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Anti-AfD-Tiraden von CDU-Generalsekretär: Die Bürger bestimmen, was bürgerlich ist

Anti-AfD-Tiraden von CDU-Generalsekretär: Die Bürger bestimmen, was bürgerlich ist

Anti-AfD-Tiraden von CDU-Generalsekretär: Die Bürger bestimmen, was bürgerlich ist

Rüdiger Lucassen
Rüdiger Lucassen
Rüdiger Lucassen Foto: dpa
Anti-AfD-Tiraden von CDU-Generalsekretär
 

Die Bürger bestimmen, was bürgerlich ist

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak poltert in einem Gastbeitrag gegen die AfD. Die Adressaten dieser Tirade sind seine eigenen Unions-Kollegen. Doch die darin erhobenen Vorwürfe und Behauptungen überschreiten die Grenzen des zivilisierten Umgangs bei weitem. Eine Replik von Rüdiger Lucassen.
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Die Adressaten der Anti-AfD-Tirade von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sieht ein Blinder mit dem Krückstock. Es sind seine eigenen Unions-Kollegen, die ihm von der Fahne gehen. In Thüringen zu allererst. Dort hat Mike Mohring fast zwölf Prozent der Stimmen verloren. Ein Ergebnis, bei dem Spitzenkandidaten früherer Zeiten unverzüglich zurückgetreten wären. Aber die Maßstäbe haben sich so weit verschoben, daß Wahlverlierer einfach weitermachen. Früher hieß das „kleben bleiben“.

Heute nennen die Akteure es „staatspolitische Verantwortung“. In Thüringen, wie in Sachsen, wie in Brandenburg. Das Narrativ der Wahlverlierer ist der „Schutz der Demokratie“ vor der AfD. Eine aberwitzige Entstellung des demokratischen Grundprinzips.

Ziemiaks Beitrag richtet sich aber auch an viele andere Unionsmitglieder außerhalb Thüringens. Denn es sind nicht nur Stimmen in Mohrings Landespartei, die mit dem Kurs aus dem Konrad-Adenauer-Haus nicht mehr einverstanden sind. In Kommunalparlamenten arbeiten bereits viele Mandatsträger der Union mit ihren Kollegen aus der AfD zusammen. Man kennt sich aus dem Ort, war auf derselben Schule, spricht miteinander und gibt sich zur Begrüßung die Hand. Normale bürgerliche Umgangsformen. Man könnte auch sagen: zivilisierte Umgangsformen.

Ziemiak überschreitet die Grenzen des zivilisierten Umgangs

Bei allem Verständnis aber für die schwierige Lage eines jungen CDU-Generalsekretärs im Herbst 2019: Die Vorwürfe und Behauptungen von Paul Ziemiak überschreiten die Grenzen des zivilisierten Umgangs bei weitem. Ziemiak kümmert sich nicht um „die Meinungsführerschaft“ im Land, wie er sagt. Er entzieht sechs Millionen deutschen Wählern das Recht auf eine andere Meinung, indem er sie zu Unterstützern einer „NPD 2.0“ macht. Das ist ungeheuerlich!

Gut ist: Er wird damit keinen Erfolg haben. Schlecht aber ist: Er betreibt mit dieser Art der Wähler- und Bürgerdiskriminierung eine Politik der verbrannten Erde. Die Gräben in unserer Gesellschaft sind unbestreitbar. Der CDU-General baut sie auf diese Art zu Festungsanlagen aus.

Das politische Klima in der Bundesrepublik ist rau geworden. Amts- und Mandatsträger der AfD können davon ein Lied singen. In der vergangenen Woche machten Todesdrohungen gegen die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Claudia Roth, und ihren Parteikollegen Cem Özdemir Schlagzeilen. Alle Parteien, voran die CDU, machten dafür die AfD mitverantwortlich. Meine Partei, so die Behauptung, schaffe den Nährboden für diese Art der Kriminalität.

