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Kalter Krieg: „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“

Kalter Krieg: „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“

Kalter Krieg: „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“

US-Präsident Ronald Reagan (r.) während seines Berlin-Besuchs, bei dem er an Gorbatschow seinen Appell richtete Foto: picture alliance / AP Photo | BARRY THUMMA
US-Präsident Ronald Reagan (r.) während seines Berlin-Besuchs, bei dem er an Gorbatschow seinen Appell richtete Foto: picture alliance / AP Photo | BARRY THUMMA
US-Präsident Ronald Reagan (r.) während seines Berlin-Besuchs, bei dem er an Gorbatschow seinen Appell richtete Foto: picture alliance / AP Photo | BARRY THUMMA
Kalter Krieg
 

„Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“

Heute vor 35 Jahren hielt Ronald Reagan die berühmte Rede vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Seine legendären Worte „Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“ wollten amerikanische Regierungsberater eigentlich unbedingt verhindern. An der Entstehung mittelbar beteiligt: Berliner aus West und Ost.
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Manche Ereignisse erhalten erst im Nachhinein das Prädikat „historisch“. In dem Moment, in dem sie passieren, werden sie fast übersehen. So ähnlich verhielt es sich auch mit der Rede, die der amerikanische Präsident Ronald Reagan am 12. Juni 1987 – heute vor 35 Jahren – in Berlin hielt, unmittelbar vor der Mauer auf der Westseite des Brandenburger Tors. So richtig bemerkenswert wurden die heute fast jedem bekannten Worte, die Reagan an den damaligen sowjetischen Generalsekretär richtete – „Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“ – erst dadurch, daß im Herbst 1989 wahr werden sollte, was zweieinhalb Jahre zuvor vielen noch als allzu kühne Forderung galt.

Zum Zeitpunkt der Rede selbst fiel die Resonanz weit weniger spektakulär aus. Zwar brandeten in dem Moment, als der amerikanische Gast die legendär gewordenen Sätze gesprochen hatte, Jubel und Applaus auf. Doch die New York Times berichtete, die Berater des Präsidenten seien über die ihrer Meinung nach etwas zu verhaltene Reaktion des Berliner Publikums recht enttäuscht gewesen. Und in der Berliner Morgenpost bemerkte ein Leserbriefschreiber eine Woche später, es sei schon „merkwürdig, daß erst ein amerikanischer Präsident nach Berlin kommen muß, um die Wiedervereinigung und den Abriß der Mauer zu fordern“.

Daß Reagan überhaupt in die geteilte Stadt kam, war eigentlich schon ungewöhnlich. Und es war eher einem gewissen Mißtrauen geschuldet. Aus amerikanischer Sicht war das 750jährige Jubiläum Berlins, in dessen Rahmen der Besuch stattfand, nicht gerade ein protokollarisch bedeutender Anlaß. Bestenfalls etwas für einen Vizepräsidenten oder eher einen Sondergesandten. Doch weil man in Washington einige Entwicklungen im innerdeutschen Verhältnis etwas argwöhnisch als zu großes Zugeständnis gegenüber dem DDR-Regime und mögliche Gefahr für den Viermächtestatus bewertete, erschien ein Abstecher des Mannes aus dem Weißen Haus durchaus als angebracht. Die Deutschen sollten nicht „too soft“ gegenüber den SED-Machthabern und den Sowjets auftreten, hatte der amerikanische Vize-Außenminister John Whitehead Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen im März 1987 noch ermahnt.

West-Berliner Senat sorgte sich vor Auftritt

Die Deutschland-Experten in Washington sorgten sich über das Abdriften der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik und sahen die Notwendigkeit gegenzusteuern. Nelson Ledsky, Mitglied in Reagans Nationalem Sicherheitsrat, meinte, die Deutschen seien bereit, „die Idee eines geeinten Deutschland aufzugeben“, so wie es Briten und Franzosen schon getan hätten. Man wolle, war auch der amerikanische Botschafter in Bonn, Richard Burt, überzeugt, die Bundesbürger daran erinnern, daß ihr Land immer noch geteilt ist.

