STEPANAKERT. Nach der Kapitulation der international nicht anerkannten Zwergrepublik Arzach im Kampf um die Bergregion Bergkarabach haben bereits mehr als zehntausend Menschen die Flucht nach Armenien angetreten. Wie die armenische Nachrichtenagentur Armenpress am Dienstag berichtete, sind bereits über 13.000 Menschen in eigens dafür bereitgestellten Flüchtlingslagern und Hotels vor Ort angekommen.
Stepanakert now. There is an almost 100km line of cars from Nagorno-Karabakh to Armenia as the entire population flees. 120,000 people are leaving their homes. pic.twitter.com/p6rNDz37tl
— Neil Hauer (@NeilPHauer) September 25, 2023
„Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um die Flüchtlinge unterzubringen“, kündigte die Regierung in Erewan bereits an. Um die Vertriebenen zu unterstützen, hat die Regierung eine eigene Internetseite eingerichtet, um die Hilfeleistungen zu koordinieren. Im Verlauf der kommenden Tage werden noch zehntausende weitere Flüchtlinge aus Bergkarabach erwartet. Diese sammeln sich vor allem in den grenznahen Städten wie Goris und in der armenischen Hauptstadt Erewan. Im Internet verbreiten sich unterdessen Bilder davon, wie Menschen in Bergkarabach ihre Habseligkeiten und Häuser anzünden, bevor sie die Flucht antreten.
First house burned down in Stepanakert today… pic.twitter.com/rRP70vgjXe
— Marut Vanyan (@marutvanian) September 24, 2023
Die in Bergkarabach stationierten russischen Friedenstruppen, die den 2020 geschlossenen Waffenstillstand zwischen Armenien und Aserbaidschan überwachen sollen, berichteten laut der russischen Nachrichtenagentur Tass unterdessen davon, daß die Streitkräfte von Arzach bereits tausende Waffen nach ihrer Kapitulation abgegeben hätten, darunter hunderte Gewehre, Panzerfäuste, Luftabwehrraketen und über 400.000 Stück Munition.
Internationales Rotes Kreuz schlägt Alarm: Situation außer Kontrolle
Die Behörden in Armenien haben laut Tass bereits über 40.000 Plätze für die Vertriebenen geschaffen. Das Internationale Rote Kreuz ist derweil mit einem Lkw-Konvoi in der Gebirgsregion Bergkarabach angekommen. „Zu den humanitären Gütern, die für bedürftige Gemeinden bestimmt sind, gehören 66 Tonnen Weizenmehl, 2.700 Kilogramm Salz, 450 Kilogramm Trockenhefe und 375 Liter Sonnenblumenöl“, teilte die Hilfsorganisation zu ihrer Lieferung mit.
Today, nearly 70 metric tons of humanitarian supplies crossed the Lachin road on an ICRC convoy.
The humanitarian goods, destined for the affected communities, included:
– 66 metric tons of wheat flour
– 2,700 kg of salt
– 450 kg of dried yeast
– 375 litres of sunflower oil pic.twitter.com/hJKaoRSWqp— ICRC (@ICRC) September 23, 2023
Trotz des jüngsten Waffenstillstands seien die humanitären Folgen der militärischen Eskalation in der gesamten Region deutlich zu spüren. Familien suchten nach Angehörigen, zu denen sie den Kontakt verloren hätten, darunter auch unbegleitete Kinder. Gemeinden seien vertrieben worden, und Angehörige bäten um Hilfe bei der Bestattung von Leichen, während der Mangel an Strom, grundlegenden Gütern und Zugang zur Gesundheitsversorgung das Leben erschwere. Angesichts des Ausmaßes der humanitären Katastrophe kündigte das Internationale Rote Kreuz an, seine Präsenz vor Ort zu verstärken.
