Die jugendliche Fehlleistung des Hubert Aiwanger liegt 36 Jahre zurück. Irgendwelche neuen Einzelheiten lassen sich nachträglich kaum mehr eruieren. Das ist auch unnötig, denn der damals 16jährige wurde vom Disziplinarausschuß seiner Schule sanktioniert. Sogar Totschlägern, Körperverletzern, Räubern und Vergewaltigern wird nach verbüßter Strafe zugestanden, von nachträglichen Verdächtigungen verschont zu bleiben. Und wer im Erwachsenenalter Drogen und Zwangsprostituierte konsumiert hat, darf trotzdem nach kurzer Schamfrist wieder als moralischer Zeigefinger im öffentlichen Raum herumstolzieren.
Vor diesem Hintergrund ist das Getöse um den Wirtschaftsminister und Chef der Freien Wähler in Bayern nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes nicht zu erklären. Es gibt Themen über Themen, die im Wahlkampf und überhaupt öffentlich verhandelt werden müßten – faktenbasiert und unter dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments.
Aiwanger als Volkstribun gegen die grüne Transformation?
Deutschland erleidet eine schleichende Deindustrialisierung, weil Firmen und Betriebe vor der vernunftbefreiten Wirtschafts- und Energiepolitik der Bundesregierung in die Knie gehen oder Reißaus nehmen. Der Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat die fortschreitende Verdummung des Nachwuchses festgestellt; immer mehr Schulabgänger sind unfähig zu wertschöpfender Tätigkeit, weil ihnen das Basiswissen und die sozialen Techniken dafür fehlen. Verschlimmert wird die Situation durch eine forcierte Zuwanderung, die sich zum großen Teil aus Analphabeten zusammensetzt.
Der politisch-mediale Komplex aber betreibt ungerührt sein altes Gesellschaftsspiel: „Fangt den Nazi!“ Weil es so wenige davon gibt und von den wenigen keiner von Bedeutung ist, werden immer neue Popanze aufgebaut.
Wahlsabotage durch die Hintertür
Nun also Aiwanger. Wegen seiner Rede im Juni in Erding wurde er als Sicherheitsrisiko identifiziert. Er hatte sich gegen das Heizungsgesetz und damit gegen ein Element der grünen Transformation gestellt, die das Land ummodelt. Bei der Gelegenheit hatte er seine Fähigkeit zum Volkstribun unter Beweis gestellt. So geriet er ins Visier der links-rot-grünen Hetzmeute.
Die periodisch wiederkehrenden Kampagnen sind geeignet, die Wählerschaft in künstliche Erregungszustände zu versetzen und an einer rationalen Entscheidungsfindung zu hindern. Konträre politische Positionen müssen dann nicht sachlich widerlegt werden. Sie werden entsorgt, indem man ihre Wortführer sozial meuchelt. Strenggenommen handelt es sich um die Sabotage freier Wahlen durch die Hintertür.
Die Rückkehr des Professor Unrat
Ein Musterexemplar bundesdeutscher Justemilieu-Sozialisation ist der pensionierte Lehrer Franz G., der sich stalkerartig an die Fersen seines ehemaligen Schülers Aiwanger heftete, an der Dienstvorschrift vorbei Belastungsmaterial über einen Schutzbefohlenen hortete und die Süddeutsche Zeitung damit aufmunitionierthat. Der 73jährige ist altersbedingt kein Aktivist, doch eine Frucht beziehungsweise ein Früchtchen der 68er Bewegung, die angekündigt hatte, den tausendjährigen Muff unter den Talaren auszulüften.
In Wahrheit erleben wir die Rückkehr des Professor Unrat aus dem Roman von Heinrich Mann. Dieser tückische Tyrann fühlte sich, wenn er Schüler in den Karzer sperrte, wie ein „Selbstherrscher, der wieder einmal einen Haufen Umstürzler in die Strafkolonie versendet“. Der einzige Unterschied: Diesmal kommt die Tyrannei aus der linken Ecke.
West-Stasi in Aktion
Was ist davon zu halten, wenn Mitschüler Aiwangers kontaktiert werden, um braune Impressionen zu bezeugen? Müssen Kinder sich künftig vor Klassen- oder gar schon vor Spielkameraden im Sandkasten hüten, weil zu befürchten ist, daß diese in 30 oder 40 Jahren als Denunzianten rekrutiert werden und ihnen die Karriere zerstören? Nachdem das Stasi-Problem der DDR aus allen nur denkbaren Perspektiven ausgeleuchtet wurde, ist es an der Zeit, sich mit gleicher Intensität der Spitzel- und Denunzianten-Mentalität sowie der Überwachungsstrukturen zu widmen, die der Westen herausgebildet hat und zu deren Opfer nun auch Aiwanger zählt.
Das Flugblatt ist ohne Wenn und Aber widerwärtig. Als es 1987 verfaßt wurde, war der sogenannte Historikerstreit noch in frischer Erinnerung. Damals hatte Jürgen Habermas den Deutschen die „Schamröte“ über die NS-Verbrechen, das heißt den mentalen Ausnahmezustand, als niemals endenden Auftrag ins Stammbuch geschrieben. Man muß kein detaillierter Kenner der Schriften Sigmund Freuds sein, um nachzuvollziehen, daß die „Dauerpräsenz unserer Schande“ (Martin Walser) im Klassenzimmer bei Schülern zu einer psychischen Überlastung führt, die sich in exaltierten Trotzreaktionen ein Ventil sucht. Mit NS-Sympathien oder Antisemitismus hat das in der Regel nichts zu tun.
Die Bayern-Wahl wird ein politischer Intelligenztest
Man braucht Aiwanger deswegen nicht zum Weißen Ritter wider das Establishment zu erheben. Als Minister treibt er die Verschandelung der Landschaft durch Windräder voran. In der Corona-Zeit trug er Markus Söders repressiven Kurs mit, drang auf das Tragen von FFP2-Masken, und als Bild ihm im Dezember 2020 die Frage stellte, ob 500 Euro Strafe am Heiligabend wegen Übertretung der Lockdown-Regeln denn christlich wäre, erwiderte er, man wolle nun mal keine „Schlupflöcher“ dulden. Auch seine Freien Wähler stellen aufs Ganze gesehen eher ein Abklingbecken für Unzufriedene als eine echte Alternative dar.
Doch aktuell ist das nebensächlich. Es ist zu hoffen, daß der Schmierenjournalismus und die Vernichtungskampagne diesmal als Rohrkrepierer enden. Söders Entscheidung, Aiwanger im Amt zu halten, ist freilich kein Beleg für konservative Standfestigkeit, sondern lediglich für opportunistischen Spürsinn. Die Kampagne ist so plump und durchschaubar, daß ein Einknicken ihm einen unwiederbringlichen Gesichtsverlust bescheren würde.
#FreieWähler #Aiwanger pic.twitter.com/jD8JSSlcwe
— Hubert Aiwanger (@HubertAiwanger) September 5, 2023
Der Einfluß von Wahlen auf die tatsächlichen Machtverhältnisse wird grotesk überschätzt. Trotzdem wäre es ein Nachweis von politischer Intelligenz, wenn die bayerischen Wähler am 8. Oktober sämtlichen Altparteien inklusive der CSU eine Quittung für das Schmierenstück um Aiwanger ausstellen würden.