BERLIN. Der frühere Vize-Kanzler Peer Steinbrück (SPD) hat die Parteiführung der Sozialdemokraten für die frühe Nominierung von Finanzminister Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten kritisiert und zur Geschlossenheit ermahnt. Scholz sei „jetzt der Frontmann, und er muß jede Unterstützung haben. Und dem haben sich auch die beiden Parteivorsitzenden unterzuordnen“, sagte er mit Blick auf Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken dem BR.
Die Bekanntgabe von Scholz als Spitzenkandidaten 13 Monate vor der Bundestagswahl sei ein Risiko. Es bestehe die Gefahr, daß die SPD ihn zwischen Partei und Wahlprogramm aufreibe, warnte Steinbrück. Außerdem würde der „Kandidat an der Wand entlanggezogen. Es wird jeder Stein umgedreht, um zu gucken, was dadrunter liegt“, äußerte Steinbrück im Rückblick auf seinen Wahlkampf als Kanzlerkandidat 2013.
Daher könne er nicht nachvollziehen, Scholz bereits jetzt der Öffentlichkeit zu präsentieren. „Denn auch in einem Vierteljahr oder in einem halben Jahr wäre niemand an Olaf Scholz als Spitzenkandidat der SPD vorbeigekommen.“
Kühnert appelliert an Jusos
Walter-Borjans hatte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zugegeben, daß die Nominierung von Scholz unter den Sozialdemokraten nicht unumstritten gewesen sei. „Es wäre unehrlich und unfair, das zu bestreiten.“ Zugleich betonte er, der Spitzenkandidat dürfe in der SPD nicht einfach seine Agenda durchdrücken. Die Parteivorsitzenden beanspruchten ein inhaltliches Mitspracherecht.
Juso-Chef Kevin Kühnert appellierte in einer Stellungnahme an die Jugendorganisation der SPD, den Wahlkampf nicht zu torpedieren. In der Partei müsse man sich von zerstörerischer Kritik verabschieden. Trotz einiger Enttäuschung unter den Jusos über die Entscheidung sicherte Kühnert Scholz die Unterstützung zu.
Scholz steht wegen Wirecard-Skandal unter Druck
Teile der Jusos befürchten unter Scholz eine Abkehr vom Linkskurs der Partei. Unter dem Führungsduo Walter-Borjans und Esken hatten sich die SPD wieder stärker links positioniert.
Scholz steht derzeit wegen der Pleite des Finanzdienstleisters Wirecard unter Druck. Der Finanzminister kündigte die Aufklärung der Hintergründe der Milliardenpleite des Unternehmens an. Kritiker werfen der Scholz unterstellten Finazaufsichtsbehörde Versäumnisse vor.
In seine Amtszeit als Erster Bürgermeister von Hamburg fielen die Ausschreitungen rund um den dort tagenden G20-Gipfel im Sommer 2017. Wegen seines Krisenmanagements war Scholz von der Opposition scharf attackiert worden, die ihm vorwarf, das Gewaltpotential der Randalierer unterschätzt zu haben. (ag)