Herr Teske, verbreitet der öffentlich-rechtliche Rundfunk Haß und Hetze?
Alexander Teske: Meiner Auffassung nach nein.
Ist der Vorwurf in Ihren Augen absurd oder können Sie ihn – auch wenn Sie ihn nicht teilen – verstehen?
Teske: Mir ist natürlich bewußt geworden – nachdem ich mich nun intensiver damit beschäftigt habe und sich mein Blick auf den ÖRR, seit ich aus der „Tagesschau“ ausgeschieden bin, verändert hat –, daß Menschen das anders beurteilen als ich. Dennoch schrecken mich so harte Worte ab. Ich versuche grundsätzlich, mich ausgewogen auszudrücken und vermeide Begriffe wie Propaganda, Lügenpresse etc.
Ist es denn „hart“, etwas Propaganda oder Lüge zu nennen, wenn es die inhaltliche Definition dafür erfüllt?
Teske: Letztlich ist es natürlich Interpretationssache. Man kann es durchaus auch so sehen, daß der ÖRR Propaganda macht. Ich meide den Begriff dennoch, weil er mich an den Kommunismus oder Nationalsozialismus erinnert.
„Eine echte Qualitätskontrolle habe ich bei der Tagesschau nicht erlebt“
Die Bedeutung des Wortes Propaganda richtet sich nicht nach dem, was im Kommunismus oder Nationalsozialismus stattgefunden hat, sondern nach der Definition des Begriffs im Wörterbuch.
Teske: Natürlich kann man sagen, daß der Tatbestand der Propaganda auch schon im Fall einer gewissen Beeinflussung erfüllt ist. Und wenn man kritisiert, der ÖRR trage nicht zur Versöhnung der Gesellschaft bei, sondern spalte, dann ist da auch etwas dran. Aber daß er „Haß und Hetze“ verbreitet, würde bedeuten, der ÖRR macht das bewußt und gezielt – und das würde ich vehement verneinen.
Wenn der ÖRR etwa behauptet, die alternativen Medien verbreiteten „Haß und Hetze“, ist das dann nicht Haß und Hetze? Und ja, „bewußt und gezielt“, denn versehentlich formulieren dessen Journalisten ja nicht so.
Teske: Wenn pauschal gesagt wird, Alternativmedien versprühen Haß und Hetze, dann ist das exakt so ein Narrativ, wie ich es nicht gut finde. Aber ebenso ist es mit dem ÖRR: Man kann ja sagen, hier stellt er etwas sachlich falsch dar oder dort ist ein Inhalt unzulässig meinungsmäßig eingefärbt etc. Aber zu leugnen, daß es beim ÖRR nicht auch korrekte, abgewogene und qualitativ gute Inhalte gibt, ist sachlich einfach falsch.
Mein Buch übt ja nun wirklich viel Kritik am ÖRR, aber ich zeige auch, daß es dort professionelle Leute gibt, die sich bemühen, Qualitätsjournalismus zu machen. Und daß wir uns, trotz der Kritik, alle am ÖRR orientieren, zeigt, daß dort nicht alles falsch sein kann.

In Ihrem Buch „Inside Tagesschau“ stellen Sie unter anderem dar, wie „ARD aktuell“, also die Redaktion, zu der die „Tagesschau“ gehört, im Fall von „Correctiv“ und der angeblichen Wannseekonferenz 2.0 von Potsdam massiv Falschinformationen verbreitet hat.
Teske: Mir ist wichtig, daß kein falscher Eindruck entsteht: Wenn man nun liest, die ARD-Berichterstattung zu Potsdam war falsch, kommt man womöglich zum Schluß, es habe eine Anweisung dazu von oben gegeben. Dem ist aber nicht so, und ich versuche im Buch zu zeigen, wie es wohl tatsächlich zu der Falschberichterstattung kommen konnte.
Nämlich?
Teske: Bei der „Tagesschau“ wird nur wenigen bekannt gewesen sein, wer oder was „Correctiv“ ist. Folglich wurde nicht so genau darüber nachgedacht. Zuständig für Potsdam ist der RBB, der einen Redakteur losschickte. Es ist unüblich, daß die „Tagesschau“-Redaktion selbst dazu intensiv recherchiert. Natürlich war das ein Fehler, denn wie sich zeigte, hätte man das tun müssen. Aber ich glaube, letztlich ist schlicht eins zum anderen gekommen, was dazu führte, daß man die Dinge unkritisch so übernommen hat, wie sie von „Correctiv“ dargestellt wurden.
