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Deutsche Außenpolitik: Berliner Irrgarten

Deutsche Außenpolitik: Berliner Irrgarten

Deutsche Außenpolitik: Berliner Irrgarten

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) wähnt sich im Irrgarten.
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) wähnt sich im Irrgarten.
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Barockgarten in das Schlosses Meseberg. Foto: picture alliance/dpa | Soeren Stache
Deutsche Außenpolitik
 

Berliner Irrgarten

Die Politik des Außenamtes unter Annalena Baerbock ist in Wunschvorstellungen gefangen. Diese sieht die Welt nicht wie sie ist, sondern wie sie sie gern hätte. Doch damit ist den politischen Interessen Deutschlands nicht gedient. Eine Analyse von Martin Wagener.
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Im Auswärtigen Amt werden mit dem Feminismus und der Klimapolitik nicht nur falsche Prioritäten gesetzt. Die Nachfolger Otto von Bismarcks haben auch verlernt, Machtkonstellationen zu interpretieren, „rote Linien“ in Konflikten zu erkennen und beides aus deutscher Sicht zu reflektieren. Bei Außenministerin Annalena Baerbock kommt hinzu, daß sie die eigene Kompetenzlücke durch ideologische Überzeugungen schließt, der Apparat muß mitziehen. Im Gepäck stets dabei: der mahnende moralische Zeigefinger – und jede Menge Emotionen.

Deutsche Spitzenpolitiker sind es nicht gewohnt, die Begriffe „Nation“, „Interesse“, „Strategie“, „Geopolitik“ und „Macht“ ihrem Denken zugrunde zu legen. So geraten sie schnell ins Hintertreffen, weil ihre Kollegen aus den USA, Frankreich oder Großbritannien auf diesen Gebieten bestens geschult sind. Ganz zu schweigen von Repräsentanten Rußlands und Chinas, die primär aus dieser Sicht heraus agieren. Die prekäre Lage der deutschen Eliten hat zahlreiche Gründe, zu denen die emotionalen Nachwirkungen der Zeit des Nationalsozialismus gehören. So fällt es dem Land schwer, seine außenpolitische Mitte zu finden.

Der Krieg erfreut sich weltweit bester Gesundheit

Der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz hatte dies schon vor geraumer Zeit festgestellt. 1985 publizierte er ein Buch, das bereits im Titel den Kern des Problems anspricht: „Die gezähmten Deutschen. Von der Machtbesessenheit zur Machtvergessenheit“. Nach dem Kalten Krieg zeigten sich diese Ausschläge erneut. In den 1990er Jahren galt es zunächst als Tabu, deutsche Soldaten in europäische Auslandseinsätze zu entsenden. Bereits im Frühjahr 1999 stimmte die Regierung Angriffen der eigenen Luftwaffe im Rahmen einer Nato-Operation gegen Jugoslawien zu – und das ohne ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.

Die Grünen blieben gegenüber Militärallianzen und Rüstungsexporten lange Zeit skeptisch. Nach dem Angriff Rußlands auf die Ukraine im Februar 2022 erfolgte eine 180-Grad-Wende: Führende Vertreter der Öko-Partei setzten sich unvermittelt für massive Waffenlieferungen an Kiew ein. Am Tag der Invasion sagte Außenministerin Baerbock: „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht.“ Das galt vor allem für sie selbst, denn der Krieg erfreute sich weltweit bester Gesundheit. Der Umgang mit dem Kreml folgte fortan dem bekannten Muster: Nach Jahren der Sorglosigkeit bereitet sich Deutschland nun auf eine neue, lang andauernde Konfrontation vor, obwohl die russischen Streitkräfte die Grenzen ihrer Machtprojektionsfähigkeit breit demonstriert haben.

Wer sich so festlegt, schließt jede diplomatische Lösung aus

Politiker, die derart sprunghaft in ihren außenpolitischen Entscheidungen sind, verwechseln regelmäßig die Welten des Sollens und des Seins in der internationalen Politik. Am deutlichsten ist dies in Osteuropa erkennbar. Rußland hat die Nato-Osterweiterung stets mit Sorge betrachtet, weil sie auf Kosten des eigenen geopolitischen Vorfeldes ging. Der Allianz wurde frühzeitig signalisiert, Beitritte Georgiens und der Ukraine als Überschreiten einer „roten Linie“ anzusehen. Der Kaukasuskrieg vom August 2008 war der erste Warnschuß. Im März 2014 wurde die Krim annektiert, was als zweite Warnung angesehen werden konnte. Anstatt sich nun zu arrangieren, etwa durch eine Neutralitätslösung für die Ukraine, setzte Deutschland darauf, Rußland zum Nachgeben zu bewegen.

