Anzeige
Anzeige
ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

Innenpolitischer Jahresrückblick: „So attraktiv wie Fußpilz“

Innenpolitischer Jahresrückblick: „So attraktiv wie Fußpilz“

Innenpolitischer Jahresrückblick: „So attraktiv wie Fußpilz“

Merkel Schulz
Merkel Schulz
Martin Schulz (SPD) und Angela Merkel (CDU) Foto: picture alliance/AP Photo
Innenpolitischer Jahresrückblick
 

„So attraktiv wie Fußpilz“

Historiker in späteren Jahrzehnten werden mit dem Jahr 2017 möglicherweise das Ende einer Epoche verbinden: In diesem Jahr starb mit Helmut Kohl nicht nur der Kanzler der Einheit. Es läutete auch den Anfang vom Ende der Ära Merkel ein. Der AfD gelang es zudem, das wie ein Zementblock wirkende bisherige Parteiensystem aufzusprengen.
Anzeige

Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Historiker in späteren Jahrzehnten werden mit dem Jahr 2017 möglicherweise das Ende einer Epoche verbinden: In diesem Jahr starb Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit, ein „Ausnahmepolitiker und ein Glücksfall für die deutsche Geschichte“, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formulierte.

Denn trotz größerer und kleinerer Krisen, vorwiegend in der Außenpolitik, erlebte Deutschland mit Kohl und seinen Nachfolgern rund zwei stabile Jahrzehnte; 2017 begann aus dem schon in den Vorjahren stärker gewordenen Wind der Veränderung ein Sturm zu werden.

Dabei sah es zu Beginn des Jahres nach einem Relaunch alter Kräfte bei Windstille aus. SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel lieferte sein Meisterstück ab, trickste Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus und schaffte es, Außenminister Steinmeier zum Bundespräsidentenkandidaten der Großen Koalition zu machen. Am 12. Februar wurde Steinmeier gewählt.

Parallel brach in der SPD der „Schulz-Hype“ los, eine Art politischer Wirbelsturm mit dem neuen Parteichef Martin Schulz, bisher Präsident des Europaparlaments, im Mittelpunkt. Schulz wurde zur medialen Lichtgestalt; man sah ihn schon an der Spitze einer rot-rot-grünen Koalition im Kanzleramt.

Jähes Ende des „Schulz-Hype“

Drei Landtagswahlen später war es mit dem Schulz-Hype vorbei. Die SPD verlor im Saarland (unter 30 Prozent) und – weit schlimmer – in Schleswig-Holstein ihre Regierungsmehrheit. Der Kieler Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) bekam aber schnell Konkurrenz im Wettbewerb um den Titel des Absteigers des Jahres: Auch in Nordrhein-Westfalen schmierten die Sozialdemokraten mit Hannelore Kraft dramatisch ab. Während im Saarland die CDU-Regierung bestätigt wurde, wurden mit Armin Laschet und Daniel Günther in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein CDU-Politiker Ministerpräsidenten. Günther gilt in der CDU als Hoffnungsträger.

Daß eine Regierungspartei im Bund Landtagswahlen gewinnt, war in früheren Jahren eine Ausnahmeerscheinung. Die Regel damals war, daß die jeweilige Bundes-Opposition erheblich Stimmen bei den Landtagswahlen gewann. Kam sie selbst an die Macht, drehte sich der Trend wieder um.

Aber auf den ehemaligen „Genossen Trend“ oder „Bürger Trend“ ist kein Verlaß mehr: Bei den drei Landtagswahlen gelang es der AfD, Sitze in den Parlamenten zu erlangen und damit das wie ein Zementblock wirkende System von fünf Parteien aufzusprengen. Auch die schon im Untoten-Status befindliche FDP erwachte mit Christian Lindner zu neuem Leben, so daß sich Deutschland auf ein Sechs-Parteien-System einzurichten beginnt.

Wichtig ist auch, was dieses Jahr nicht geschah

Manchmal ist auch wichtig, was nicht geschah: Auf eine Steuerreform mit deutlicher Entlastung der Bürger wartete man auch im zwölften Regierungsjahr Merkels vergeblich. Statt dessen entpuppte sich das System Merkel immer mehr als Nanny-Staat, der glaubt, besser mit dem Geld umgehen zu können als seine Bürger.

Bei den Bürgern gab der Staat allerdings ein immer schlechteres Bild ab: Das Gefühl der Unsicherheit und der Bevormundung vor allem in der Ausländerpolitik wuchs. Beim G20-Gipfel im Juli in Hamburg konnte der Staat seine Bürger und ihr Eigentum nicht vor Gewalttätern schützen. Zugleich setzte die Politik der alten Parteien auf Symbolik und entwertete mit der Einführung der „Ehe für alle“ die traditionelle Familie.

Am 24. September bei der Bundestagswahl überraschte nicht mehr der Einzug der AfD in den Bundestag. Vielmehr ließen die massiven Verluste von Union und SPD offenkundig werden, daß das Ergebnis kein Ausrutscher, sondern Folge einer tektonischen Plattenverschiebung im politischen System ist. Die neue Fraktion (92 von 709 Abgeordneten) wird von Alexander Gauland und Alice Weidel geführt.

Gescheiterte Jamaika-Verhandlungen

Die frühere Parteichefin Frauke Petry verließ zusammen mit einem Gefolgsmann die Fraktion bereits wieder. An der Spitze des Bundestages löste der von Medien als „AfD-Bändiger“ gefeierte Wolfgang Schäuble (CDU) Norbert Lammert (CDU) ab, der nicht mehr kandidiert hatte.

Merkel, die nach der Wahl nicht erkennen konnte, was sie hätte anders machen sollen, wollte statt der Großen Koalition mit FDP und Grünen ein Jamaika-Bündnis. Das Projekt avancierte zum Medien-Liebling; bei den Beteiligten floppte es, so daß Lindner erklärte: „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren.“

Während des Berliner Interregnums zeigte die SPD, daß sie Wahlen gewinnen kann. Bei der wegen des Wechsels einer Grünen-Abgeordneten zur CDU vorgezogenen Landtagswahl in Niedersachsen holte Ministerpräsident Stephan Weil mehr Stimmen als die CDU, mit der er jetzt regiert, weil der Einzug der AfD eine Neuauflage von Rot-Grün unmöglich machte.

Den Jahreswechsel erlebt die Berliner Republik mit einer lediglich geschäftsführenden Bundesregierung. SPD-Chef Schulz verhandelt nun mit Merkel über die Fortsetzung der Großen Koalition, die sein Stellvertreter Ralf Stegner „so attraktiv wie Fußpilz“ findet.

JF 52/17

Martin Schulz (SPD) und Angela Merkel (CDU) Foto: picture alliance/AP Photo
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag