Die südukrainische Region Cherson ist nicht nur Kriegs-, sondern nun auch Flutgebiet. Der Kachowka-Staudamm, der die Wassermassen des Dnipro bändigte, ist offenbar in der Nacht zu Dienstag gesprengt worden. Sowohl Kiew als auch Moskau machten sich gegenseitig dafür verantwortlich.
Ungeachtet der Urheberschaft für die Zerstörung des 30 Meter hohen und rund drei Kilometer langen Bauwerks stellt sich die Frage, was das für das derzeitige Kriegsgeschehen bedeuten kann. Denn in den vergangenen Tagen waren ukrainische Streitkräfte an verschiedenen Frontabschnitten wieder aktiver geworden.
Der Militärexperte Alexander Jag sieht in der Sprengung keinesfalls ein überraschendes Ereignis. „Die Staudammsprenung ist zwar schlimm, allerdings nicht kritisch. Genau dieser Schritt war im Vorfeld bedacht worden und Lösungen für den Worst Case entwickelt worden“, äußert er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Auswirkungen der Überflutungen für die betroffene Region sollten zudem nicht überschätzt werden. Durch die bisherigen Kampfhandlungen seien die Zerstörungen dort schon sehr stark gewesen.
Süßwasserversorgung der Krim ist zerstört
Der leitende Mitarbeiter des Sicherheits- und Beratungsunternehmens Global AG, das sich auf ukrainischer Seite im Krieg engagiert, glaubt, daß Rußland dafür verantwortlich ist. „Das Ganze ist eine russische Verzweiflungstat, weil sie ihre wichtigen Figuren bereits verloren haben. Es bleiben nur noch Bauern und der König, um im Bild eines Schachspieles zu bleiben.“ In den vergangenen Wochen sei der Staudamm bereits von russischen Einheiten abgesperrt und dann der Wasserstand von normalerweise 13 Meter auf 17,5 Meter aufgestaut worden. Das sei ein Indiz für eine geplante Aktion.
Eine Folge der Zerstörungen ist, daß nun auch die 2014 von Rußland annektierte Krim ein Problem hat. „Die Versorgung der Krim mit Süßwasser ist mit der Sprengung des Staudamms zunächst nicht mehr möglich“, führt Jag aus. Das bedeute zwei Sachen: 1. Rußlands Sprengung des Staudamms ist demnach auch für den Kreml nachteilig und ein zweischneidiges Schwer. „2. Die Russen rechnen offensichtlich fest damit, die Krim ohnehin zu verlieren. Also wollen sie vorher noch verbrannte Erde hinterlassen.“
Wie lange halten die Überflutungen an?
Laut dem Militärhistoriker und YouTuber Torsten Heinrich sei die Versorgung der dortigen Zivilbevölkerung jedoch nicht in Gefahr. „Die Zivilisten auf der Krim sind auch zwischen 2014 und 2022 nicht verdurstet. Offensichtlich war es damals auch ohne den Kanal möglich, sie mit Trinkwasser zu versorgen. Die Landwirtschaft ist jedoch eine andere Frage, aber deswegen sollte jetzt nicht jeder auf der Krim verdursten müssen“, twitterte er.
Die Zivilisten auf der Krim sind auch zwischen 2014 und 2022 nicht verdurstet. Offensichtlich war es damals auch ohne den Kanal möglich, sie mit Trinkwasser zu versorgen. Die Landwirtschaft ist jedoch eine andere Frage, aber deswegen sollte jetzt nicht jeder auf der Krim…
— Torsten Heinrich 🇺🇦 🇹🇼 (@Inclutus) June 6, 2023
Selbst wenn der Kreml eine Sprengung angeordnete hätte, um so Gelände für die erwartete ukrainische Offensive unpassierbar zu machen, sei das nur ein kurzfristiges Mittel. Denn lange werden die Überflutungen nicht anhalten, ist Jag überzeugt. „Bei einem normalen, heißen ukrainischen Sommer werden die Gebiete, nach dem Abfluß der Wassermassen ins Schwarze Meer, in ein paar Tagen oder wenigen Wochen trocken sein.“ (ag)