Spätsommerabend in Berlin-Weissensee: Die Freien Wähler haben zu einer Wahlkampfveranstaltung im Strandbad geladen. Ihr Spitzenkandidat Marcel Luthe wird über sein Buch „Sanierungsfall Berlin“ sprechen. Thilo Sarrazin, Bestsellerautor und ehemaliger SPD-Politiker, wird ihn mit einer Laudatio vorstellen. Gastgeber des Abends ist Stefan Friedrich. Der Leiter des konservativ-liberalen Netzwerks „Forum Mittelstand“ hat die Veranstaltung vor der Seekulisse organisiert. Im Vorfeld des Abends hatte die Berliner Zeitung getitelt: „Unterstützt Sarrazin nun die Freien Wähler?“ Die Erwartungen sind groß.
Die Besucher stehen mit Bratwurst und Bier an der Promenade und blicken in den wolkenlosen Himmel. Mittendrin ist Marcel Luthe. Der Mann mit dem schelmisch wirkenden Spitzbart begrüßt freundlich seine Gäste und schüttelt eifrig Hände. Seine Chancen, mit den Freien Wählern ins Abgeordnetenhaus einzuziehen, hält er für gut. Die Resonanz des Wahlkampfs sei „unglaublich“. Beim Plakattieren werde er von den unterschiedlichsten Menschen angesprochen.
„Das ist ein Querschnitt von ganz Berlin. Da sind Geschäftsleute, Hipster und auch alteingesessene Berliner dabei.“ Über den Ehrengast des Abends, Thilo Sarrazin, sagt der gebürtige Bottroper der JUNGEN FREIHEIT: „Die wesentliche Gemeinsamkeit zwischen uns ist das rationale Denken. Uns verbindet die nüchterne Analyse.“ Das stehe über ideologischen Differenzen. Wie Sarrazin hatte Luthe seine Partei, die FDP, im Streit verlassen. Just in dem Moment trifft der ehemalige Sozialdemokrat im Strandbad ein.
Sarrazin wirbt für Luthe
Der Strand hat sich inzwischen mit weiteren Gästen gefüllt. Die Stimmung ist heiter. Drei Herren diskutieren. Sie haben sich im Strandbad verabredet, um Luthe zu sehen. Enttäuscht seien sie von der Antifa. Die habe diesmal gar keinen Krawall gemacht, scherzen sie. Alle drei bezeichnen sich als liberalkonservativ. Für Menschen wie sie gebe es derzeit keine Partei in Deutschland. Deshalb seien sie neugierig, was der Abend heute bringe.
Langsam drängt sich alles Richtung Außenbühne. Das Publikum läßt sich in Strandsesseln nieder. Friedrich begrüßt die Anwesenden im Namen des „Forums Mittelstand“. Sinn der Veranstaltung sei es, das bürgerliche Lager in der Stadt Berlin zu stärken, sagt Friedrich. Menschen wie Marcel Luthe und Thilo Sarrazin stünden exemplarisch für diesen politischen Anspruch. „Rot-Rot-Grün wird es schwerer haben in dieser Stadt, wenn die Freien Wähler ins Abgeordnetenhaus einziehen. Deshalb unterstütze ich sie!“ Danach tritt Sarrazin, von Personenschützern flankiert, ans Rednerpult. Er spricht über die Stadt Berlin, über seine Karriere als Berliner Finanzsenator, über die Scherereien, die er damals mit der Bürokratie und mit sozialdemokratischen Parteiideologen durchzustehen hatte. Und er lobt Luthe: „Ich hoffe, daß er ins Abgeordnetenhaus einzieht.“
Ein Raunen geht durch die Menge. Damit ist es offiziell: Sarrazin setzt auf Luthe. Als er auf die derzeitige Berliner Stadtregierung zu sprechen kommt, wird er ernst: „Bis in Spitzenposten gibt es Politiker, die mit Gewaltakten gegen Polizeibeamte sympathisieren.“ Deshalb hoffe er, daß Luthe dem Senat auch in der nächsten Legislaturperiode mit seinen Anfragen „auf die Nerven gehen“ werde.
Politiker ignorierten die organisierte Kriminalität
Nach Sarrazin spricht Luthe. Der Auftritt vor Publikum liegt ihm. Über dem Strandbad ist es dunkel geworden und Luthe schwört die Besucher auf einen „notwendigen Politikwechsel“ ein. Berlin „versinke in Parteiideologien“, erklärt der Politiker. Die Märchen, die sich Politiker über ihre Arbeit einredeten, würden die Probleme verdecken, mit denen die Stadt schon lange kämpfe. Statt die Augen zu verschließen, müsse man aber die Mißstände klar benennen: „Genau hinzugucken, das ist die Aufgabe der Abgeordneten.“
Eines der drängendsten Probleme in Berlin sei die organisierte Kriminalität. Die Stadt verschaffe sich keinen Überblick über Tätigkeiten von Mafia oder Rockerbanden: „Organisierte Kriminalität findet in Berlin nicht statt, weil es kein Lagebild mehr dazu gibt,“ sagt Luthe. Die Bürger von Berlin wollten frei und sicher in ihrer Stadt leben, die sozialdemokratische Stadtregierung versage an dieser Stelle eindeutig.
Für diesen Satz bekommt der Politiker großen Applaus. In zwölf Tagen wird sich zeigen, ob an diesem Abend die entscheidenden Stimmen gewonnen wurden, mit denen die Freien Wähler erstmals ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen. (fw)