Bedrohungen von Politikern sind inakzeptabel

Zuvor machte die CDU meine Partei auch für den Mord an Walter Lübcke und den Anschlag von Halle verantwortlich. Wenn aber die Politik der AfD tatsächlich die Ursache für diese Gewalttaten ist, wer ist dann für ähnliche Morde und Gewalttaten vor der Gründung meiner Partei 2013 verantwortlich? Wer ist dann das politische Wirtstier des NSU? Und wer ist der geistige Ernährer des Anschlags auf meinen Parteikollegen Frank Magnitz im Januar dieses Jahres? Wer ist verantwortlich für den Überfall auf eine Mitarbeiterin eines Leipziger Bauunternehmens in dieser Woche? Wer für die massiven Anschläge auf Autos, Baustellen und Einrichtung der Bahn, an die man sich in der deutschen Hauptstadt schon lange gewöhnt hat?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Aufrechnerei von Extremisten-Attacken gegeneinander halte ich für sinnlos. Zumal es für das Opfer einerlei ist, ob es von einem Neonazi, einem Linksextremisten oder einem Islamisten angegriffen wird. Das Kantholz, die Kugel oder der Sprengsatz haben die gleiche Wirkung. Straftaten bleiben Straftaten und müssen verfolgt und abgeurteilt werden. Die Bedrohungen gegen Claudia Roth und Cem Özdemir müssen verfolgt und abgeurteilt werden. Und so sage ich aus voller Überzeugung: Findet die Täter, bringt sie vor Gericht und bestraft sie hart! Die AfD will solche Menschen nicht, sie braucht sie nicht und sie duldet sie auch nicht.

Bedrohungen von Politikern sind inakzeptabel. Über diese Selbstverständlichkeit besteht Konsens. Ich schließe mich der Forderung nach härteren Strafen ohne Vorbehalt an. Ich verlange aber von der Union, dass sie mit der gleichen Inbrunst gegen die Bedrohungen und Angriffe gegen AfD-Politiker vorgeht. Die Statistiken sind eindeutig. Keine andere Partei wird so oft physisch attackiert wie die AfD.

Gibt es einen CDU-Abgeordneten, dem auch das Bankkonto gekündigt wurde?

Es ist eben nicht demokratisch, diese Tatsache zu verschweigen, weil es aus Sicht der CDU „die Richtigen“ trifft. Wie oft ist ihre Wohnung bereits angegriffen worden, Herr Ziemiak? Meine bereits dreimal. Haben Sie auf Ratschlag des Bundeskriminalamts auch Stahltüren in ihrer Wohnung verbauen lassen, Herr Ziemiak? Wurden Ihre Fenster auch verstärkt?

Und wenn wir über Repressionen reden: Gibt es auch nur einen CDU-Abgeordneten, dem auch das Bankkonto ohne Begründung gekündigt wurde? Werden Gastronomie-Betreiber, die an die CDU vermieten, auch von Linksextremisten bedroht? Oder Reiseunternehmer, wenn sie Bürger zu einer Besucherfahrt nach Berlin bringen wollen – auf Einladung eines CDU-Abgeordneten? Nein, Herr Ziemiak, das ist kein „zivilgesellschaftliches Engagement“. Das ist staatlich geduldete Einschüchterung.

Die CDU hat eine lange und unrühmliche Tradition in der Diffamierung politischer Gegner. Was heute die AfD ist, war in den 70er Jahren die SPD. Welche Schmähungen und Angriffe auf seine Person mußte nicht etwa Helmut Schmidt hinnehmen, weil die Union die Sozialdemokraten für den RAF-Terror verantwortlich machte. Die Argumentation war identisch. Die Union setzte damals die Sozialdemokratie mit Sozialismus und Kommunismus gleich und beschuldigte führende Vertreter der SPD, den Nährboden für den Linksterror der 70er Jahre zu bereiten. Was damals „Du Kommunist!“ war, ist heute „Du Nazi!“. Die heutige SPD mag sich freilich nicht mehr daran erinnern.

Jeder kann heute zum Nazi erklärt werden

Der CDU-Generalsekretär und Teile seiner Partei stoßen mittlerweile auch unbekümmert ins Horn der selbsternannten Nazi-Entdecker. Jeder kann heute zum Nazi erklärt werden, wenn er aus Sicht der „politischen Hygienebeauftragten“ unserer Zeit die falsche Tonlage trifft. Selbst die Kritik an Windrädern vor der eigenen Haustür, brachte Bürgern bereits das Label „Nazi“ ein. In Teilen unserer Gesellschaft hat das Eliten-Hobby der „Nazi-Entdeckung“ bereits dazu geführt, daß daraus eine Art Running Gag wurde. Wenn alle Nazis sind, ist irgendwann keiner mehr Nazi.

