Nun hat es also auch Jürgen Trittin erwischt: Der Spitzenkandidat der Grünen ist am Montag in den Sog der Pädophilie-Debatte geraten, mit der sich seine Partei seit Monaten herumschlagen muß. Trittin hat 1981 ein kommunales Wahlprogramm presserechtlich verantwortet, in dem eine teilweise Straffreiheit für sexuelle Kontakte von Erwachsenen zu Kindern gefordert wurde.
Alles Schnee von gestern, könnte man nun sagen, schließlich ist die Angelegenheit über dreißig Jahre her und Trittin hat sich ja nie selbst für die Legalisierung von Pädophilie ausgesprochen. Aus dem linksradikalen Aktivisten des Kommunistischen Bundes von einst ist längst ein sich seriös gebender Berufspolitiker im Anzug geworden, der aus seinen Ambitionen auf den Posten als Bundesfinanzminister kein Geheimnis macht. Es gibt wohl kaum ein Amt, das sich Trittin nicht zutraut. Keine Funktion, für die er sich nicht befähigt hält.
Wenn Moral gut ist, ist Doppelmoral doppelt so gut
Und genau diese Arroganz, gepaart mit einer ins Unerträgliche reichenden Portion Doppelmoral ist es, der die Grünen derzeit ihre sinkenden Umfragewerte zu verdanken haben. Wer stets mit erhobenem Zeigefinger argumentiert und sich auf das Feld der Moralpolitik versteift hat, muß sich irgendwann auch am eigenen Anspruch messen lassen. Das haben auch die Wähler erkannt.
Doch bei den Grünen hält man sich lieber an die Devise: Wenn Moral gut ist, ist Doppelmoral doppelt so gut. Vergessen sind ihre Vorwürfe aus dem Mißbrauchskandal der katholischen Kirche, als sie handfeste Konsequenzen forderten und kritisierten, die Kirche gebe immer nur soviel zu, wie gerade bekannt geworden sei.
Vergessen auch die unzähligen Rücktrittsforderungen an die politische Konkurrenz aus zum Teil nichtigstem Anlaß. Bislang hat noch kein Grünen-Politiker in der Pädophilie-Affäre persönliche Konsequenzen gezogen und Verantwortung für die unappetitliche Vergangenheit der Partei übernommen. Kein Daniel Cohn-Bendit, kein Volker Beck und auch kein Jürgen Trittin. Verfehlungen gibt es immer nur beim politischen Gegner.
Der Nimbus der vermeintlichen Anti-Partei ist längst dahin
Fehler in den eigenen Reihen? Fehlanzeige. Die Grünen sind verblendet von dem Erfolg, der ihnen in den vergangenen Jahren ohne große Eigenleistung zugeflogen ist und von den Sympathien, die ihnen vor allem in den Medien und im akademischen Milieu entgegengebracht wurden. Daß sich der Wind nun gedreht hat und sich die Grünen ohne moralischen Heiligenschein als das entpuppen, was sie sind – eine Partei wie jede andere – damit können die einstigen Verkünder einer angeblich besseren Welt nicht umgehen. Der Nimbus der vermeintlichen Anti-Partei ist längst dahin.
Doch genau das wollen die Grünen nicht wahrhaben. Und so macht Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke lieber die Medien und deren angebliche unfaire Berichterstattung für den mißlungenen Wahlkampf verantwortlich. Auch die bayerische Spitzenkandidatin, Magarete Bause, offenbarte ein erstaunliches Unvermögen an Selbstkritik und zog es nach der Wahlniederlage am Sonntag vor, sich in Wählerkritik zu üben. Eigentlich, so beklagte Bause, hätte man doch ein viel besseres Ergebnis verdient gehabt. Es ist wie immer bei den Grünen: Schuld sind stets die anderen.