 

Im Krieg selbst zeigt sich Berlin dogmatisch: Kiew werde unterstützt, solange es notwendig sei. In Osteuropa würden auch die Werte und die Sicherheit der Bundesrepublik verteidigt. An der Moskwa herrsche nicht nur ein Diktator, sondern ein Kriegsverbrecher, der vor den Internationalen Strafgerichtshof gehöre. Wer sich so festlegt, schließt jede diplomatische Lösung aus. Er drängt Wladimir Putin zudem dazu, auf keinen Fall nachzugeben. Denn was hätte der russische Präsident nach einem Einlenken zu erwarten? So halten die Kämpfe an.

Auch die China-Politik des Westens endet in einem Irrgarten

Dabei sitzt Moskau am längeren Hebel. Es wird aus dem Rückzug der USA und ihrer Verbündeten aus Afghanistan 2021 gelernt haben, daß der Westen zum Nachgeben bereit ist, wenn die Kosten des Konflikts über einen langen Zeitraum hoch sind. Taucht nicht irgendwo und sehr plötzlich ein „Schwarzer Schwan“ auf, dürfte viel zu spät über das verhandelt werden, was bereits heute sinnvoll wäre: Die Kampfhandlungen werden eingestellt; Rußland behält Teile seiner Eroberungen, vor allem die Krim; die Rumpfukraine bekommt einen Neutralitätsstatus, der mit Sicherheitszusagen versehen wird.

Auch die China-Politik des Westens ist letztlich gescheitert. Berlin folgte dabei der Linie seiner Partner. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts galt für etwa zwei Jahrzehnte die Maßgabe, das einstige Reich der Mitte in internationale Strukturen zu integrieren. Dem lag die Annahme zugrunde, einen „Wandel durch Handel“ bewirken zu können. Wenn Peking umfassend eingebunden werde, würde es die Spielregeln früher oder später akzeptieren. Es geschah genau das Gegenteil. In der Phase der Schwäche nutzte China westliche Institutionen und enge Handelsbeziehungen, um die Voraussetzungen des eigenen ökonomischen Aufstiegs zu schaffen. Dabei ist es ihm gelungen, im Rohstoffhandel sowie in einzelnen Schlüsseltechnologien eine dominante Position einzunehmen, mit der es auch Deutschland unter Druck setzen kann.

China ist mittlerweile auch militärisch eine Großmacht

Die langfristigen Absichten der Volksrepublik waren den Experten immer bewußt. Das Pentagon wies frühzeitig in seiner jährlichen Analyse zur Stärke der Volksbefreiungsarmee auf eine Aussage hin, die Deng Xiaoping zu Beginn der 1990er Jahre getätigt haben soll. Der damals führende Politiker des Landes schrieb seinen Nachfolgern ins Stammbuch: „Beobachtet in Ruhe; sichert unsere Position; werdet mit den Umständen friedlich fertig; verbergt unsere Fähigkeiten und wartet unsere Zeit ab; seid gut darin, unauffällig zu agieren; und beansprucht niemals die Führung.“

Mit der Übernahme der Macht durch Staats- und Parteichef Xi Jinping 2012/2013 ist die Maske schrittweise abgelegt worden. Es kam zu Grenzgefechten mit Indien, die Politik im Ost- sowie im Südchinesischen Meer wurde verschärft. Der Druck auf Taiwan ist weiter erhöht worden, und chinesische Diplomaten treten in Einzelfällen offen als „Wolfskrieger“ auf. Das Land ist mittlerweile auch militärisch eine Großmacht.

Jerusalem wird an der Siedlungspolitik im Westjordanland festhalten

Das deutsche Werteverständnis hat zudem im Nahostkonflikt dazu geführt, „rote Linien“ nicht wahrhaben zu wollen. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war absehbar, daß die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hart zurückschlagen würde. Dazu gehörte neben der Bombardierung des Gazastreifens der Beginn einer Bodenoffensive. Die islamistische Miliz wurde zurückgedrängt und dies zum Preis von offiziell bislang über 30.000 Toten. Die Regierung in Jerusalem will den Palästinensern offensichtlich eine Lektion erteilen, die sich von den bekannten Luftschlägen („Rasenmähen“) abhebt.

Das Auswärtige Amt betrachtet dieses Vorgehen als Verstoß gegen das Völkerrecht. Netanjahu agiert jedoch aus einer anderen Perspektive. Für Israel geht es langfristig um das Überleben in einem feindlichen Umfeld. Durch die Erzeugung massiven Leids im Gazastreifen wird eine Entschlossenheit gezeigt, die nicht nur weitere Aktionen palästinensischer Milizen, sondern auch die Hisbollah im Libanon und den Iran abschrecken soll. Um zudem die ohnehin sichtbaren demographischen Nachteile auszugleichen, wird Jerusalem an der Siedlungspolitik im Westjordanland festhalten. Aus dem Angriff der Hamas hat Israel gelernt, was passieren kann, wenn Vertreter der Palästinenser über geschützte Räume verfügen, die sie zur Vorbereitung eines Angriffs nutzen können.