Ziemiak erklärt auch den Trauermarsch von Chemnitz quasi zum Nazi-Aufmarsch. Damit spricht er den Bürgern dieser Stadt ab, ehrlich um einen Ermordeten zu trauern und diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Wie sollen sich die Bürger fühlen, wenn sie mir nichts dir nichts in Mithaftung für ein paar Hooligans und Heil-Hitler-Brüller genommen werden, die sich hier leider unter die friedlichen Demonstranten gemischt hatten? Glaubt Ziemiak, daß er Wähler durch solche Diffamierungen zur Union holt?

Paul Ziemiak behauptet, die AfD sei in Chemnitz als erste Bundestagspartei in der deutschen Nachkriegsgeschichte Seite an Seite mit Nazis marschiert. Das ist nicht nur faktisch, sondern auch historisch falsch. Die Bundestagspartei, die erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte mit Nazis gemeinsam Seite an Seite ging, war die CDU. Dutzende hohe Funktionsträger der Union waren im Dritten Reich an führender Stelle des NS-Staats aktiv.

CDU ging mit Nazis Seite an Seite

Männer wie Theodor Oberländer, der in der sogenannten „Ostforschung“ tätig war und bereits 1923 am Hitler-Putsch teilnahm. Die CDU machte ihn zum Bundesminister. Oder Hans Globke, einer der Vorgänger von Kanzleramtsminister Helge Braun, der die Nürnberger Rassegesetze mitverfaßte. Auch CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger war frühes NSDAP-Mitglied. Und es gibt viele weitere. Wohin diese „Nazi-Hysterie“ führte, konnte man im Sommer 2017 sehen. Da wurde sogar zeitweise ein Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform aus der Universität der Bundeswehr in Hamburg entfernt.

Was steckt eigentlich dahinter? Glauben die Politiker der CDU, daß unsere Soldaten zu Nationalsozialisten werden, wenn sie Schmidt mit kleinem Hakenkreuz über der Brusttasche sehen? Hysterie braucht keine Begründung. Sie genügt sich selbst. Wollen wir also auf diesem Argumentationsniveau Parteipolitik machen? Meine Sache ist dies nicht.

Paul Ziemiak ermahnt seine CDU, der AfD „nicht auf den Leim zu gehen.“ Darin steckt die nächste Ungeheuerlichkeit. Bei einem Teil der Politiker-Elite herrscht die ständige Furcht gegenüber anderen, das Falsche zu denken oder zu wollen. Ein Mißtrauen, daß Menschen zu dumm sind und vor ihren eigenen Entscheidungen geschützt werden müssen.

Dieses Denkmuster gegenüber dem Wähler ist bekannt. Nach Wahlniederlagen heißt es trotzig: „Wir waren gut, unsere Politik war richtig. Es lag an der Kommunikation zum Wähler.“ Daß der Wähler tatsächlich etwas anderes will, kommt niemanden in den Sinn. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Was will die AfD?

Der Generalsekretär fragt: „Welches Deutschland will die AfD?“ Ich kann ihm die Frage gern beantworten. Ob ihm die Antwort aber auch gefällt, kann ich nicht garantieren. Das ist in einer Demokratie auch nicht notwendig.

Die AfD will ein Deutschland, in dem unsere Bürger sicher und frei ihr Leben gestalten können. Wir sehen im Gegensatz zur CDU den Nationalstaat nicht als Relikt der Vergangenheit an. Er ist der Garant der Freiheit und der Selbstbestimmung. Nur der Nationalstaat ist in der Lage, seinen Bürger in einer immer stärker globalisierten, chaotischen und entwurzelten Welt Sicherheit zu geben.

Nur er verfügt über die demokratische Legitimation, die Interessen seiner Bürger zu vertreten. Während die CDU achselzuckend die staatliche Kontrolle, etwa an den Grenzen, aufgibt, treten wir für die Einheit von Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt ein. So wie es der Amtseid der Bundeskanzlerin verlangt. Darin ist übrigens auch noch das zur Diffamierung freigegeben Wort „Volk“ enthalten.

Wir kämpfen für ein Deutschland, in dem wir das Verhältnis zu uns selbst normalisieren. Nationalstolz und Patriotismus bedeuten keine Abwertung anderer Kulturen. Wir treten ein für ein Europa der Vaterländer, in dem freie, selbstbestimmte Völker in Frieden und Kooperation zusammenleben. Wir stemmen uns gegen das Projekt eines Vielvölkerstaats.

