Herr Dr. Weber, lange blickte die nach eigenem Verständnis preußisch korrekte Bundesrepublik herab auf Österreich, das im Ruf steht, das Mauscheln sei dort zu Hause. Müssen wir, nach allem was Sie und andere hierzulande aufgedeckt haben, umdenken?
Stefan Weber: Ich denke, daß in beiden Ländern die Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten sehr ähnlich war. Wenn man es vom Plagiatsproblem her betrachtet, offenbart sich viel: Verfall des Bildungsniveaus an Schulen und Unis, Fehl-Erziehung, die zur Produktion von Textsimulationen verleitet, eine ideologisch – fast immer linksgrün – verblendete Verlogenheit der Mainstreammedien sowie Scheinriesen und Hochstapler als Politiker, die wiederum Produkte der Universitäten sind.
Also keineswegs nur „Einzelfälle“. Wie schwerwiegend ist das Problem?
Weber: Es ist ein systemisches, das seit der Jahrtausendwende zunehmend besteht. Ich dachte lange, es handele sich um einen Systemfehler, doch mittlerweile bin ich überzeugt, daß es Systemwille ist.
Heißt?
Weber: Wie der Jurist Volker Rieble einmal sinngemäß sagte: Die akademischen Arbeiten werden immer länger, und keiner liest sie mehr. Seiten werden mit Quatsch und Plagiaten befüllt, und niemanden juckt es. Und der Philosoph Josef Mitterer meinte: Die Anzahl der Autoren übersteigt die der Leser.
Ich sage, das alles ist so gewollt, diese Massifizierung und Senkung der Qualitätsstandards. Und da Politiker oft schon mit Heuchelei und täglicher Verlogenheit sozialisiert werden, tendieren sie dann bei ihrer Promotion in erhöhtem Maß zum Plagiat.
Weber: „Unterlassungserklärung und Entschädigung von Minister Weimer gefordert“
Der jüngste Fall, dem Sie sich angenommen haben, ist der des Kulturstaatsministers Wolfram Weimer. Diesmal sind Sie sogar selbst betroffen. Inwiefern?
Weber: Den Fall hat ja der Journalist und Blogger Alexander Wallasch aufgebracht. Als ich bei ihm las, daß Weimers „The European“ Texte von Alice Weidel geklaut hätte, war mein Reflex: Das Magazin ist doch völlig unbekannt. Zu „meiner“ Geschichte wurde der Fall, als ich sah, daß es elf Beiträge und eine Autorenseite von mir auf der Online-Seite des „European“ gibt – nichts davon war mir bis vor einer Woche bekannt! Mein Anwalt hat mittlerweile eine Unterlassungserklärung und eine angemessene Entschädigung angefordert. Es ist übrigens nicht das erste Mal, daß ich selbst betroffen bin.
Nämlich?
Weber: Insgesamt drei Personen haben bereits aus meiner Doktorarbeit plagiiert, zwei davon haben deshalb ihren akademischen Grad verloren.
Muß Minister Weimer nach Ihrer Ansicht zurücktreten?
Weber: Natürlich, denn in dem Fall geht es mittlerweile um viel mehr, nicht mehr nur um offenbar gewerbsmäßig organisierten Content-Klau.
Sondern?
Weber: Das ist doch Wirtschaftsbetrug, wenn man mit „exklusiven“ Beiträgen zahlende Werbekunden gewinnen will, obwohl sie gar nicht exklusiv sind. Zudem steht der Verdacht des SEO-Betrugs im Raum, eine Art der Cyberkriminalität, die Suchmaschinenkriterien manipuliert. Weiters werden Weimers Wirtschaftsgipfel in Frankfurt und am Tegernsee zum Teil aus Steuergeldern finanziert.
Übrigens – mal unabhängig von der Frage des Diebstahls geistigen Eigentums – ist der Web-Auftritt des „European“ völlig unterirdisch. Ein Medienminister aber, der Medien nicht kann, ist doch eine hoffnungslose Fehlbesetzung. Zudem stellt sich – moralisch und nach Grundgesetzartikel 66, der Ministern Nebentätigkeiten verbietet – die Frage, ob Weimer als Fünfzig-Prozent-Gesellschafter seiner Mediengruppe überhaupt ein Ministeramt ausüben darf.
„Hätte ein linkes Portal den Fall Weimer aufgedeckt, wäre er binnen 48 Stunden zerlegt worden“
Wird er früher oder später über die Affäre stürzen?