Aber genau deshalb gibt es doch einen ÖRR, damit eben nicht so vorgegangen wird, sondern zuverlässige Informationen erarbeitet werden.
Teske: Ja, und unzweifelhaft war das ein Versäumnis. Und ein noch größeres Versäumnis war, daß man später, als die Gerichtsurteile fielen, nach denen die Berichterstattung der „Tagesschau“ in Teilen falsch war, diese nicht korrigiert wurden.
Sondern man stattdessen sogar weitere Prozesse anstrengte und vor Gericht mit dem kruden Argument auftrat, daß eine Verurteilung zu Kritik am NDR führen könne. Es gebe keinen legitimen Anlaß für Gerichte, „sich in eine öffentliche Debatte mit Verboten einzumischen“.
Meiner Auffassung nach muß man Fehler natürlich aus dem Netz löschen beziehungsweise richtigstellen. Und in anderen Fällen macht die „Tagesschau“ das ja auch. Daß man sich im Fall Potsdam dagegen mit Händen und Füßen gewehrt hat, kann ich nicht nachvollziehen.
„Fußball gucken, Schach spielen, Urlaub planen – in der Arbeitszeit“
Zeigt das eben nicht, daß es sich letztlich gar nicht um Fehler handelt, sondern um eine Art Vorsatz: Man wollte den „Correctiv“-Text gar nicht kritisch hinterfragen, vermutlich weil man ihn innerlich begrüßte. Im übrigen: Der „Correctiv“-Artikel erforderte keine Überprüfung durch Recherche. Es reichte, ihn aufmerksam zu lesen, um zu erkennen, daß er für seine Behauptungen keine Belege enthält. Auch das läßt eigentlich nur den Schluß zu, daß die „Tagesschau“ die Behauptungen gar nicht hinterfragen wollte.
Teske: Ich weiß natürlich nicht, wie intensiv die Kollegen den Artikel damals gelesen haben. Erhellend finde ich die Relotius-Affäre des Spiegel, in der ein renommiertes Nachrichtenmagazin über Jahre getäuscht wurde und allen, inklusive Chefredaktion, nichts aufgefallen ist. Warum? Weil Relotius schrieb, was sie lesen wollten. Er hat das erwünschte Narrativ, die eigene Weltsicht bestätigt.
Und so stelle ich mir das auch im Fall „Correctiv“ vor. Auch bei der „Tagesschau“ beugen sich nicht Dutzende Leute stundenlang über jedes Stück, und so geht man in die Falle, zu glauben, was man glauben will. Ich weiß, viele Bürger denken: „Oh, das ist ‘Tagesschau’: da gibt es akribische Arbeit und strenge Qualitätskontrolle!“ Dazu kann ich nur sagen: Eine echte Qualitätskontrolle habe ich in sechs Jahren dort nicht erlebt. Oft hat Falschberichterstattung also ganz banale Ursachen.
Ein Umstand, den Sie in Ihrem Buch immer wieder kritisieren.
Teske: Ja, denn eigentlich sollte es so sein, wie es sich die Bürger vorstellen. Jeder dort sollte ein hohes Berufsethos haben. Gerade weil die Tagesschau als das deutsche Nachrichtenflaggschiff eine solche Reichweite und damit auch enorme Verantwortung hat: Man ist sich ja bewußt, daß zum Beispiel sonntags, wenn danach der „Tatort“ folgt, zehn Millionen Menschen zuschauen.
Und einige dort haben das auch, aber längst nicht alle – mancher ist einfach damit beschäftigt, während der Arbeitszeit Fußball zu gucken, etwas Schach zu spielen, seinen Urlaub zu planen oder im Internet zu shoppen. Das war für mich schon ziemlich erschreckend – aber es gehört nun mal leider zur Wahrheit dazu.
Ebenso wie der Umstand, den Sie im Buch schildern: die mehrheitlich linksgrüne Prägung der Redaktion. Wie schwerwiegend ist diese aus Ihrer Sicht?
