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Batman abgestumpft

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Zum Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Gewalt gibt es eine mittlerweile Jahrzehnte alte Debatte. Diese soll hier nicht weitergeführt werden, wohl aber einige kritische Gedanken zu Medienkonsum angestoßen werden.

Aktueller Anlaß ist der vor wenigen Tagen erfolgte Amoklauf in einem Kino nahe Denver/Colorado, der während der Mitternachtspremiere des neuen „Batman“-Films passierte. Zwölf Tote und zahlreiche Verletzte sind die Bilanz dieser Schreckenstat.

In der Gewaltdebatte sehen die Kritiker von Horror- und Actionfilmen beziehungsweise Ego-Shooter-Computerspielen eine Gewalt verstärkende Wirkung. Diese wird von Anhängern besagter Filme und Spiele vehement bestritten. Das Argument der Masse spricht für letztere. Denn wenn ein direkter Zusammenhang zwischen Horrorfilmen beziehungsweise Ego-Shooter-Spielen und Gewaltausbrüchen bestände, müßten die Zahlen von Amokläufern viel höher liegen.

Unterhaltungsindustrie hat aufgerüstet

Vorbei sind jedenfalls die Zeiten der achtziger Jahre, als hierzulande linke Pädagogen meinten, gegen „Kriegsspielzeug“ ankämpfen zu müssen. Dieses betraf damals vor allem ein paar harmlose Wehrmachtspanzer aus Plastik als Modellbausatz. Mittlerweile hat statt dessen die Unterhaltungsindustrie in Form des Krieges gegen Monster, Alien, irre Massenmörder, Superhelden und Dauerexplosionen aufgerüstet.

Eine Mehrheit der Jugendlichen ist heute mit derartigen Filmen und Ego-Shooter-Spielen in ihrem Alltag direkt konfrontiert, und sicherlich weit über 99 Prozent von ihnen greifen deshalb nicht umgehend zur Waffe und beginnen auf Schulhöfen oder in Kinosälen um sich zu schießen. Ich selbst kenne einige junge Männer, die mit Horrorfilmen und „Ballerspielen“ aufgewachsen sind, und deshalb trotzdem kluge, reflektierte und völlig friedliche Menschen geblieben sind.

Auch der Verfasser hat in seiner Jugend bereits zahlreiche, aus heutiger Sicht aber wohl eher harmlose, Krimis und erste Computerspiele konsumiert und ist bislang deshalb noch nicht straffällig geworden. Daß Gegenteiliges bei einzelnen Personen dennoch passiert, dürfte weniger allein auf den Konsum solcher Freizeitangebote zurückzuführen sein als auf soziale Verwahrlosung und psychische Störungen, bei denen Gewaltfilme und -Spiele allerdings als Durchlauferhitzer durchaus ihre Funktion haben dürften.

Frage nach der Wirkung von Gewalt in Medien

Einige Studien stellen immerhin einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Mediengewalt und einer sinkenden Aggressionshemmung her.

Und selbst Angela Merkel hat sich schon in den frühen neunziger Jahren kritisch zu der Thematik geäußert:

„Wer Gewalt in den Medien anprangert, wird nicht selten darauf verwiesen, daß unsere Welt nun einmal gewalttätig sei und nichts anderes als ein Abbild der Realität gezeigt werde. Vor allem aber wurde jahrzehntelang die Wirkung von Gewalt in den Medien überhaupt in Frage gestellt. Die sogenannte Katharsisthese, daß Gewalt in den Medien sogar Aggressionen abbauen helfe, ist aber inzwischen wissenschaftlich widerlegt. Nicht jeder, der mit Mediengewalt regelmäßig konfrontiert wird, wird auch zum Gewalttäter.

Unbestritten ist aber, daß es in Einzelfällen direkte Nachahmungen von Filmerlebnissen gibt, und sicher ist auch, daß durch Gewaltkonsum niemand friedlicher wird. Die unübersehbare Wirkung auf Kinder wird in Kindergärten und Schulen auch als das Montagssyndrom beschrieben; vor allem nach dem Wochenende sind Kinder besonders aggressiv.“

Kranke Reaktionen auf pazifierte Wohlstandsgesellschaft

Zu untersuchen wäre, inwieweit Amokläufe dieser Art, die noch vor wenigen Jahrzehnten in solcher Weise undenkbar gewesen wären, Resultate einer bestimmten, amerikanisch geprägten Lebensweise sind. Möglichenfalls sind sie kranke Reaktionen einiger männlicher Individuen auf eine pazifierte, verweiblichte Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft ohne kollektiven Halt und soziale Traditionen.

