Beide sind emotional aufgewühlt, der Vater legt beruhigend seine Hand auf den Arm seines Sohnes. Der fragt sich laut, wieso er die Firma seines Vaters übernehmen soll, den er sein ganzes Leben nur hat hart arbeiten sehen, um nach der friedlichen Revolution das aufzubauen, was er sein Lebenswerk nennt. Und der Vater sagt zu ihm: Er ertrage es auch, wenn sein Sohn die Firma nicht übernähme und lieber eine Planinsolvenz vollziehen möchte. Mit Tränen in den Augen.
Vater und Sohn sind Techniker, Experten ihres Fachs in der Zerspanung. Die Werkhallen gehören ihnen, neue Maschinen wurden angeschafft, sie sind Meister im fünfdimensionalen Fräsen. Technische Perfektionisten. Sie haben die Löhne ihrer Mitarbeiter in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt angehoben: Unternehmerisch ist alles, soweit es möglich war, solide aufgebaut.
Alles, was nach Steuern, Abgaben und Umlagern übrig bleib, wurde in die Firma gesteckt. Wenn aber nicht viel übrigbleibt, dann sind auch die Rücklagen nicht da, um monatelang ohne nennenswerte Einnahmen zu überwintern. Auch die Hilfsprogramme nutzen nur, wenn eine solide Weiterentwicklung der Firma möglich ist. Ist das nicht in Sicht, ist es ehrlicher und auch ehrenwerter, sie gar nicht erst in Anspruch zu nehmen und geplant in Insolvenz zu gehen.
Auch erfahrenen Mittelständlern geht die Luft aus
Im Osten der Republik hat man diese Erfahrung, vor der jetzt alle stehen, schon einmal durchgemacht: in den 90er Jahren. Wir wissen: Es wird hart, selbst wenn man Hilfe kriegt. Die Umstellung ist brutal. Man überlebt es, aber nicht ohne Blessuren. Und man lernt: alles, was nicht unbedingt gebraucht wird, ist erst einmal Luxus. Und Luxus muß man sich leisten können – auch gesellschaftlich. Vielleicht wird auch die große Anzahl von Personen, die aus Steuergeldern bezahlt werden, zumindest teilweise Luxus werden. Feuerwehrmänner und Krankenschwestern wird es weiter geben, aber „Genderprofessor*innen“ – vielleicht reichen ja drei bundesweit? Für jedes Geschlecht eine Professur? Von mir aus sechs, damit es immer eine zweite Meinung geben kann?
Trotz soliden Wirtschaftens geht so manchem guten Techniker und erfahrenen Mittelständler wie diesem Vater und Sohn jetzt in dieser Situation schnell die Luft aus. Denn hier handelt es sich beispielsweise trotz aller technischen Fertigkeiten quasi um einen technologischen Tagelöhner, der viele Kleinaufträge macht und als Hauptgeschäft Zulieferer eines Zulieferers ist, der selbst aus mehreren Ländern auf der Welt Komponenten bezieht, diese montiert und dann an den Endverbraucher, oft in der Automobilindustrie, weiterverkauft. Die hat nun alles still gelegt. Aber nun ruht nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch die Zulieferkette ist an sich unterbrochen.
Kommt das Teil aus China oder Italien nicht, dann bleibt der, der liefern kann, auf seiner Ware sitzen – wie auf dem bereits eingekauften Stahl und der vertraglich für das Jahr vereinbarten Abnahmemenge. Der überbordende Hunger des Staates hat die Unternehmen zum Teil kahlgefressen oder verhindert, daß sie für einen solchen Ausstand genug Speck ansetzen konnten. Viele versuchten ihr Glück im Aufbau weltweiter Wertschöpfungsketten, um Kosten zu sparen. Nun bricht dieses Kartenhaus zusammen.
Produzenten sind das Herz des Gemeinwesens
Stolze Bierbrauer bleiben auf ihren Fässern sitzen, weil Hotels und Gastronomie als Abnehmer fehlen. Technologische Könner im Komponentenbau verhungern in gestörten Zuliefer- und Wertschöpfungsketten. Einzelhändler fallen unter das Existenzminimum und Messebauer stehen vor dem Aus. Und ja, auch der Kultur- und Eventbereich ist betroffen.
Ein Umsatzeinbruch von mehr als 50 Prozent innerhalb weniger Wochen ist dramatisch. Viele in der Politik und in der Verwaltung können sich das nicht vorstellen, weil sie am Monatsersten immer unerschüttert und berechenbar ihre oft auch recht hohen Bezüge bekommen – übrigens aus den Steuern, Umlagen und Abgaben, die die erarbeiten, denen heute die Luft ausgeht. Viele Dienstleister sind auch betroffen. Aber es gibt sie nur, weil es Produzenten gibt, denen oder deren Mitarbeitern sie ihre Dienstleistung anbieten.