Weber: Das hängt vom Wohlwollen der öffentlich-rechtlichen Medien und des Koalitionspartners ab. Derzeit gibt es einen breiten Schulterschluß um Weimer, da der „Angriff“ – schon alleine das Wort ist Schwachsinn – ja von einem angeblich rechten Blogger kam. Hätte ein linkes Portal die Sache aufgedeckt, wäre Weimer binnen 48 Stunden medial zerlegt worden.
Wozu dient aus Ihrer Sicht eigentlich diese Masche des „European“?
Weber: Selbstverständlich steckt dahinter der eigentlich tief traurige Versuch, über ein Blendwerk an Geld zu kommen. Eigentlich ein frühkapitalistisches Konzept, wie es jeder Linke verabscheuen müßte: Ganz unten stehen die Kopisten, wahrscheinlich sehr schlecht bezahlte Mitarbeiter Weimers, die die Texte aus dem Internet und aus Presseaussendungen lieblos zusammenfleddern.
Dann gibt es die Adabeis – also die, denen es ganz wichtig ist, auf irgendwelchen Promi-Konferenzen auch dabei zu sein –, die schon mal fast 3.000 Euro für ein Weimer-Event berappen, um einmal den Bundeskanzler ganz nah zu sehen. Und ganz oben lacht Weimer mit Anzug, Schlips und Swimmingpool am Tegernsee.
„Es geht diesem Typ Mensch null um die Sache“
Inwiefern ist der Fall symptomatisch für das von Ihnen eingangs als „systemisch“ diagnostizierte Problem?
Weber: Wie sagt man in Österreich so schön: „Das ist alles eine Melodie“ – vom Fall zu Guttenberg bis zu Weimer. Es ist immer derselbe Typ Mensch. Auf solche Leute bin ich auch in Wirtschaft und Wissenschaft immer wieder gestoßen: Denen geht es null um die Sache oder um Qualität. Ihr einziges Lebensziel scheint zu sein, anderen etwas vorzumachen.
Es liegt offenbar in der DNS dieser Leute. Sie brauchen das vielleicht auch aus Eitelkeit, aber meist ist es nur der Versuch, Geld zu machen. Wie man im Fall Weimer sieht, funktioniert es: 400.000 Euro Gewinn im Jahr 2023 für seine „Mediengruppe“ – und nun ein Ministerposten. Er ist an der Spitze angekommen, und nun fällt er hoffentlich.
Hierzulande bekannt wurden Sie bereits 2011 im Zuge der Plagiatsvorwürfe gegen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, obgleich diese ursprünglich nicht von Ihnen ausgingen. 2013 erhoben Sie allerdings Vorwürfe gegen CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert, später unter anderem gegen Annalena Baerbock oder Robert Habeck. Einige der von Ihnen Kritisierten verloren ihre akademischen Titel, andere nicht, wie Lammert und Habeck. Warum eigentlich nicht, denn aus Ihrer Sicht haben sie doch plagiiert?
Weber: Ja, das sogenannte „GuttenPlag Wiki“ hat ein anderer gegründet, aber ich war mit ihm vom ersten Tag an im Austausch und habe in den ersten Tagen die „Medienarbeit“ erledigt. Auch den Fall Lammert habe ursprünglich nicht ich aufgebracht. Anfangs haben die Universitäten noch gerade nach Plagiatsvorwürfen Titel aberkannt. Alleine 16 aberkannte Grade basieren auf Gutachten von meinem Team und mir. Doch schnell wurden den Unis die übersehenen oder gewollten Plagiate zu viel.
Parallel dazu trat nach der Jahrtausendwende die links-woke Ideologie ihren Siegeszug an. Nun hatte man ein wunderbares Argument, jeden Linksgrünen von vornherein zu verschonen. So erklärt sich der Ausgang etwa der Fälle Habeck oder Alexandra Föderl-Schmid, Ex-Vizechefredakteurin der Süddeutschen Zeitung. Mittlerweile gilt der Kampf um die gute wissenschaftliche Praxis als „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ aus der „rechten Ecke“ – es hat eine komplette Umwertung stattgefunden.
Das heißt konkret? Wie kritisch sind die Universitäten heute noch bei der Prüfung der Fälle?
Weber: Sie setzen in Ihrer Frage voraus, daß Universitäten nach Anzeigen prüfen.
„Man will der Plagiatsjagd ein Ende bereiten, aber nicht dem Plagiatsunwesen“
Das ist nicht der Fall?
