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„Heißer Herbst“ in Leipzig: Den Aufstand proben

„Heißer Herbst“ in Leipzig: Den Aufstand proben

„Heißer Herbst“ in Leipzig: Den Aufstand proben

Fast 10.000 Menschen haben sich laut Polizeiangaben am Montag zu Protesten in der Leipziger Innenstadt versammelt
Fast 10.000 Menschen haben sich laut Polizeiangaben am Montag zu Protesten in der Leipziger Innenstadt versammelt
Fast 10.000 Menschen haben sich laut Polizeiangaben am Montag zu Protesten in der Leipziger Innenstadt versammelt. Foto: Florian Werner / JUNGE FREIHEIT
„Heißer Herbst“ in Leipzig
 

Den Aufstand proben

Die Linkspartei ruft in Leipzig zur Großkundgebung gegen steigende Energiepreise auf. Mit der Aktion will sie einen „heißen Herbst“ einläuten – und sich ihren Ruf als ostdeutsche Protestpartei zurückerobern. Eine Reportage
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Werteorientierter Arbeitgeber sucht Verstärkung

Zumindest in den Temperaturen schlägt sich der von der Linkspartei ausgerufene „Heiße Herbst“ nieder. Auf 25 Grad klettert das Thermometer an diesem Montagabend in Leipzigs historischem Stadtzentrum. Sowohl linke als auch rechte Parteien und Bündnisse haben an diesem geschichtsträchtigen Ort zu Kundgebungen in Anlehnung an die Montagsdemonstrationen von 1989/90 aufgerufen.

Erwartet wurden insgesamt 10.000 Teilnehmer – am Ende war der Augustusplatz fast bis auf den letzten Winkel voller Menschen. Dabei hatte die Bundesregierung erst am Sonntag ihr neues Entlastungspaket vorgestellt, um die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionspolitik gegen Rußland aufzufangen – und Proteste wie an diesem Montagabend zu verhindern.

„Wir werden den Rechten nicht die Straße überlassen“

Die Bundesvorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, bezweifelte zuletzt im Deutschlandfunk, daß Maßnahmen wie diese den Unmut in der Bevölkerung abmildern könnten. Vor allem aber wehrte sich die Politikerin gegen Vorwürfe, ihre Partei biete mit den Montagsdemonstrationen auch rechten Ideologen eine Bühne.

Leipzigs Grüne beispielsweise hatten jüngst moniert, die Linkspartei beschädige „damit das historische Erbe Leipzigs“ und konterkariere „den Einsatz der Leipziger Stadtgesellschaft für Demokratie und Weltoffenheit und gegen rechte Aufmärsche im Herzen der Stadt“. Wissler konterte, es brauche soziale Proteste gegen die „dramatische Ungerechtigkeit“ im Land. „Wir werden den Rechten die Straße nicht überlassen. Nicht montags und auch an keinem anderen Tag.“

Polizei-Hundertschaften riegeln Leipzigs Innenstadt ab

Die Frage lag in der Luft, ob sich die Linke an diesem Abend ihren Ruf als ostdeutsche Protestpartei zurückerobern kann. Vom Mendebrunnen weht Punkrock herüber. Unweit davon entfernt hat sich die marxistische Tageszeitung Junge Welt in Stellung gebracht und verteilt die aktuelle Ausgabe. Eine etwas ältere Demonstrationsteilnehmerin hält ihre Junge Welt schon in der Hand. „Ich finde es toll, daß wir Linken endlich auch mal wieder solche Veranstaltungen machen“, freut sie sich. „Zeitweise hatte man ja fast den Eindruck, man sei in der falschen Partei.“ Was sie damit meinte, erklärt sie aber nicht.

Als Redner erwartet werden die Linken-Ikone Gregor Gysi und der Ostbeauftragte der Partei, Sören Pellmann, sowie Bundestagsfraktionschefin Amira Mohammed Ali und Parteichef Martin Schirdewan. Doch die gelöste Stimmung kann nicht über das massive Polizeiaufgebot an diesem Tag hinwegtäuschen. Einsatzhundertschaften sollen dafür sorgen, daß linke und rechte Demonstranten auf dem Augustusplatz nicht aneinandergeraten.

