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Interview: 35 Jahre Mauerfall – Historiker H. Knabe fordert: „Eine ‘Straße der Deutschen Einheit‘ in jedem Ort“

Interview: 35 Jahre Mauerfall – Historiker H. Knabe fordert: „Eine ‘Straße der Deutschen Einheit‘ in jedem Ort“

Interview: 35 Jahre Mauerfall – Historiker H. Knabe fordert: „Eine ‘Straße der Deutschen Einheit‘ in jedem Ort“

Berlin am Tag nach dem Mauerfall vom 9. November 1989, der den Weg zur Deutschen Einheit ebnete und den SED-Staat DDR beerdigte, Historiker, Kritiker und ehem. Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe. Foto: picture alliance/dpa, zb, Mathias Brauner & Paul Zinken
Berlin am Tag nach dem Mauerfall vom 9. November 1989, der den Weg zur Deutschen Einheit ebnete und den SED-Staat DDR beerdigte, Historiker, Kritiker und ehem. Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe. Foto: picture alliance/dpa, zb, Mathias Brauner & Paul Zinken
Berlin am Tag nach dem Mauerfall, Kritiker Knabe: „Erfolge der Einheit nicht verspielen!“ Foto: picture alliance/dpa, zb, M. Brauner & P. Zinken
Interview
 

35 Jahre Mauerfall – Historiker H. Knabe fordert: „Eine ‘Straße der Deutschen Einheit‘ in jedem Ort“

Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 waren die Deutschen das glücklichste Volk der Welt! Wo stehen wir 35 Jahre später? Der prominente Historiker Hubertus Knabe, ehemaliger Leiter der Berliner Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, zieht im JF-Interview Bilanz.
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Herr Dr. Knabe, als 1989 die Mauer fiel, rief der amerikanische Historiker Francis Fukuyama bekanntlich den finalen Sieg der liberalen Demokratie und damit „das Ende der Geschichte“ aus. Wie haben Sie sich in dieser Hinsicht damals die Zukunft vorgestellt und wie blicken Sie heute auf die 35 Jahre seitdem zurück?

Hubertus Knabe: Das Ende der SED-Diktatur und der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa waren in der Tat prägende Erlebnisse. Sie haben gezeigt, daß nichts so bleibt wie es ist. Selbst bis an die Zähne bewaffnete Diktaturen können plötzlich aus den Angeln gehoben werden. Diese Erfahrung macht mich auch heute optimistisch. Diktatorische Regime wie in Rußland, China oder dem Iran sind nur scheinbar stabil und können genauso schnell zusammenstürzen.

Weil die Machthaber das wissen, sind sie so darauf bedacht, Widerstand schon im Keim zu ersticken. Ihre scheinbare Stärke – auch das kann man aus der Zeit der deutschen Teilung lernen – beruht jedoch in erster Linie darauf, daß sie für unabänderlich und ewig gehalten werden. Dem ist aber nicht so.

Und wie beurteilen Sie die Entwicklung hierzulande?

Knabe: Daß nach dem Ende des Kommunismus nicht das Paradies auf Erden ausbrechen würde, war zu erwarten. Es waren ja dieselben Menschen, die weiter auf demselben Territorium zusammenlebten. Aber insgesamt haben wir erstaunlich viel erreicht: Die desolaten Staatsbetriebe wurden durch moderne Unternehmen ersetzt, die verfallenen Städte wieder aufgebaut, die massiven Umweltzerstörungen gestoppt – um nur einige Punkte zu nennen.

Sorge bereitet mir jedoch, daß diese Erfolge nun wieder verspielt werden könnten. Denn die Bundesrepublik hat in den letzten Jahren keine gute Entwicklung genommen. Wir beschäftigen uns mit abseitigen gesellschaftspolitischen Themen, statt uns den Herausforderungen des globalen  Wettbewerbs zu stellen. Der Staat wird immer mehr aufgebläht, während das politische Führungspersonal zunehmend unqualifiziert ist.

Hinzu kommen die Kosten und die Probleme der unkontrollierten Einwanderung. Trotzdem kommt mir die Kritik an diesen Mißständen in den sogenannten alternativen Medien oft überzogen vor. Wer wie ich regelmäßig Akten des DDR-Staatssicherheitsdienstes liest, weiß, wie fundamental der Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie ist – wie unvollkommen sie auch sein mag.

Knabe: „Stille Rehabilitation der DDR in den deutschen Feuilletons“

Im Osten des Landes nimmt man immer noch – oder schon wieder – die Tendenz wahr, die DDR zu verklären. Ist das eine „normale“ Form von Nostalgie oder Folge einer möglicherweise mangelhaften historischen und juristischen Aufarbeitung des Unrechtsregimes? Oder aber drückt sich darin Widerstand gegen das aus, was man als negative Begleiterscheinung aus dem Westen erlebt, etwa in Sachen Migrationspolitik?

Knabe: Die aggressive Form der Diktaturbeschönigung, wie sie nach dem Ende der DDR von ehemaligen Stasi-Generälen und SED-Funktionären betrieben wurde, ist inzwischen Gott sei Dank Geschichte. Sieht man vom unbelehrbaren Ex-Generalsekretär Egon Krenz ab, sind die meisten dieser Leute inzwischen verstorben. Auch die peinlichen Ostalgie-Shows gibt es nicht mehr.

Stattdessen erleben wir eine Art stille Rehabilitation der DDR in den Feuilletons, wo sich häufig wenig informierte Journalisten an subtil verklärenden Büchern ergötzen – wie das von Katja Hoyer („Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR“) oder von Dirk Oschmann („Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung“). Im Unterschied zum Nationalsozialismus ist es leider nicht gelungen, ein breites Bewußtsein dafür zu schaffen, daß es sich bei der DDR um eine menschenverachtende Diktatur handelte.