Autos stauen sich kilometerlang auf dem Weg nach Armenien
Auf den Paßstraßen nach Armenien hinein stauen sich nach wie vor kilometerweite Autokolonnen. Menschenkarawanen sollen sich allerdings auch auf die grüne Grenze zubewegt haben. In den sozialen Netzwerken kursieren derweil Aufnahmen davon, wie aserbaidschanische Soldaten verwaiste armenische Ortschaften durchkämmen, plündern und teils verwüsten.
🇦🇲🇦🇿 #NagornoKarabakh – #Artsakh: Azerbaijani forces have now shared videos showing soldiers looting the homes of Armenians displaced by Azeri attacks on Artsakh. pic.twitter.com/T73v3udclA
— POPULAR FRONT (@PopularFront_) September 24, 2023
Nach der Explosion eines Kraftstoffdepots am Rande von Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs, gestaltet sich die Lage erneut unübersichtlich. Laut den Behörden des besiegten Zwergstaates Arzach sind mindestens 20 Menschen bei dem Vorfall getötet und 290 verletzt worden, die meisten davon schwer. Die umliegenden Krankenhäuser seien hoffnungslos überlastet.
🛑The main hospital in Stepanakert is at capacity!
Following the fuel blast, many patients have been transported to the Russian peacekeepers’ hospital, others to the Children’s hospital.
The number of casualties and injuries is very high. We need an airlift for the injured now! pic.twitter.com/bjVdrjw7CS
— Siranush Sargsyan (@SiranushSargsy1) September 25, 2023
Vereinigte Staaten und Moskau geraten aneinander
Die Vereinigten Staaten forderten vor diesem Hintergrund die Entsendung von internationalen Beobachtern in das Krisengebiet. „Wir sind der Auffassung, daß eine internationale Mission nach Bergkarabach entsendet werden sollte, um sowohl den Bewohnern der Region als auch der Internationalen Gemeinschaft zu garantieren, daß ihre Rechte so geachtet werden, wie die aserbaidschanische Regierung das versprochen hat“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums am Dienstag. Die Vereinigten Staaten seien sehr besorgt über die Entwicklungen im Kleinen Kaukasus. Rußland habe gezeigt, daß es kein zuverlässiger Partner für Armenien sei.
💬Anatoly Antonov: The Russian Federation has been and remains a reliable ally for Armenia.
🤝We have always provided this brotherly nation with necessary assistance.
☝️ We call on Washington to refrain from extremely dangerous words and actions.📎 https://t.co/qs5YgTxIIV pic.twitter.com/12zOek4RfX
— Russian Embassy in USA 🇷🇺 (@RusEmbUSA) September 26, 2023
Moskau seinerseits zeigte sich über diesen Seitenhieb erbost. „Wir fordern Washington auf, diese äußerst gefährliche Sprache, die eine künstliche Verschärfung antirussischer Ressentiments in Armenien herbeiführt, zu unterlassen“, verlangte der russische Botschafter in den Verenigten Staaten, Anatoli Antonow, am Dienstag via Telegram.
Massenexodus nach Kapitulation von Bergkarabach
Die Russische Föderation sei und bleibe auch weiterhin ein treuer Verbündeter Armeniens. Die Entsendung von Friedenstruppen nach Bergkarabach im Jahr 2020 und der Umstand, daß auch russische Soldaten bei der aserbaidschanischen Kurzoffensive im September gefallen seien, sprächen klar für die enge Verbindung zwischen Moskau und Erewan.
The Azerbaijani Armed Forces attacked the ammunition depot of the Russian peacekeeping contingent. pic.twitter.com/TMLOo1JNkq
— 301🇦🇲 (@301arm) September 23, 2023
Vergangene Woche hatten aserbaidschanische Truppen die armenische Zwergrepublik Arzach nach einer monatelangen Blockade großflächig angegriffen. Diese kapitulierte bereits nach wenigen Stunden Kampfhandlungen. Seitdem bahnt sich ein Massenexodus aus der mehrheitlich von Armeniern bewohnten, offiziell zu Aserbaidschan gehörenden Region an.