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Innerdeutsche Teilung: Nicht unzufrieden mit der Mauer

Innerdeutsche Teilung: Nicht unzufrieden mit der Mauer

Innerdeutsche Teilung: Nicht unzufrieden mit der Mauer

Die Berliner Mauer nimmt Gestalt an: Bauarbeiter im Einsatz im August 1961 Foto: picture-alliance/ dpa | von Keussler
Die Berliner Mauer nimmt Gestalt an: Bauarbeiter im Einsatz im August 1961 Foto: picture-alliance/ dpa | von Keussler
Die Berliner Mauer nimmt Gestalt an: Bauarbeiter im Einsatz im August 1961 Foto: picture-alliance/ dpa | von Keussler
Innerdeutsche Teilung
 

Nicht unzufrieden mit der Mauer

Tote, spektakuläre Fluchten, resignierte Bevölkerung, aber die Westalliierten lebten recht gut mit der innerdeutschen Abriegelung. Als die Berliner Mauer am 13. August 1961 errichtet wurde, wollten die Alliierten wegen der Stadt an der Spree keinen Krieg riskieren.
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Am 13. August 1961 war es, mitten in der Nacht, genau um 1 Uhr 11, als der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst, die staatliche Agentur der DDR, eine Erklärung veröffentlichte, in der es hieß: „Die Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten wenden sich an die Volkskammer und an die Regierung der DDR, an alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Vorschlag, an der Westberliner Grenze eine solche Ordnung einzuführen, durch die der Wühltätigkeit gegen die Länder des sozialistischen Lagers zuverlässig der Weg verlegt und rings um das ganze Gebiet Westberlins, einschließlich seiner Grenze mit dem demokratischen Berlin, eine verläßliche Bewachung und wirksame Kontrolle gewährleistet wird.“

Fast exakt zum gleichen Zeitpunkt, als sich die Ost-Berliner Führung öffentlich von den eigenen Verbündeten in schönster DDR-Diktion dazu auffordern ließ, die sehr bald sprichwörtliche Mauer zu errichten, wurde mit deren Bau begonnen. Nationale Volksarmee, Volkspolizei und Kampgruppen waren im Einsatz. West-Berlin wurde abgeriegelt, oder anders gesehen, die DDR schottete sich ab. Zunächst erfolgten lediglich Absperrungen mit beweglichen Elementen wie Spanischen Reiter mit Stacheldraht.

Der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow, der den Ton angab, befürchtete handfeste Reaktionen der westlichen Seite. Zu Unrecht. Auf Gegenwehr stießen die Machenschaften nicht. Mehr noch, das Ganze war „eine Maßnahme, mit der – mit Ausnahme der DDR-Bewohner – alle Beteiligten am Ende ganz gut leben konnten“, wie es der Historiker Rolf Steininger formuliert.

Bis zum Mauerfall gelangen spektakuläre Fluchten

Die Mauer, die West-Berlin umschloß, vor allem aber die Stadt teilte, erlangte hohe Symbolkraft. Schauplatz von gescheiterten und geglückten Fluchten ist sie gewesen. Die Zahl der Menschen, die bei dem Versuch nach West-Berlin zu gelangen, den Tod fand, ist umstritten und nach wie vor ein Politikum, die Angaben reichen von knapp über 100 bis knapp 250. Als erste Mauertote gilt Ida Siekmann. Die Krankenschwester starb am 22. August 1961. Ihr Wohnhaus befand sich direkt an der Grenze, die Türen waren bereits vermauert. Um in den Westteil der Stadt zu gelangen, sprang sie aus dem Fenster im dritten Stock, das Material, welches den Aufprall abfangen sollte, war nicht ausreichend. Zwei Tage später war der Schneider Günter Litfin der erste Flüchtling, der nach dem Mauerbau durch gezielte Schüsse ums Leben kam. Noch im Februar 1989 fand der 20jährige Chris Gueffroy auf diese Weise als letzter im Grenzstreifen den Tod.

West-Berliner treffen auf ostdeutsche Grenzschützer Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | -
West-Berliner treffen auf ostdeutsche Grenzschützer Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | –

Dem gegenüber stehen die erfolgreichen Fluchten von Ost- nach West-Berlin. Mitunter gestalteten sich diese spektakulär. Da gab es den Lokführer, der Ende 1961, als die Strecken noch befahrbar waren, Familie und Bekannte in den Zug steigen ließ und an der Grenze einfach nicht anhielt. Es gab Fluchttunnel oder Aktionen wie die „Seilbahn“ von Heinz Holzapfel. Unterstützt von Helfern jenseits der Grenze gelangten er und seine Familie im Juli 1965 an einem Drahtseil nach West-Berlin. Ausgangspunkt war auf DDR-Seite das Haus der Ministerien. Kurios: Die Sowjets hatten das Ganze gut beobachtet, unternahmen allerdings nichts, da sie glaubten, die Staatssicherheit schleuse Agenten in den Westen. Im Mai 1989 wurde Egbert Bethke von seinen Brüdern per Leichtflugzeug über die Mauer geholt, mit Landung vor dem Reichstag.

Derartige Aktionen, über die man sich trefflich in den Publikationen von Bodo Müller belesen kann, und die gescheiterten oder tödlich endenden Fluchten zeugen vom Freiheitsdrang von Menschen, die der abgeschlossenen DDR-Welt und ihrem Unterdrückungssystem entkommen wollten, in der Regel unter Zurücklassung sämtlichen Besitzes und mit der Aussicht, niemals zurückkehren zu dürfen. Typisch war es allerdings nicht. Sofern man sich nicht ohnehin in Übereinstimmung mit der Führung befand, hatte man sich widerwillig oder resignierend auch unter den mit dem 13. August 1961 noch weiter beschränkten Bewegungsmöglichkeiten eingerichtet. Nur wenige waren es, die sich oppositionell betätigten.