Ohne Produzenten keine Dienstleister – auch nicht von Seiten des Staates. Die Produzenten sind das Herz des Gemeinwesens. Sie pumpen das Geld in den Kreislauf. Das mag dem Gehirn nicht gefallen, aber auch es selbst kann nicht ohne Kreislauffunktionen überleben. Ökonomische Gesetze brechen alle anderen Gesetze. Die Politik, auch sehr stark die Grünen, haben lange politisch darauf gesetzt, Angst zu erzeugen, um die Dinge in ihre Richtung zu lenken. Nun gibt es eine größere Angst, und die wird die Grünen fressen, wie sie von den Menschen die ganze Aufmerksamkeit erfordert: die Überlebensangst.
Wir haben keine soziale Marktwirtschaft mehr
Die Grünen sind da sicherlich nicht alleine mit ihrem Mangel an Vorstellungskraft. Das dürften vielen in der Linken, der SPD, vielleicht auch in der CDU nicht besser gehen. Vielleicht wird es leichter, wenn man ihnen sagt, daß sie ab dem übernächsten Monat nur noch die halbe Diät oder das halbe Gehalt bekämen. Dann blieben ein paar Wochen Zeit, um die eigenen Ausgaben für Haus und Heim, Familie und Gesundheit, Mobilität und Vergnügen um die Hälfte zu reduzieren oder sich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit einen neuen Job zu suchen in einem Feld, das anderswo auf der Welt für einen Bruchteil des Preises elektronisch ordentlich abgearbeitet werden kann. Wer sind eigentlich die wirklich Reichen in einer Gesellschaft wie der unseren, die durch den Welthandel gut verdient, aber im Prinzip von der Hand in den Mund lebt?
Ja, sagen dann die grünen Experten, da müssen halt Innovationen her, damit man weiter mithalten kann im Welthandel. Dazu wären fast alle Mittelständler auch bereit, wenn man ihnen die Luft dazu ließe. Und wenn man ihnen nicht vorschriebe, wie die Innovation im Detail auszusehen habe. Unternehmer wollen Geld verdienen – die wissen schon, was der Kunde will oder braucht. Das gehört bei einem erfolgreichen Unternehmer zum kleinen Einmaleins. Eine vernünftige Ordnungspolitik gibt die zivilisatorischen Leitplanken vor. Das reicht. Aber das ging verloren. Von den sieben grundlegenden Prinzipien Walter Euckens ist heute nicht eines mehr wirklich in Kraft. Wir haben keine soziale Marktwirtschaft, das natürliche Biotop des Mittelstandes, mehr.
Es gehört schon sehr viel Selbstvertrauen – oder Naivität – dazu, sich kraft einer selbst zugeschriebenen Expertise anzumaßen, den Unternehmen das Geld auf vielfältige Art aus den Taschen zu ziehen und ihnen hinterher dosiert wieder als Hilfe oder Investitionszuschuß anzubieten, wenn denn der Unternehmer die Innovation macht, die die Politik ausbaldowert hat. Beispiel Elektroautos: Die will keiner so wirklich haben. Also muß man es mit großzügigen Kaufprämien erzwingen – willkommen in der gelenkten Staatswirtschaft.
Vor dem Trümmerhaufen politischer Verblendung
Ältere aus dem Osten kennen das. Auch deshalb wird hier die Quote derer, die sagen, ich lasse es bleiben und arbeite mich hier nicht mehr tot, höher sein. Warum soll man nach 30 Jahren wieder da enden, wo man angefangen hat? Subsistenzwirtschaft kennt hier jeder. Kann man so machen. Will aber nicht jeder. Viele hatten sich auf die Einführung der sozialen Marktwirtschaft gefreut. Euckens Prinzipien hatten hier einen guten Klang. So wollte man gerne leben.
Daß es nicht so kommt, kann man nicht allein auf die Globalisierung oder einen Virus schieben. Die Unternehmer traben nicht der nächsten Mohrrübe vor dem Maul, nach der Krise und dem Gesundschrumpfen sei man wieder dick im Geschäft. Man steht vor dem Trümmerhaufen eigener politischer und gesellschaftlicher Verblendung. Es sind in den vergangenen 30 Jahren entscheidende politische Fehler gemacht worden. Die Schwarmbeben in der deutschen Wirtschaft kündigen den ganz großen Ausbruch erst an. Das muß man als Naturfreund doch wissen: der Boden, dem man sukzessive alle Nährstoffe entzog und der nun auch noch mit der Dürre zu kämpfen hat, bringt keinen Ertrag, selbst wenn man den Sand düngen will.
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Zum ersten Teil geht’s hier.
Antje Hermenau war von 1990 bis 2014 Landtags- sowie Bundestagsabgeordnete für die Grünen und trat 2015 nach 25 Jahren aus der Partei aus. Sie ist als Beraterin und als Beauftragte des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft im Freistaat Sachsen tätig.