Hans-Olaf Henkels Rücktritt von seinem Parteiamt löst die ersten Nachrufe auf die AfD aus. Was als atemberaubender Senkrechtstart begann, droht im totalen Schlamassel zu enden. Vor einem Monat schrieb ich: „Aus einem taufrischen, basisdemokratischen Projekt scheint eine Schlangengrube geworden zu sein.“
Die aktuellen Nachrichten, insbesondere über die Arbeit des Bundesvorstandes, bestätigen diesen Eindruck. Mit Satzungstricks, Enthüllungen aus dem Privatleben, Drohungen und Beleidigungen kämpfen rivalisierende Flügel und Akteure um die Macht. Beeindruckte die AfD zu Beginn durch eine kollegiale Führungsmannschaft, so tobt seit Monaten eine Schlammschlacht, bei der immer neue Tiefpunkte erreicht werden.
Erschreckend ist, daß den Köpfen an der Spitze insgesamt offenbar die historische Verantwortung aus dem Blick geraten ist, die sie tragen: Noch nie war es seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland gelungen, eine neue bürgerliche, konservativ-liberale Kraft in dieser Breite und Durchschlagskraft zum Erfolg zu führen.
Henkel trug selbst zur Eskalation bei
Doch scheinen das rasante Wachstum der Partei, die schnell aufeinanderfolgenden Wahlkämpfe und -siege den Akteuren zu Kopfe gestiegen zu sein. Das süße Gift sprudelnder staatlicher Parteienfinanzierung, Mandaten, Versorgungsposten, die Beschäftigung der Apparate mit sich selbst hat destruktive Kräfte geweckt.
Mit Hans-Olaf Henkels Rückzug schwindet eine bürgerliche Reputation, die ein entscheidender Erfolgsfaktor der AfD von Anbeginn war. Daß diese neue Partei sofort medial durchbrach und als relevant wahrgenommen wurde, lag nicht zuletzt daran, daß sie eben nicht der wer-weiß-wie-vielte Fusionsversuch von Mini-Partei-Trümmern aus einem marginalisierten rechten Lager war.
Henkel hat jedoch selbst zur laufenden Eskalation beigetragen. Mit großbürgerlicher Arroganz gegenüber „kleinen Leuten“ läßt sich vielleicht der Bundesverband der Deutschen Industrie, aber nicht eine demokratische Partei führen, die sich dem ganzen Volk verpflichtet fühlt.
Auf der anderen Seite zogen die Anfangserfolge der AfD Glücksritter und Hasardeure nicht nur, aber auch vom rechten Rand an, die hoffen, aus der „Partei des Gesunden Menschenverstandes“ eine langersehnte Rechtspartei zu formen. Ihnen ist die liberale Prägung des AfD-Gründungskollegiums mit Bernd Lucke an der Spitze ein Graus.
Rechtsruck hätte Selbstisolation zur Konsequenz
Hier sind Akteure einer „Rechten“ am Werk, die keinen Ruf zu verlieren haben und denen es deshalb gleichgültig ist, ob sich die AfD durch einen Rechtsruck und die Aufgabe des liberalen Flügels an den Rand des diskutablen politischen Spektrums manövriert. Setzt sich dieser Flügel durch, wären Selbstisolation und Abstieg auf Raten vorprogrammiert.
Beim Bundesparteitag im Juni wird es zum Showdown kommen. Wenig deutet derzeit darauf hin, daß es noch zu einem „historischen Kompromiß“, einer Koalition der Vernunft zwischen dem konservativen und liberalen Flügel kommt, deren beide Integrationsfiguren Bernd Lucke und Frauke Petry sind. Lucke und Petry sind derzeit offenbar unfähig, gemeinsam integrierend wirken zu wollen.
Alles sieht stattdessen nach einer Entscheidung aus, die in einem knappen Pyrrhus-Sieg einer Seite – und mit dem Abstieg der AfD enden wird. Die Disziplinlosigkeit aller Akteure angesichts ihrer historischen Verantwortung ist erschreckend. Während die Euro-Krise neuen Höhepunkten entgegeneilt und es die Stunde einer politischen Alternative wäre, manövriert sich die AfD systematisch ins Aus. Es ist nicht zu fassen.