Weber: Ich würde das mittlerweile bestreiten. Nur am Anfang meiner Tätigkeit war das so, etwa von 2006 bis 2011. Schon beim Plagiatsfall der Bundesbildungsministern Annette Schavan 2013 gab es prominente Stimmen aus der Wissenschaft, die forderten, der „Plagiatsjagd“ ein Ende zu bereiten, aber nicht dem Plagiatsunwesen.
Die Universitäten sind ein Spiegelbild des erschreckenden Zustands der Gesamtgesellschaft. Ich habe immer wieder erlebt, daß wer die Einhaltung der Qualität und Richtlinien einfordert, zum Störenfried erklärt wird. An den Universitäten herrscht das Akademisierungsdogma.
Also die zum Dogma gewordene Vorstellung, Akademisierung sei der einzige Weg zu Qualität und Erfolg.
Weber: In Österreich setzen Leistungsvereinbarungen mit dem Bund sowie die sogenannten „Wissensbilanzen“ systematisch einen falschen Anreiz durch die Politik: Je mehr Absolventen eine Universität hervorbringt, desto mehr Steuergeld erhält sie. Nach der Qualität aber fragt niemand.
In Ihrem Buch „Auf ‘Plagiatsjagd‘. Eine Streitschrift“ sprechen Sie mit Blick auf den Wissenschaftsbetrieb gar von „Pseudowissenschaft“ und „Hochschulkorruption“.
Weber: Ja, die Situation ist dramatisch geworden. Ich werde nie vergessen, wie mich als junger Student ein Professor anlächelte und meinte: „Was ich an Ihnen erstaunlich finde: Ihnen geht es wirklich um die Sache.“ Das galt an der Universität fast schon als eine Art Geisteskrankheit. Ein führender österreichischer Forscher sagte mir später: „Wenn Sie nur noch Plagiate sehen, müssen Sie zum Arzt.“ Ich ließ mich lange einschüchtern.
Mittlerweile weiß ich aber, daß das System zum Arzt muß. Hochschulkorruption ist weit verbreitet. Damit meine ich etwa unzulässige Tauschgeschäfte bei Stellenbesetzungen, widerrechtliche Verlängerungen befristeter Professuren oder bewußte Untätigkeit auf Kosten des Steuerzahlers. Auch Pseudowissenschaft, die sich nur an EU-antragskompatiblen Buzzwords orientiert, ist ein immenses Problem geworden.
„Mittlerweile gilt Regierungskritik als ‘rechte Hetzkampagne’“
Neben etlichen von Ihnen zu Recht aufgedeckten Plagiatsfällen beschuldigten Sie 2022 zu Unrecht den Münchner Rechtsmediziner Matthias Graw, wofür Sie sich später entschuldigten. 2024 warfen Sie Alexandra Föderl-Schmid vor, plagiiert zu haben. Kurzzeitig verschwand die Ex-„SZ“-Vizechefin, und es wurde gemutmaßt, sie hätte wegen der Vorwürfe Selbstmord verübt. Immer wieder wird Ihnen vorgeworfen, zum „Halali“ auf die von Ihnen Kritisierten zu blasen, ja „Kopfgeldjäger“ („Zeit“) oder gar Teil rechter Kampagnen zu sein, etwa weil Sie im Fall Föderl-Schmid im Auftrag von „Nius“ recherchiert haben. Was antworten Sie?
Weber: Natürlich, der Fall Graw war schmerzlich. Jemand hatte dem „Plagiatsjäger“ Martin Heidingsfelder und mir eine mit enormem Aufwand produzierte, fast 400 Seiten dicke Fälschung als vermeintliche Quelle eines späteren Plagiats untergejubelt und dieses Buch auch noch gezielt auf eBay plaziert. Ich kann das heute noch nicht glauben! Wäre es ein Drehbuch gewesen, hätte man wohl gesagt, das sei zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Mein Team und ich haben daraus gelernt.
Das Framing meiner Arbeit als „rechte Hetzkampagne“ setzte ein, als Julian Reichelt – erst als Bild-, dann als Nius-Chef – wiederholt als erster über meine Aufdeckungen berichtet hat. Es ist eine verlogene Kampfvokabel, nicht mehr. Mittlerweile ist in Deutschland ja jede Form der Regierungskritik eine „rechte Hetzkampagne“. Aufgrund der Brandmauer zur AfD sehen es Journalisten als ihre vordringliche Aufgabe an, die Regierung vor Kritik zu schützen. Das sind halt dann Zustände wie in einer Diktatur.