Annalena Baerbock wiederholt Fehler ihres Vorgängers Heiko Maas

Als der Iran in der Nacht vom 13. auf den 14. April 2024 erstmals Israel direkt angriff, fiel es der deutschen Seite erneut schwer, die Lage angemessen einzuschätzen. Annalena Baerbock erklärte in emotionaler Form, Teheran habe „den ganzen Nahen und Mittleren Osten an den Rand des Abgrunds geführt“. Daß die beteiligten Akteure gezielte Aktionen unterhalb der Eskalationsschwelle vorgenommen haben könnten, kam ihr nicht in den Sinn. Die Forderung der Außenministerin, Israel möge auf Vergeltung verzichten, war mit der auf Abschreckung ausgerichteten Verteidigungspolitik des jüdischen Staates nicht vereinbar. Schließlich sagte Baerbock am 19. April über die Menschen im Nahen Osten: „Sie wollen alle nur eins: in Frieden leben.“ Das sehen viele Bürger des Iran, die Huthis im Jemen, die Anhänger von Hamas und Hisbollah oder die Bürgerkriegsparteien in Syrien ganz anders.

Solche Aussagen zeigen, wie problematisch es ist, die Leitung des Auswärtigen Amts mit fachfremden Politikern zu besetzen. Bereits Heiko Maas war mit der Position des Außenministers überfordert. Am 23. Juni 2021 hatte er auf Twitter verkündet: „Die Taliban müssen zur Kenntnis nehmen, daß es kein ‘Zurück ins Jahr 2001’ geben wird. Dagegen steht eine selbstbewußte afghanische Zivilgesellschaft.“ Keine zwei Monate später übernahmen die Taliban die Macht.

„Umdenken“ lautet die Devise

Deutschland braucht zur Umsetzung einer erfolgreichen Außenpolitik nicht nur fähiges Spitzenpersonal, das einen Blick für die eigenen nationalen Interessen hat. Unverzichtbar ist auch, Machtkonstellationen und „rote Linien“ in Konflikten richtig zu interpretieren. Das bedeutet in den genannten Fällen: Rußland dürfte in Osteuropa kaum Ruhe geben, solange seine Sicherheitsinteressen von der Nato nicht berücksichtigt werden. Moskau wird auf eine Interessensphäre bestehen, zumal es die Allianz als amerikanische Einflußzone betrachtet.

China tritt mittlerweile offen als revisionistische Großmacht auf, was die Gegenwehr des Westens erfordert. Dieser wird seine eigenen Fehler ausbaden müssen, nachdem er durch kurzfristiges Gewinnstreben mittels enger Handelsbeziehungen den Aufstieg der Volksrepublik erst möglich gemacht hat. Für Israel wiederum wäre eine Zweistaatenlösung derzeit eine Gefahr. Es muß damit rechnen, daß sich in einem solchen Gebilde islamistische Milizen unkontrolliert ausbreiten. Gegenüber dem Iran wird der jüdische Staat bei Bedarf Vergeltungsschläge durchführen, um seine Abschreckungsfähigkeit glaubhaft aufrechtzuerhalten.

Das Machbare, nicht das Wünschbare hat für Berlin im Vordergrund zu stehen

Die Bundesregierung träumt von einer anderen Welt. Sie fordert einen Rückzug Rußlands aus der Ukraine. Von China wird eine gemäßigte Verfolgung der Kerninteressen erwartet. Israel soll einer Zweistaatenlösung zustimmen und sich nach einem Angriff des Iran zurückhalten. In allen drei Fällen wird das, was sich zwangsläufig aus Machtkonstellationen und gezogenen „roten Linien“ ergibt, gar nicht oder nur begrenzt ernst genommen.

Es wäre daher sinnvoll, die Kompaßnadel des Auswärtigen Amts neu zu adjustieren: Werte sind wichtig, aber die Richtung muß von Interessen vorgegeben werden. Bei der ordnungspolitischen Ausgestaltung einzelner Weltregionen hat das Machbare und nicht das Wünschbare im Vordergrund zu stehen. Wer hingegen Außenpolitik aus einer Villa Kunterbunt heraus betreiben möchte, wird scheitern. Denn er verfügt nicht über die sagenhaften Möglichkeiten jener jungen Dame, die sich ihre Welt aus eigener Kraft zurechtbiegen konnte.

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Martin Wagener, Jahrgang 1970, ist Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin. In der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über die Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands (JF 26/23).

JF 19/24

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Barockgarten in das Schlosses Meseberg. Foto: picture alliance/dpa | Soeren Stache
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