Daß dieses Aufgebot nicht übertrieben ist zeigen auch die immer wieder aufkommenden Handgreiflichkeiten am Rande der Demonstrationszüge. Den Behörden zufolge sind zeitweise bis zu 550 Beamte damit beschäftigt, Sitzblockaden zu räumen und Polizeiabsperrungen zu sichern. Schon am Nachmittag versperrte etwa die linke Aktion „Leipzig nimmt Platz“ dem Demonstrationszug der „Freien Sachsen“ den Weg.

Ein Meer von roten Fahnen

Das linke Publikum ist bunt durchmischt. Neben Rentnerehepaaren und jungen Familien, Bier trinkenden Studenten und Anzug tragenden Politikern wühlen sich auch finster dreinblickende Jugendliche in Schwarz durch die Massen. Über all dem wogt ein rotes Fahnenmeer. Auf dem Stoff steht wechselweise „Die Linke“, „DKP“, „Antifa“ oder auch „SDS“. „Braucht noch jemand eine Flagge? Wir wollen Gregor doch ordentlich willkommen heißen“, fragt eine Frau in die Menge. Doch die meisten sind schon versorgt.

Ein älterer Herr mit Schirmmütze versichert seinem Gesprächspartner währenddessen: „Die Ukrainer und die Russen – das sind eigentlich Brudervölker…“ Die Straßenbahnen wälzen sich derweil mühsam über den überfüllten Augustusplatz. Immer wieder muß die Polizei per Ansage darum bitten, die Schienen freizumachen. Pendler haben heute keinen guten Tag.

Wie von weit her hört man dumpf die Trillerpfeifen der anderen Kundgebung auf dem Augustusplatz – der der „Freien Sachsen“. Obwohl nur wenige hundert Meter die Demonstranten voneinander trennen, wirkt die Entfernung zwischen beiden Lagern unendlich groß. Von einer Vermischung konnte den Abend über jedenfalls keine Rede sein – auch wenn sich das Jürgen Elsässer wünschte. Der Compact-Chefredakteur sagte auf der Kundgebung, in der aktuellen Situation könne man sich „Abgrenzungen nicht erlauben“.

„Ich habe die Schnauze langsam voll“

Die ersten Redner erscheinen unterdessen auf der im Grunde viel zu kleinen Bühne vor der Oper. Nach einander reden Pellmann, Mohammed Ali und Schirdewan. Die Menge wird dabei immer lebhafter.

„Ich hab die Schnauze langsam voll davon, daß wir normalen Menschen den Gürtel seit Jahren immer enger schnallen müssen, während die großen Konzerne einer nach dem anderen von der Bundesregierung gerettet wird“, ereifert sich die nur „Chiara“ genannte nächste Rednerin von der Interventionistischen Linken. Während sich die Linke  in den vergangenen paar Jahren immer wieder das Aussehen einer staatstragenden Partei gegeben hatte – beispielsweise in Sachen Corona und Migration – schäumt sie an diesem Abend vor revolutionärem Trotz.

Die Linke setzt Kurs auf Revolte

Endlich tritt Gregor Gysi ans Rednerpult. Die Menge jubelt, pfeift und skandiert Parolen. Der Politiker holt zum Schlag gegen die rechten Demonstranten auf der anderen Seite des Platzes aus. „Wenn Sie auch nur einen klitzekleinen Rest von Verstand im Kopf haben, dann lassen Sie mich Ihnen sagen, das Raßismus und Nationalismus keine Lösung für die Probleme dieses Landes sind.“ In den Massen brandet laut der Applaus auf. „Alerta! Alerta!“-Rufe erschallen.

Noch bevor sich der nun auf die Kundgebung folgende gemeinsame Demonstrationszug durch die Stadt in Bewegung setzten kann, verlieren sich viele Menschen schon im nächtlichen Dunkel der Stadt. Eine Fußgängerin auf dem Weg nach Hause wirkt ratlos. „Ich bin wirklich enttäuscht vom heutigen Abend“, seufzt die Dame. Sie stand auf der anderen Seite des Augustusplatzes.

„Verstehen die Linken denn nicht, daß wir nur gemeinsam etwas erreichen können? Anstatt dessen hat uns Gysi aber lieber als ‘Gesocks’ beschimpft.“ Ob sich die Linke an diesem Abend ihren Ruf als Partei der Revolte zurückerobert hat, ist also auch weiterhin unklar. Klar hingegen ist, daß sie von nun an mit diesem Anspruch zu Felde zieht.

Fast 10.000 Menschen haben sich laut Polizeiangaben am Montag zu Protesten in der Leipziger Innenstadt versammelt. Foto: Florian Werner / JUNGE FREIHEIT
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