Doch, wie gesagt, es soll hier gar nicht die Gewaltdebatte neu angestoßen werden, zumal über den Medienkonsum des offenbar sehr intelligenten Attentäters noch gar keine Erkenntnisse vorliegen.

Es geht um einen ganz anderen Nebeneffekt. In den Meldungen über die Verletzten in Denver wurde bekannt, daß sich unter den Opfern ein sechs Jahre altes Kind und ein drei Monate alter Säugling befinden. Lassen wir den Säugling einmal außer acht, der allenfalls andere Zuschauer hätte stören können. Doch ein Sechsjähriger sitzt in einem Film, der sicherlich spannend und ästhetisch inszeniert ist, aber immerhin ein gewisses Gewaltarsenal visualisiert und in Deutschland eine FSK-Freigabe ab 12 Jahren erhalten hat.

Mangelndes medienkritisches Bewußtsein

Dieser gedankenlose Umgang von Eltern mit dem Medien- und Internetkonsum ihrer Kinder kann teilweise im eigenen Bekanntenkreis beobachtet werden. Als bei einem Besuch der kleine Sohn von Freunden am Abend wie wild mit einem Holzschwert hin- und herfuchtelte, wurde mir mitgeteilt: „Der ist heute etwas aufgedreht, denn wir waren am Nachmittag mit ihm im Kino, in ‘Pirates of the Caribbean’.“

Dieser sicherlich amüsante Film, in dem unter anderem Zombies auftauchen, ist ebenfalls laut FSK ab 12 freigegeben. Der kleine Junge aber war zu diesem Zeitpunkt gerade vier Jahre alt. Kein Wunder, daß er aufgedreht war, da ein solch kleines Kind das Gesehene stark überfordern dürfte. Ein anderer Freund meinte zu mir, daß sein neunjähriger Sohn mit seiner Frau nahe Florida im Urlaub sei, während er in Deutschland arbeiten müsse. Da könne der Junge im Fernsehen schauen, was er wolle, denn die Mutter schreite nie ein. „Die empfangen ja US-TV dort. Ich möchte gar nicht wissen, was der da alles zu sehen bekommt.“

Dies sind noch Kinder aus gutbürgerlichen Familien. Man möchte sich nicht ausmalen, wie es in prekären Verhältnissen aussieht, in denen überhaupt kein medienkritisches Bewußtsein mehr besteht. Und ich erwähne das nicht, weil ich im Entferntesten annehme, daß diese netten Kinder irgendwann mit einer Pumpgun in ein Kino oder auf den Schulhof marschieren würden, sondern allein aus einer anderen Frage, die ich mir stelle.

Laute Oberfläche ohne Tiefe

Wenn man mit neun oder zehn Jahren schon jeden Schrecken, jedes Monster, jede Leinwandexplosion miterlebt hat, was soll einen solchen Menschen später noch faszinieren? Was soll er noch entdecken? Was soll ihn abstoßen und ängstigen? Für was soll er sich begeistern? Kann er mit 18 Jahren nur noch Vergewaltigungspornos und reality-tv über zerfetzte Verkehrsopfer ansehen, um überhaupt noch etwas zu fühlen?

Das ist nämlich die viel mehr in die Breite wirkende Gefahr dieser Unterhaltungsindustrie, als potentiell durchdrehende Attentäter: Die Abstumpfung, der Verlust der Faszination und Begeisterungsfähigkeit, der eine Depression nach sich ziehen kann.

Leise Töne, Pastellfarben werden in regulative Rückzugsräume verbannt, zum Beispiel ins eigene Wohnzimmer, das Meditations- oder Wellness-Center. Ansonsten äußern sich Wachstumswirtschaft und künstliche Bedürfniserzeugung in unserer Gesellschaft oft nur in harten Reizen. Stuntshows müssen immer spektakulärer sein, Sportarten immer waghalsiger, Außenwerbung muß bunt knallen, damit sie überhaupt noch wahrgenommen wird.

Graffiti-Maler können dem nicht nachstehen und setzten der sie beunruhigenden Schlichtheit leerer Wände ihre meist ultragrellen, plakativen Tags oder Comicfratzen entgegen. Alles ist laute Oberfläche, hinter der keine Tiefe mehr existiert.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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