Teske: Es ist klar, daß auch „Tagesschau“-Redakteure ein Recht auf eine persönliche politische Meinung haben. Aber ich finde, man muß bei der Wahrheit bleiben, egal worüber man berichtet. Und das war aus meiner Sicht immer wieder nicht so, zum Beispiel beim Umgang mit der AfD.
Ich glaube, ich gelte heute so manchem bei der „Tagesschau“ als AfD-U-Boot, weil dort das Mißverständnis vorherrscht, wer für Fairneß gegenüber dieser Partei plädiert, müsse einer von ihnen sein. Tatsächlich aber hat das mit der AfD gar nichts zu tun, vielmehr werbe ich für Fairneß gegenüber jeder Richtung. Aber daß das nicht nur sie, sondern auch die AfD einschließt, ist für viele Linke wahnsinnig schwer auszuhalten.
Was mich in puncto Fairneß übrigens am meisten entsetzt hat, war der Fall Sylt. Daß die Ausländer-raus-Gesänge dort vor einem Jahr eine große Geschmacklosigkeit und unsäglich waren, steht außer Frage. Aber sie waren eine reine Privatangelegenheit: Keiner der Beteiligten hatte eine öffentliche Position.
Und was immer man von den Gesängen halten mag, es waren vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckte Äußerungen. Dennoch wurde so darüber berichtet, daß es zu härtesten persönlichen Folgen für die Betroffenen kam.
„Gewaltbereite Linksextremistin Lina E. – eine ‘verdiente Antifaschistin’“
Inzwischen haben auch etablierte Medien Kritik an der Darstellung des Potsdamer Treffens oder der Sylt-Sache geübt. Wird so etwas bei der „Tagesschau“ zum Anlaß genommen, Fehler zu reflektieren?
Teske: Nein, zumindest habe ich nie erlebt, daß etwa gesagt wurde: Das haben wir offenbar falsch dargestellt, das bewerten wir heute anders, blicken wir kritisch auf die Rolle, die wir dabei gespielt haben! Dabei gab es dafür wirklich viele Anlässe, allein wenn ich an die Corona-Zeit denke.
Oder erinnern Sie sich an das Buch von Richard David Precht und Harald Welzer „Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird – auch wenn sie keine ist“, das 2022 Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste erklomm: das hätte man ja auch mal zum Anlaß nehmen können, sich kritisch zu hinterfragen.
Etwa in der Ukraine-Berichterstattung: Ist unser Diskurs da vielleicht verengt? Aber ich habe ja nicht einmal einen Kollegen getroffen, der das Buch auch nur gelesen hätte.
Gibt es denn keine Gewissensbisse, spätestens wenn auffliegt, daß man falsch berichtet hat?
Teske: Sich selbst zu hinterfragen ist bei der „Tagesschau“ so wenig ausgeprägt, daß ich gar nicht sagen kann, wie die Kollegen darüber denken, ob sie moralische Gewissensbisse haben – einfach weil das nie Thema war. Ich würde annehmen, nein. Oder nehmen Sie in dem Zusammenhang den Fall, den ich im Buch beschreibe, als es um die Benennung der Linksextremistin Lina E. ging.
Teske: In der Redaktion wurde gewitzelt, daß man sie in der Berichterstattung, statt als Linksextremistin doch angemessener als „verdiente Antifaschistin“ benennen sollte, was zu Heiterkeit führte. Schließlich wurde sie als „mutmaßliche“ Linksextremistin bezeichnet, wie das bei der „Tagesschau“ häufig passiert, wenn Linksextremisten vor Gericht stehen, während bei Fällen von Rechtsextremisten das „mutmaßlich“ fehlt.
Der Vorschlag „verdiente Antifaschistin“ war so ein Moment, der hinter die Fassade blicken ließ und zeigte, wie gedacht wird – von solchen Leuten können Sie kaum kritische Selbstreflexion erwarten. Übrigens habe ich gar kein Problem mit links, schon weil ich selbst aus der linksliberalen Ecke komme. Aber ich habe gleichwohl immer das Gefühl gehabt, daß eine Parteilichkeit in der Berichterstattung falsch ist.