Was kann man dagegen tun?
Weber: Ich kann nun Gott sei Dank auf die neuen Medien zählen, auf Nius, Apollo News, JUNGE FREIHEIT, Tichys Einblick oder Kontrafunk. Das ist wichtig, weil ich auf Medien angewiesen bin, wenn die Universitäten untätig bleiben. Ich treffe bei den Genannten viel ehrlichere, lustigere und intelligentere Leute als jene eingeschüchterten und verlogenen Existenzen, die mich früher besucht haben, vom ORF bis zur New York Times.
Ich finde es toll, wie schonungslos etwa Julian Reichelt dort hinsieht, wo alle anderen wegschauen. Oder wie ein Max Mannhart von Apollo mit seiner jugendlichen Energie bessere Interviews führt, als es die Öffentlichen jemals hinbekommen haben.
Anfangs wurden Sie allerdings von etablierten Medien doch unterstützt.
Weber: Ja, solange ich konservative Politiker des Plagiierens überführte, war ich in Österreich für linke Journalisten ein Held. Ich bekam Gratulationsmails, wurde von ihnen regelrecht gecoacht, etwa wie ich auf meinem Blog bessere Titelzeilen mache.
Das Blatt wendete sich radikal, als 2023 von mir der erste Sozialist und Freimaurer überführt wurde. Plötzlich gab es so viele kritische Kommentare wie nie zuvor. Vorher priesen mich die österreichischen Medien als „Tarzan im Plagiats-Dschungel“ oder als „berühmten Plagiatsjäger“. Dann war ich auf einmal „selbsternannt“ und „umstritten“.
Mittlerweile gibt es im ORF eine Weisung aus Wien, nach der über mich nur noch negativ berichtet werden darf. Ein Gerichtsprozeß in Salzburg wurde nur dazu genutzt, mich bewußt in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Ich habe die Mechanismen durchschaut. Übrigens, dafür zahlen wir alle Zwangsgebühren.
„CDU-Ministerpräsident Mario Voigt müßte eigentlich der Doktorgrad aberkannt werden“
Zu Ihren jüngsten Vorwürfen gehören die gegen Thüringens CDU-Ministerpräsidenten Mario Voigt und Bundeskanzler Friedrich Merz – gegen letzteren wegen seines 2002 veröffentlichten Buchs „Mut zur Zukunft. Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt“. Wie schwerwiegend sind nach Ihrer Ansicht die Vorwürfe?
Weber: Der Plagiatsvorwurf gegen Merz hat keine Folgen, weil das Buch ja keine akademische Arbeit ist. Folgen sollte vielmehr haben, daß er ein Wendehals ist, ein „Sage alles und tue nichts“-Denker. Das habe ich in meinem Blog auch geschrieben: Daß er für nichts steht – das ist das Ergebnis meiner Beschäftigung mit seinen Büchern.
Und Mario Voigt?
Weber: Sein Fall ist interessanter und noch nicht abgeschlossen. Er hat sehr stark plagiiert, also müßte ihm eigentlich der Doktorgrad aberkannt werden – und dann müßte er auch als Ministerpräsident zurücktreten. Aber irgendwann wird die TU Chemnitz wohl von „vermeidbaren Zitierschwächen“ oder so reden, wenn überhaupt.
Die öffentliche Hand bezahlt auch dieses fortwährende Lügen. Doch das durchschauen immer mehr Menschen, eben weil es alternative Medien wie Sie gibt und in meinem Blog jeder Plagiatsfall dokumentiert ist. Noch keinem Plagiator ist es juristisch gelungen, daß ich meine Darstellung seiner Schandtaten entfernen mußte.
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Dr. Stefan Weber ist Privatdozent an der Universität Wien mit der Lehrbefugnis für Medien- und Kommunikationstheorie. Geboren 1970 in Salzburg, bietet er seit 2007 auch als Dienstleister die „Prüfung auf Plagiate“ an, später erweitert um „Betrug mit KI, Titelbetrug und Gutachtenmängel“. 2023 erschien sein Buch „Auf ‘Plagiatsjagd’. Eine Streitschrift“.
Sehen Sie auf JF-TV auch das Interview „Urheberrechtsskandal um Kulturminister Weimer: Plagiatsjäger Weber packt aus“ mit Stefan Weber.






