BERLIN. Ein Jahr nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 sind immer noch etwa 80 schwer verletzte oder besonders traumatisierte Opfer in Behandlung. Dies teilte der Beauftragte der Bundesregierung für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz, Kurt Beck, am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung seines Abschlußberichts mit.
Auch die Enthüllungen über Versäumnisse bei der Überwachung des späteren Attentäters würden bei den Betroffenen immer wieder neue Wunden aufreißen, so Beck. Er forderte von Politik und Behörden, aus den Fehlern zu lernen. „Es gab Erfahrungen, die dürfen sich nicht wiederholen.“ Dazu zähle, daß Angehörige zu lange ohne Informationen über das Schicksal der Opfer geblieben seien oder etwa versehentlich Rechnungen für die Obduktion bekommen hätten.
Beck sprach sich dafür aus, eine dauerhafte Stelle für einen Opferbeauftragten „im Stand-by-Modus“ beim Justizministerium einzurichten, die im Bedarfsfall aufgestockt werden könnte. Der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz forderte zudem eine deutliche Erhöhung der materiellen Hilfe für Betroffene.
Mangelnde finanzielle Hilfen
Ehe- und Lebenspartner, Kinder und Eltern eines durch einen Terroranschlag Getöteten erhalten als sogenannte Härteleistung 10.000 Euro, Geschwister 5.000 Euro. Verletzte bekommen pauschal bis zu 7.500 Euro. Beck sagte, damit rangiere Deutschland im internationalen Vergleich „höchstens im unteren Mittelfeld“, dies müsse geändert werden.
Geschädigte erhalten je nach Ausmaß ihrer Schädigung derzeit zwischen 141 und 736 Euro pro Monat. Hinterbliebene 443 Euro (Witwen/Witwer bzw. Lebenspartner), Halbwaise 124 Euro und Vollwaise 233 Euro monatliche Grundrente.
Beck zeigte sich zuversichtlich, daß die Bundesregierung seine Forderung aufgreifen werde, wonach künftig Opfer aus Nicht-EU-Staaten bei der Entschädigung nicht mehr schlechter gestellt werden sollen.
Beck berichtete zudem, er habe nach Zusammenkünften mit Opfern und Hinterbliebenen deren Kritik an fehlender staatlicher Anteilnahme jedes Mal auch dem Kanzleramt mitgeteilt. Er sei sicher, daß die Kanzlerin die richtigen Lehren daraus gezogen habe.
Er könne verstehen, daß sich die Betroffenen eine größere demonstrative Anteilnahme des Staates gewünscht hätten. Die geplante Feier am kommenden Dienstag sei daher ein wichtiges Signal. „Wir waren in Deutschland nicht auf solch einen Anschlag vorbereitet“, stellte Beck fest.
Beck: Alles muß aufgearbeitet werden
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte bei der Vorstellung des Abschlußberichts, das Kabinett habe die Kritik, wie sie etwa in dem offenen Brief der Hinterbliebenen zum Ausdruck kam, „respektiert und akzeptiert“. Aus den Fehlern der Vergangenheit habe man politische und gesetzliche Konsequenzen gezogen. Er betonte jedoch, man habe trotz einzelner Versäumnisse alles getan, das Risiko eines Terroranschlages so gering wie möglich zu halten. „Absolute Sicherheit kann es in einer freien Gesellschaft nicht geben“, so Maas.
Beck sprach sich mittelbar auch für einen Untersuchungsausschuß im Bundestag aus. Intensive Aufklärung sei weiter nötig. „Es gibt nur einen Weg: alles aufarbeiten!“ Es dürfe auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden, man wolle etwas unter den Teppich kehren.
Am 19. Dezember 2016 hatte der aus Tunesien stammende Islamist Anis Amri bei einem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin mit einem Lastwagen zwölf Menschen umgebracht und fast hundert weitere verletzt. Auf der Flucht wurde der Attentäter wenige Tage später in Mailand erschossen.
Sein Amt als Opferbeauftragter wird Beck noch bis Ende März 2018 ausüben. (vo)