Daher wollten die Diplomaten, daß der Präsident einige konkrete Initiativen anregte, etwa eine gemeinsame Austragung von Olympischen Spielen in West- und Ost-Berlin oder den Ausbau des zivilen Luftverkehrs in die geteilte Stadt. Entsprechende Passagen finden sich daher in Reagans Rede.

Der Wunsch der amerikanischen Delegation, der Präsident solle direkt an der Mauer reden, bereitete dem West-Berliner Senat jedoch erhebliche Sorgen. Man befürchtete, das Regime in Ost-Berlin könne den Auftritt mit Transparenten oder akustisch stören. Die DDR hatte im Vorfeld gedroht, eine provozierende Rede an der Mauer würde diese noch erhöhen. Doch die Amerikaner sahen das gelassener. Angst hatten die politisch Verantwortlichen im Schöneberger Rathaus vor allem aber vor der aufgeheizten antiamerikanischen Stimmung in den Kreisen der linken und alternativen Szene.

Die sah in Reagan vor allem den „kalten Krieger“, schmähte ihn zudem wegen der amerikanischen Verstrickungen in die Konflikte Lateinamerikas. „Wir sagen Nein zu Reagans Politik“ war dann auch das Motto einer großen Demonstration am Vorabend des Besuchs. 30.000 Protestierer zogen zum Breitscheidplatz und forderten unter anderem den Abzug aller Mittelstreckenraketen und West-Berlin als „offene Stadt“.

„Niemand kam rein, niemand kam raus“

Nach der Kundgebung flogen Steine, vermummte „Autonome“ errichteten Barrikaden am Wittenberg- und Nollendorfplatz und in Kreuzberg griffen militante Gruppen Polizei und Feuerwehrleute an. Für den 12. Juni, den Tag des Besuchs, sollte ein „Friedens- und Aktionstag“ am Kurfürstendamm stattfinden.

Um angesichts dieser Herausforderungen den Besuch des amerikanischen Präsidenten in der Stadt abzusichern, hatte sich der Berliner Senat zu einem einmaligen, ungewöhnlichen und höchst umstrittenen Schritt entschlossen: der Abriegelung des südöstlichen Kreuzberg, dem sogenannten SO 36, benannt nach dem Berliner Postzustellbezirk Südost 36. Dort lag die Hochburg der linken und linksextremen Szene. Erst einige Wochen zuvor war es hier zum ersten Mal zu den berüchtigten Krawallen und Straßenschlachten am 1. Mai gekommen. Das ganze war unter anderem eine Rache-Aktion für die Durchsuchung der Mehringhöfe, einem Szene-Objekt, in dem sich das Zentrum des Protests gegen die Volkszählung 1987 befand.

Am 12. Juni also wurden die Einwohner des Kiezes quasi eingeschlossen. Die Straßen waren abgesperrt, insgesamt neun Kontrollstellen hatte Innensenator Wilhelm Kewenig einrichten lassen, der U-Bahn-Verkehr der Linien 1 und 8 war für drei Stunden eingestellt. „Niemand kam rein, niemand kam raus“, faßte ein damals eingesetzter Beamter das Vorgehen der Polizei rückblickend zusammen. „Wie ein Ghetto ließ der Innensenator Kreuzberg abriegeln. Das Grundrecht, sich jederzeit und ungehindert von Ort zu Ort bewegen zu können, galt nicht mehr“, beschwerten sich eine linke Szene-Publikation.

Handverlesene amerikanische Zuhörer

In den Augen des damaligen Polizeipräsidenten Georg Schertz hatte sich die Taktik als richtig erwiesen. Denn in der Tat war das gewaltgeneigte Milieu dort überrumpelt worden und hatte sein Vorhaben, Richtung Kurfürstendamm zu ziehen, aufgeben müssen.

Das Besuchsprogramm des Gastes konnte dann störungsfrei ablaufen. Begrüßung am Flughafen Tempelhof, Empfang mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Schloß Bellevue, dazu ein Treffen mit ehemaligen Trümmerfrauen, das den US-Staatschef nachhaltig beeindruckte. Dem Besuch der historischen Ausstellung im Reichstag folgte dann der Höhepunkt, die Rede vor dem Brandenburger Tor.

In den ersten Reihen vor der Tribüne standen dann etwa 2.000 Zuhörer, vor allem handverlesen Amerikaner – teilweise extra dafür aus der Bundesrepublik angereist. Zur Sicherheit legte man dem Präsidenten vor seinem Auftritt trotzdem noch eine kugelsichere Weste an, die er unter dem Hemd trug.

In seiner Rede äußerte Reagan zunächst sein Verständnis für die Sorgen der Deutschen und speziell der Berliner vor einem Krieg. Er betonte jedoch auch die Notwendigkeit, sich der sowjetischen Bedrohung und Expansion zu widersetzen. Im wesentlichen referierte er dann das, was auch dem Nato-Doppelbeschluß zugrunde lag: Die Aufrechterhaltung einer starken Verteidigung bei gleichzeitigen intensiven diplomatischen Bemühungen um Abrüstung auf beiden Seiten. „Wir im Westen sind bereit, gemeinsam mit dem Osten an einer wahren Offenheit zu arbeiten – die Schranken niederzureißen, die die Menschen trennen, eine sicherere und freiere Welt zu schaffen.“

„Lassen wir ihn drin“

Alle Bewohner der gesamten Stadt Berlin sollten, so forderte Reagan, „die Vorzüge genießen, die das Leben in einer der größten Städte der Welt mit sich bringt.“ Und er erinnerte an den eindrücklichen Besuch John F. Kennedys. Damals „war das freie Berlin bedroht und belagert. Trotzdem kann Berlin heute seiner Freiheit sicher sein, trotz all des Drucks, der auf dieser Stadt lastet.“

Aus Moskau sei viel von einer neuen Politik der Reform und Offenheit zu vernehmen, griff der US-Präsident Gorbatschows Ideen von Glasnost und Perestroika auf. Nach wenigen Sätzen folgte dann die Aufforderung: „Generalsekretär Gorbatschow, wenn Sie nach Frieden streben – wenn Sie Wohlstand für die Sowjetunion und für Osteuropa wünschen – wenn Sie die Liberalisierung wollen, dann kommen Sie hierher zu diesem Tor. Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder.“

Erst viel später wurde öffentlich, daß das US-Außenministerium und der Nationale Sicherheitsrat im Vorfeld versucht hatten, diese Passage zu verhindern und sogar schriftlich vehement protestierten. Zu plump, zu naiv sei das. Die Ostblock-Experten werteten die Worte als Affront gegenüber Gorbatschow, mit dem man doch wichtige Fortschritte in Sachen Abrüstungsvereinbarungen erzielen wollte. Auch Außenminister George Shultz und der stellvertretende Sicherheitsberater, General Colin Powell, waren dagegen. Doch Reagan gefiel der Satz in der Rede, als ihm deren Entwurf vorgelegt worden war, und er wischte die Bedenken beiseite: „Lassen wir ihn drin.“

Deutsche Urheberschaft an dem berühmten Satz

Schon als ihr maßgeblicher Verfasser, der damals gerade 30jährige Redenschreiber Peter Robinson, im April an die Vorbereitungen machte und dazu nach West-Berlin reiste, wurde ihm von einem hochrangigen Diplomaten klare Anweisungen gemacht. Sein Gesprächspartner, so erinnerte sich Robinson später, habe voller Ideen gesteckt – „darüber, was der Präsident nicht sagen sollte“. Keine Drohungen, keine Schmähungen Richtung Sowjetunion, vor allem keine provozierenden Äußerungen zur Berliner Mauer. Die West-Berliner seien die am weitesten nach links tendierenden Deutschen, und politisch sehr sensibel. Sie hätten sich mit der Teilung abgefunden und sich an die Mauer gewöhnt.

