbeiter zu schulen. Viele müssen sich zügig umstellen, zum Beispiel Zulieferer in der Automobilindustrie. Manche geben eine Beschäftigungsgarantie, weil sie auf ihre guten Mitarbeiter angewiesen sind. Der Mittelstand lebt davon, daß seine Mitarbeiter qualifiziert sind.
Viele kleine Firmen sind abhängig von großen Industrien
Kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) beschäftigen gut zwei Drittel der sozialversicherungspflichtigen Berufstätigen. KMU, also Firmen mit weniger als 250 Mitarbeitern, stellen mehr als 95 Prozent der Firmen in Deutschland. Ganz viele sind eng miteinander verflochten und verbunden.
Viele Freiberufler und Handwerker arbeiten für Firmen im produzierenden Gewerbe: Elektriker und Klempner mit Architekten und Baufirmen oder Motorenbauer mit Fräsern. Steht eine Firma wie ein Zahnrad im Getriebe still, stocken auch die anderen. Kommen die Teile aus anderen Ländern nicht, können auch die deutschen Zulieferer ihre Teile nicht verkaufen.
Außerdem ändert sich die Marktlage in der Automobilbranche gerade dramatisch: Große deutsche Automobilbauer gehen nach China. Ob deutsche Zulieferer bei französischen, italienischen oder spanischen Autobauern, die in Zukunft mit Unterstützung der Amerikaner den EU-Binnenmarkt abdecken wollen, punkten können, ist zumindest offen.
Der Einzelhandel wird mal zu- und mal aufgesperrt. Gerade ist er wieder zu. Wer Kleidung oder Schuhwerk handelt, der sitzt jetzt auf der Winterware. Die Erlöse aus dieser Winterware sollten eigentlich die Sommerware bezahlen, die schon im Sommer letzten Jahres bestellt werden mußte. Das wird so nicht aufgehen. Aber wie dann? Und wird die Kaufneigung oder auch Kaufkraft der Leute überhaupt wieder steigen? Die Lage ist und bleibt doch ungewiß. Die Regierung sieht sich nicht imstande, irgendeine Art von Ausstiegsszenario zu erarbeiten.
Die Leistungsgesellschaft hat ausgedient
Die Impfung sollte alles retten. Das hat sie mit großem Eifer völlig verstolpert. Erst wurden die Menschen förmlich zu Tode erschreckt, so daß sich viele zu Hause verkriechen. Dann vergeigt die Regierung die Impfversorgung grandios und verlängert deshalb all diese gesellschaftlich und wirtschaftlich selbstmörderischen Maßnahmen. Sie schindet Zeit, wofür auch immer.
Zeit, die alle anderen, die ihr Geld nicht am Monatsersten pünktlich und in voller Höhe vom Staat überwiesen bekommen, nicht haben. Sie sind übrigens die, die dieses Geld erarbeiten und über Steuern an den Staat überweisen. Der überbrückt derweil mit Krediten, spart aber nirgendwo erkennbar ein, sondern will noch mehr Schulden aufnehmen. Wer soll die große Aufbauleistung nach diesem Fiasko übernehmen? Der ausgedünnte und neu verschuldete Mittelstand? Die große Botschaft dieser Regierung lautet: Anstrengung und Fleiß lohnen sich nicht mehr. Die Leistungsgesellschaft hat ausgedient.
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Antje Hermenau ist selbständig und Senatsbeauftragte für Sachsen des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW).
JF 8/21