Chruschtschow ging es nicht um West-Berlin

Das großflächige Abfinden mit den Gegebenheiten der Mauer über fast drei Jahrzehnte spiegelt sich in der deutschen sowie der internationalen Politik zur Zeit ihrer Errichtung vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Einzuordnen ist diese als Höhepunkt der zweiten Berlin-Krise, die auf die Jahre von 1958 bis 1962/63 datiert wird. Auslöser war Chruschtschow. Der Kremlchef verlangte, West-Berlin in eine „Freie Stadt“ umzuwandeln, was abgelehnt wurde. Allerdings ging es ihm nicht in erster Linie um West-Berlin, sein Ziel war die Anerkennung der im Ergebnis des Krieges entstandenen Konstellation, die Akzeptanz der DDR als zweiten deutschen Staat und die Festschreibung der Oder-Neiße-Grenze.

Zugleich wollte er der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen einen Riegel vorschieben und deren Potential insgesamt reduziert sehen. Letzteres traf sich zu dieser Zeit mit US-amerikanischen Vorstellungen, von einer Stärkung des westdeutschen Militärs befürchtete man ungünstige Auswirkungen auf die Lage in Osteuropa. Der britische Premierminister Harold Macmillan wäre sogar dafür gewesen, die DDR quasi anzuerkennen, im Hinblick auf eine dann wenig wahrscheinliche deutsche Wiedervereinigung.

Die USA garantierten nur die Rechte in West-Berlin

Eifrig gedrängt auf die Mauer hatte vor allem der DDR-Staatschef Walter Ulbricht. Dieser sah sich vor dem Problem, daß insbesondere junge, gut ausgebildete Leute in den anderen Teil Deutschlands gingen – was über die offene Grenze zu West-Berlin möglich war. Allein am 12. August 1961 hatten noch 3.190 Menschen das Land verlassen. Bekannt ist Ulbrichts abwehrender Ausspruch vom 15. Juni 1961: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Vermutet wurde oft, daß er unabsichtlich das in Gang befindliche Vorhaben verkündet hätte.

Der Historiker Edgar Wolfrum stellte die These auf, Ulbricht habe bewußt Öl ins Feuer gegossen. Kalkuliert habe er ein weiteres Anwachsen der Flüchtlingszahlen, um den bezüglich der Grenzschließung zögernden Chruschtschow zum Handeln zu bewegen. Entschieden hat dieser letztendlich am 3. August 1961 in Moskau.

Alliierte wollten wegen Berlin keinen Krieg riskieren

Das DDR-Regime wußte den sich spontan äußernden Widerstand in Ost-Berlin schnell zu unterdrücken, aus den Vorgängen des 17. Juni 1953 hatte es seine Lehren gezogen und war vorbereitet. In der Propaganda firmierte die Mauer stets als „antifaschistischer Schutzwall“. Chruschtschow hatte sein ursprüngliches Ziel ebenfalls erreicht, die Befestigung des Status quo. Sowohl Bundesrepublik als auch der Westen insgesamt lebten gut mit der durch die faktische deutsche Zweistaatlichkeit geschaffenen Lage, die bezüglich kriegerischer Eskalationen entspannend wirkte. Zudem konnte man sich zugute halten, die Grenzschließung sei ein Eingeständnis der Schwäche des Ostblocks gewesen. Ein formeller Protest der westlichen Alliierten war erst nach drei Tagen erfolgt.

"Ich bin ein Berliner": US-Präsident John F. Kennedy besucht die geteilte Stadt 1963 Foto: picture-alliance / Sven Simon | SVEN SIMON
„Ich bin ein Berliner“: US-Präsident John F. Kennedy besucht die geteilte Stadt 1963 Foto: picture-alliance / Sven Simon | SVEN SIMON

Der immer wieder zitierte, vollmundige Ausruf des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy vom Juni 1963 hätte, wie Steininger anmerkt, korrekt lauten müssen: „Ich bin ein West-Berliner“ – seine „Three Essentials“ – Recht der Anwesenheit der Westmächte in ihren Sektoren, Zugangsrecht zu Berlin und Wahrung der Rechte der West-Berliner – waren auch nach dem Mauerbau gegeben, insofern bestand kein Handlungsbedarf. An einen Krieg wegen Berlin dachte auf alliierter Seite niemand.

Eine bemerkenswert schwache Kür bot Konrad Adenauer. Er fühlte sich erst am 22. August 1961 bemüßigt, nach West-Berlin zu reisen. Am Tag des Mauerbaus erklärte er lediglich: „Im Verein mit unseren Alliierten werden die erforderlichen Gegenmaßnahmen getroffen. Die Bundesregierung bittet alle Deutschen, auf diese Maßnahmen zu vertrauen.“ Statt der Mauer hatte er die bevorstehende Bundestagswahl und den West-Berliner SPD-Bürgermeister Willy Brandt im Blick, der sich im Unterschied zu ihm auflehnte, die Grenze als „Sperrwand eines Konzentrationslagers“ bezeichnete und Kennedy aufforderte, aktiv zu werden. Der Bundeskanzler befürchtete, Brandt durch gemeinsames Auftreten mehr Popularität zu verschaffen.

Entgegen ihrer Verlautbarungen erwies sich die Mauer für viele im Westen als eine praktikable Lösung, mit der man sich arrangiert hatte und deren plötzliches Ende sie dann am 9. November 1989 selbst kalt überraschte.

JF 33/21

Die Berliner Mauer nimmt Gestalt an: Bauarbeiter im Einsatz im August 1961 Foto: picture-alliance/ dpa | von Keussler
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