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Literatur: Demokratie ermordet sich selbst

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Literatur: Demokratie ermordet sich selbst

Leeres Plenum: Wie steht es wirklich um die Demokratie?
Leeres Plenum: Wie steht es wirklich um die Demokratie?
Leeres Bundestagsplenum: Wie steht es wirklich um die Demokratie? Foto: picture alliance / dpa | Wolfgang Kumm
Literatur
 

Demokratie ermordet sich selbst

Der Literaturwissenschaftler Günter Scholdt hängt keinen naiven Vorstellungen von Demokratie und Volkssouveränität an. So skizziert er in seinem neuen Buch einen kartellartigen Parteienstaat, zu dem die Bundesrepublik verkümmert ist.
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Die Demokratie war gestern. Und was ist heute? Als der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch vor etwa zwanzig Jahren den Begriff „Postdemokratie“ kreierte, meinte er ein System, in dem die ökonomische Macht die Politik dominiert, der Staat sich aus seinen Aufgaben zurückzieht und die demokratischen Institutionen zur Kulisse degenerieren, hinter der internationale Großkonzerne die öffentlichen Angelegenheiten in ihrem Sinne regeln.

Die zu Marionetten geratenen Politiker neigten aus Eigeninteresse dazu, das Demokratie-Modell auf die periodischen Wahlen zu beschränken und zwischenzeitliche Interventionen aus der Wählerschaft als antidemokratisch zu diffamieren. In linker Tradition stehend, begriff Crouch den Staat als Magd der ökonomisch herrschenden Klasse. Als Gegenmittel empfahl er den sozialen Bewegungen, Lobbys zu bilden und in den Politikbetrieb einzusickern, „um das Ziel der politischen und sozialen Gleichheit durchzusetzen“.

Dieses Modell war allzu simpel. Der Staat hat keineswegs abgedankt. Vielmehr legt seine Regelungs-, Kontroll- und Überwachungswut sich heute flächendeckend auf das öffentliche und private Leben und treibt auch die Wirtschaft in die vollendete Unvernunft. Die Vertreter sozialer und sonstiger Bewegungen haben ihn mittlerweile infiltriert und seine autoritären und postdemokratischen Tendenzen verstärkt. Die Großkonzerne haben weder Skrupel noch Probleme damit, auf der Welle des „woken“ Kapitalismus zu reiten.

Exekutor eines diktatorischen Machtparadigmas

Die Streitschrift des Literaturwissenschaftlers Günter Scholdt knüpft an Crouch an, um weit über ihn hinauszugehen. Das Corona-Regime – die Allianz aus Staat, Pharmaindustrie, Medien und der straff organisierten Zivilgesellschaft – bildet den aktuellen Bezugspunkt. In sechs Kapiteln und mit zahllosen Beispielen aus Deutschland sowie aus Österreich zeigt er auf, wie der Staat sich im atemberaubenden Tempo zum Exekutor eines diktatorischen Machtparadigmas entwickelt hat.

Grundrechte wurden außer Kraft gesetzt, die Gewaltenteilung aufgehoben; das Parlament sank zum Akklamationsorgan herab, und Richter, die es wagten, Verordnungen außer Kraft zu setzen, wurden Opfer von Hausdurchsuchungen. Forscher, welche die empirische Evidenz über die politische Wünschbarkeit stellten, wurden ausgegrenzt und sahen sich polizeilicher und juristischer Verfolgung ausgesetzt. Nebenbei wurde öffentlich, daß der Verfassungsschutz als „Agent provocateur“ auftritt und auf Internetblogs die Nutzer zu Äußerungen animiert, die als Gesinnungsstraftaten registriert werden.

Negativauslese im Parteienstaat wird zum neuen „Adel“

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Scholdt hängt keinen naiven Vorstellungen von Demokratie und Volkssouveränität an. Es sind Abstrakta, Idealkonstrukte, denen man sich durch unzulängliche Verfahren allenfalls annähern kann. Zum Beispiel durch Wahlen, die zur Repräsentation das Meinungs- und Interessenspektrums im Parlament führen sollen. Dabei handelt es sich wiederum um eine elitäre Angelegenheit. Doch wie kann sich demokratische Legitimität auf Wahlen gründen, wenn wahlentscheidende Informationen von den Medien ausgefiltert, verfälscht oder aufgebauscht werden, „daß die Bürger eigentlich gar keine Chance zu einer faktenbasierten Wahlentscheidung haben“?

Im dritten Kapitel thematisiert Scholdt den kartellartigen Parteienstaat, zu dem die parlamentarische Demokratie verkümmert ist. Als Volksvertreter werden fast durchweg Parteisoldaten rekrutiert, was zu einer Negativauslese führt. Im Unterschied zur „Elite“, die einen ethischen und intellektuellen Anspruch impliziert, nennt er sie „Funktionselite“. In der Sache inkompetent, funktioniert sie in Abwägung des eigenen Vorteils und mausert sich im Parteienstaat zu einem neuen „Adel“.

Dem Kapitel „Postdemokratie heute“ ist ein Satz vorangestellt, den Altbundespräsident Gauck 2016 in der ARD-Tagesschau äußerte: „Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem.“ Da die Bundesrepublik den Volksbegriff de facto abgelegt hat, eignet sie sich in besonderer Weise als „Modell einer Postdemokratie“ unter der „Herrschaft globaler Technokraten“, was klar als „Einstieg in den Totalitarismus“ zu definieren ist.

Die Mehrheit wird sich wie immer anpassen

Persönliches Fehlverhalten einzelner Akteure – Scholdt nennt unter anderem Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel – spielt eine Rolle, aber es ist nicht ursächlich für den Niedergang der Demokratie. Anders als Crouch legt der Autor nahe, daß der Entwicklung eine systemische Zwangsläufigkeit innewohnt. In der sich abzeichnenden Zukunft wird eine „anspruchsvollere Minderheit“ versuchen, die Reste des ramponierten Rechts zu verteidigen und den eigenen Verstand und das Gewissen vor dem totalitären Zugriff zu schützen. Die Mehrheit wird sich unterdessen anpassen, wie sie das immer tut.

Das Buch schließt mit einem Zitat des amerikanischen Präsidenten John Quincy Adams von 1814. Es besagt, daß die Demokratie sich irgendwann selber „mordet“. Sinnlos sei es zu behaupten, sie „sei weniger eitel, stolz, selbstsüchtig oder ehrgeizig als eine Aristokratie oder Monarchie.“ Solche Leidenschaften haben die Menschen immer und unter allen Regierungsformen beherrscht. „Und wo sie unkontrolliert bleiben, produzieren sie die gleichen Wirkungen von Betrug, Gewalt und Grausamkeit.“ Wie wir es gerade erleben und wie es nachzulesen ist in der Streitschrift von Günter Scholdt.

JF 18/23

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