Europa schützen, indem wir die Selbstständigkeit der Völker erhalten

Wir wollen Europa schützen, indem wir die Selbstständigkeit der Völker erhalten. Die Gleichsetzung von EU und Europa ist unzulässig. Europa ist mehr als die Europäische Union. Wird die EU eines Tages scheitern, lebt Europa weiter.

Wir wollen ein Deutschland, in dem wir wertvolle Errungenschaften schützen und bewahren. Traditionen sind wichtig, um zu wissen wer man ist. Wie sollten sich Ausländer auch sonst integrieren können? Wir schämen uns nicht für die Leistung unserer Väter und Mütter. Wir scharfrichten auch nicht über den Lebensweg von Millionen Deutschen des vergangenen Jahrhunderts. Unsere Geschichte hat Brüche. Der Umgang mit diesen Brüchen liegt in unserer Verantwortung. Dafür gilt das  „Abstammungsprinzip“.

Wir wollen ein Deutschland, in dem Politiker in Verantwortung und Vernunft handeln und nicht einem linksgrünen Zeitgeist hinterherhecheln. Einem Zeitgeist, der eindeutig ideologischen Charakter annimmt und jeden Einzelnen durch immer mehr Verbote einschränkt. Wir wollen die Freiheit der Bürger bewahren, die durch ihren Fleiß dieses Land am Laufen halten. Das ist gelebte Bürgerlichkeit.

Wir kämpfen für ein Deutschland, in dem Politiker die Wähler ernst nehmen und sie nicht als dumm oder bösartig bezeichnen, wenn sie eine andere Partei wählen als von den Regierenden gewollt. Das ist gelebte Demokratie.

Zuversicht, Mut und Freude – die Deutschen haben ein Recht darauf

Die Union wirft uns mangelnden Anstand und Respekt vor. Ist es anständig, die AfD seit ihrer Gründung täglich in eine Reihe mit Verbrechern des Nationalsozialismus zu stellen? Sie attackieren uns, weil wir von „Kartellparteien“ sprechen. Gleichzeitig schließen Sie sich mit allen anderen Parteien gegen die AfD zusammen. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages stellen einen Vizepräsidenten. Die AfD nicht. Was ist das anderes als ein Kartell? Die Union mimt eine konservative Volkspartei, droht aber jedem mit Parteiausschluß, der der Linie der Führung widerspricht. „Nicht hilfreich“, hat die Kanzlerin mal kommentiert.

Die AfD macht den Wählern ein politisches Angebot, so wie es die Union auch tut. Am Wahltag entscheiden die Bürger, welches Angebot ihnen besser gefällt. So einfach ist das. Paul Ziemiak will, daß sich seine Partei wieder um „bürgerliche und konservative“ Ideen kümmert. Dann möchte ich ihm sagen: „Tun Sie es doch einfach!“ Machen ist wie wollen – nur krasser.

„Unser Land sei offener, freier, gelassener und heiterer geworden“, behauptet Ziemiak. Da widerspreche ich energisch. Wenn laut einer Allensbach-Studie zwei Drittel der Deutschen „sehr darauf achten, was sie im öffentlichen Raum sagen“, ist das nicht frei und nicht offen. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap legt nach und stellt fest: „Bei bestimmten Themen wird man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt.“

Es ist nur konsequent, wenn Deutsche, die die DDR noch erlebten, darauf allergisch reagieren. Von Gelassenheit ist ebenfalls wenig in Deutschland zu spüren. Kein Tag vergeht, dass nicht im TV oder im Politbetrieb darüber geurteilt wird, wie jemand was gesagt hat. Jeder weist jeden ständig darauf hin, daß er verharmlost, geklittert oder relativiert hat. Die Menschen interessieren sich durchaus für Politik. Nur ist dieses tägliche Kammerspiel der Empörung keine Politik.

Und „heiterer“? Ich wünschte, es wäre so. Ich sehe zu viele Bürger, die in geduckter Haltung und übervorsichtig durchs Leben gehen. Das muß sich dringend ändern. Zuversicht, Mut und Freude – die Deutschen haben ein Recht darauf.

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Rüdiger Lucassen ist verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag und seit Oktober Vorsitzender der AfD Nordrhein-Westfalen.             

Rüdiger Lucassen Foto: dpa
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