Entsprechend „gebrieft“ traf der junge Amerikaner dann bei einer abendlichen Einladung ein gutes Dutzend Bewohner der eingemauerten Stadt. Als er in der Runde von seinem Gespräch mit dem Diplomaten seines Heimatlandes erzählte, fragte er die Anwesenden, ob sie sich tatsächlich an die Mauer gewöhnt hätten. Daraufhin antwortet einer, seine Schwester lebe nur gut 30 Kilometer östlich von ihm entfernt, doch er habe sie trotzdem seit 20 Jahren nicht gesehen – „Glauben Sie vielleicht, daran kann ich mich gewöhnen?“ Andere schildern ähnliches, und die Gastgeberin habe dann ziemlich aufgebracht gesagt: „Wenn dieser Gorbatschow es ernst meint, dann kann er es hier beweisen. Soll er doch dafür sorgen, daß diese Mauer verschwindet!“

Und zu Pfingsten des Jahres 1987 war es im Ostteil der Stadt zu ähnlichen Unmutsäußerungen gekommen. Anläßlich des Stadtjubiläums hatte man im Westen, auf der Wiese vor dem Reichstag, ein Konzert mit Musik-Größen wie David Bowie, Neill Young und Genesis veranstaltet. Bewußt waren Lautsprecher auch Richtung Osten aufgestellt worden, wo sich Hunderte Fans versammelten, um wenigstens akustisch teilhaben zu können. Als die Volkspolizei dies unterbinden wollte, entlud sich der Zorn. Flaschen flogen, und die Menge skandierte: „Die Mauer muß weg!“ Und „Wir wollen Gorbatschow!“

Reagan und Gorbatschow waren sich einig

Redenschreiber Robinson hatte seine Eindrücke mit nach Washington genommen und im Stab des Weißen Hauses davon berichtet. So hatte die weltbekannt gewordene Sentenz also – auch – eine durchaus deutsche Urheberschaft, und zwar eine aus West wie Ost.

Im Kreml faßte man die Worte Reagans vom 12. Juni weit weniger als Provokation auf, als manche Bedenkenträger befürchtet hatten. „Im Osten wußten alle, daß es nicht an Gorbatschow, sondern an Honecker lag, daß die Mauer noch stand“, faßte der ehemalige Gesandte an der sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin, Igor Maximytschew, die damalige Lage zusammen. In Moskau war man eher verstimmt über die Betonköpfe in der DDR-Staats- und Parteiführung, die ständig wirtschaftliche Hilfen aus der selbst ökonomisch angeschlagenen Sowjetunion verlangte. Daß die deutsche Frage auf die Tagesordnung gehöre, darüber waren sich Gorbatschow und Reagan im Stillen wohl einig.

Als der US-Präsident nach seiner Rede die Stadt per Flugzeuge wieder Richtung Bundesrepublik verlassen hatte, bäumten sich die Protestierer aus Kreuzberg noch einmal kurz auf und demonstrierten trotz Verbots. Gegen Mitternacht holten sie ihre Straßenschlacht mit der Polizei nach.

Ganz anders ein Protest im Osten der geteilten Stadt: Ein zweiundzwanzig Jahre alter Busfahrer, der schon einige Zeit zuvor einen Ausreiseantrag gestellt hatte, steuerte seinen Ikarus-Gelenkbus Richtung Brandenburger Tor, verschloß die Türen und schaltete die Warnblinkanlage ein. Nachdem man ihn festgenommen hatte, gab er zu Protokoll, daß er mit dieser Aktion seine Zustimmung ausdrücken wollte; zu dem, was Ronald Reagan ein paar Meter weiter westlich gefordert hatte: „Öffnen Sie dieses Tor, reißen Sie diese Mauer nieder!“ – heute vor 35 Jahren.

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