„Ein leicht pseudokritischer Blick, ja – aber ansonsten verbreitet man das Regierungsnarrativ“
Ist die „Tagesschau“ also linksradikal? Oder präziser: Hat ihre Redaktion ein Linksextremismus-Problem?
Teske: Wissen Sie, auf einer Podiumsdiskussion neulich mit Holger Friedrich von der Berliner Zeitung und dem sozialdemokratischen Urgestein Albrecht Müller vom Blog „Nachdenkseiten“ äußerte ich salopp: „Bei der ‘Tagesschau’ sind ja lauter Linke.“ Müller widersprach: „Wo bitte sehen Sie da Linke?“
Erst habe ich das nicht verstanden, aber im Grunde hat er recht. Eigentlich sind das Salonsozialisten. Zwar sind Konservative wie Merz oder Lindner für sie ein rotes Tuch, aber für echte Umverteilung sind sie nicht. Keiner dort setzt sich wirklich für Entrechtete ein, man kennt ja kaum welche. Und ich glaube auch nicht, daß jemand mit Leuten befreundet ist, die etwa Bürgergeld beziehen. Vielmehr arbeitet man seit Jahrzehnten bestens versorgt beim ÖRR und verdient 100.000 Euro im Jahr.
Diese Leute wollen die Gesellschaft nicht anzünden – das sind Besitzstandswahrer. Klar gibt es Sympathie für die Linke, aber deren eigentliche soziale Ziele teilt man nicht. In Wahrheit ist man bürgerlich und neigt den Grünen oder sonst der SPD zu.
Beide bildeten während Ihrer Zeit in Hamburg die Regierung. Der, kritisieren Sie in Ihrem Buch, stehe die „Tagesschau“ zu unkritisch gegenüber. Inwiefern?
Teske: Obwohl genau das eigentlich die Aufgabe von Journalismus ist, versteht sich die „Tagesschau“ nicht als jemand, der den Regierenden auf die Füße tritt. Ein leicht pseudokritischer Blick auf sie, ja – aber ansonsten verbreitet man das Regierungsnarrativ.
Und das würden die meisten Kollegen dort wohl auch gar nicht vehement bestreiten. Dazu gehört auch, daß man die Bürger in diesem Sinne erziehen will, auch wenn man das natürlich nicht offen sagt – aber so ist das Selbstverständnis vieler dort.
„Es gibt allerdings auch Kritik an der Tagesschau, die ihr unrecht tut“
Trotz aller Kritik und Vorwürfe verteidigen Sie im Buch die Tagesschau auch. Warum?
Teske: Eigentlich habe ich ja gar keinen Grund mehr, sie zu verteidigen. Die haben mich im nachhinein richtig schlecht behandelt. Der ganze Umgang mit mir aufgrund meiner Kritik ist eigentlich unterirdisch.
Aber trotzdem bestehe ich darauf, das Gesamtbild zu sehen und zu zeigen – und das ist eben nicht nur schlecht. Und es gibt auch Kritik an der „Tagesschau“, die ihr unrecht tut oder sachlich einfach nicht zutrifft. Natürlich schreiben mir auch Kollegen, die sich nun von mir diffamiert glauben, und die vielleicht zu jenen gehören, die sich um seriösen Journalismus bemüht und auch gewagt haben, ab und an zu widersprechen. Auch ihnen gegenüber möchte ich fair sein.
Und ich glaube auch nicht, daß die Abschaffung des ÖRR die beste Lösung ist – besser wäre einer, der seiner öffentlich-rechtlichen Selbstverpflichtung gerecht wird. Es wäre ganz gut, wenn es neben den privaten Medien, die ja meist nur in der eigenen Blase konsumiert werden, auch solche gäbe, die uns alle zusammenbringen und durch die wir lernen, über unseren Tellerrand hinauszuschauen.
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Alexander Teske war von Anfang 2018 bis Ende 2023 Redakteur der „Tagesschau“ und zuvor 14 Jahre beim MDR. Zudem berichtete er für Sat.1, RTL, Pro 7, schrieb für Focus, Stern, Bild, taz und andere. Mit „Inside Tagesschau – Zwischen Nachrichten und Meinungsmache: angepaßt, aktivistisch, abgehoben“, dessen Rezension Sie hier lesen, gelang dem 1971 in Leipzig geborenen freien Journalisten auf Anhieb ein Bestseller.