Daß die SED-Herrschaft heute aus Protest gegen die Migrationspolitik verklärt wird, kann ich dagegen nicht erkennen. Im Gegenteil: In den Kreisen, die den Regierungsparteien kritisch gegenüberstehen, dient sie sogar als Schimpfwort, wenn die Bundesrepublik als „DDR 2.0“ bezeichnet wird.

„Deutschland hat kein positives Verhältnis zu seiner Vergangenheit“

Sie haben sich als Historiker, Autor und Gedenkstättenleiter intensiv mit den DDR-Verbrechen beschäftigt und auch frühere Repräsentanten und Schönfärber des Regimes damit konfrontiert. Wird dieser Komplex erinnerungspolitisch zu stiefmütterlich behandelt? So ist das „Denkmal zur Mahnung und Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland“ nahe dem Kanzleramt noch immer nicht realisiert.

Knabe: Bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur gibt es tatsächlich große Defizite. Grundlegende Fragen wie etwa die Zahl der politischen Gefangenen wurden bis heute nicht geklärt. Noch gravierender ist die mangelnde Vermittlung der vorhandenen Erkenntnisse. In den Schulen, in den Medien und im politischen Diskurs kommt die DDR kaum vor. Gedenkstätten gibt es nur im Osten, und die treten öffentlich so gut wie nie in Erscheinung.

Das ist in anderen ehemals sozialistischen Staaten anders. In Ungarn weiß praktisch jeder, was 1956 geschah. Auch in Polen und im Baltikum ist man sich der kommunistischen Unterdrückung viel mehr bewußt als in Deutschland. Die unendliche Geschichte des Denkmals für die Opfer des Kommunismus – das der Bundestag übrigens  schon 2015 erstmals beschloß – ist da durchaus paradigmatisch.

„Es müßte in jedem Ort eine ‘Straße der Deutschen Einheit’ geben“

Die Berliner Justiz verurteilte jüngst einen Stasi-Offizier, der 1974 an der Grenze einen Flüchtling hinterrücks erschoß, zu zehn Jahren Haft. War es ein Fehler, die Stasi-Akten an das Bundesarchiv zu übergeben sowie den eigenständigen Beauftragten abzuschaffen?

Knabe: Ich hielt diesen Schritt in der Tat für verfrüht. Es gab auch keinen triftigen Grund, die größte Einrichtung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2021 aufzulösen. Aber Evelyn Zupke, die der Bundestag als Ersatz dafür zur Opferbeauftragten machte, leistet eine gute Arbeit.

Ebenso wie das Mahnmal für die Opfer des Kommunismus fehlt bis heute das sogar schon 2007 beschlossene zentrale Denkmal für die deutsche Einheit, die ohne den 9. November 1989 nicht möglich gewesen wäre. Ist das vielleicht angemessenes „Understatement“ oder haben wir Deutschen ein Problem damit, positive Ereignisse in unserer Geschichte zu würdigen?

Knabe: Ich habe von diesem Denkmal nie viel gehalten. Daß die deutsche Teilung nach 41 Jahren friedlich überwunden wurde, wäre Grund genug, am 3. Oktober in jeder deutschen Stadt ein Volksfest zu veranstalten – wie es etwa die Franzosen an ihrem Nationalfeiertag tun. Auch eine Straße der Deutschen Einheit müßte es eigentlich in jeder Ortschaft geben.

Ein Denkmal ist dagegen eher ungeeignet, da seine Wirkung lokal begrenzt ist. Außerdem dienen Denkmäler normalerweise dazu, innezuhalten und einer Sache zu gedenken – ansonsten wirken sie schnell belanglos.

Daß Deutschland kein positives Verhältnis zu seiner Vergangenheit hat, ist aber sicher richtig. Für eine gemeinsame Identität ist dies gerade unter dem Gesichtspunkt der Integration von Migranten ein Problem. Die zuständige Ministerin Claudia Roth strebt allerdings das genaue Gegenteil an: Die historischen Erfahrungen der Zugewanderten sollen Teil der deutschen Erinnerungspolitik werden. In der Konsequenz bedeutet dies, daß wir uns den Haß auf Israel und nicht die Einwanderer sich die Scham über den Judenmord zu eigen machen sollen.

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Dr. Hubertus Knabe. Der Historiker und langjährige Leiter der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen (2000 bis 2018) gilt als einer „der profiliertesten SED-Forscher“ (Tagesspiegel). Er veröffentlichte Gastbeiträge in renommierten Medien und publizierte zahlreiche Bücher, darunter „17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand“, „Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland“, „Die vergessenen Opfer der Mauer. Inhaftierte DDR-Flüchtlinge berichten“„Gefangen in Hohenschönhausen. Stasi-Häftlinge berichten“, „Die Wahrheit über die Linke“ oder „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur“. Auf seiner Netzseite bietet er zudem einen Podcast an.

Besondere Bekanntheit erlangte er durch seine beiden Studien „Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen“ von 1999 und „Der diskrete Charme der DDR. Stasi und Westmedien“ aus dem Jahr 2001. Von 1983 bis 1985 war der 1959 in Unna geborene Knabe Pressesprecher der Grünen Liste in Bremen und in den achtziger Jahren beriet er die Fraktion der Grünen im Bundestag. Zudem organisierte er 1978 ein Komitee zur Freilassung des DDR-Bürgerrechtlers Rudolf Bahro.

Aus der JF-Ausgabe 46/24. 

Berlin am Tag nach dem Mauerfall, Kritiker Knabe: „Erfolge der Einheit nicht verspielen!“ Foto: picture alliance/dpa, zb, M. Brauner & P. Zinken
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