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Reporterlegende: Peter Scholl-Latour: Der Standfeste

Reporterlegende: Peter Scholl-Latour: Der Standfeste

Reporterlegende: Peter Scholl-Latour: Der Standfeste

Der Journalist, Bestsellerautor und Welterklärer Peter Scholl-Latour, der nun hundert Jahre alt geworden wäre, 2014 wenige Wochen vor seinem Tod in seiner Berliner Wohnung an seinem Schreibtisch, an dem er auch für die JUNGE FREIHEIT schrieb, Quelle: picture alliance/dpa, Tim Brakemeier
Der Journalist, Bestsellerautor und Welterklärer Peter Scholl-Latour, der nun hundert Jahre alt geworden wäre, 2014 wenige Wochen vor seinem Tod in seiner Berliner Wohnung an seinem Schreibtisch, an dem er auch für die JUNGE FREIHEIT schrieb, Quelle: picture alliance/dpa, Tim Brakemeier
Peter Scholl-Latour wenige Wochen vor seinem Tod an seinem Schreibtisch: Immer neugierig, immer wagemutig. Quelle: picture alliance/dpa, Tim Brakemeier
Reporterlegende
 

Peter Scholl-Latour: Der Standfeste

Schaut man auf die aktuellen Zustände dieses Landes, wünscht man sich einen Peter Scholl-Latour herbei. Doch er wird nicht mehr wiederkommen. Der Stuhl des letzten deutschen Welterklärers, dem auch diese Zeitung viel zu verdanken hat, bleibt verwaist.
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Bundeswehr-Generale, die Hochsensibles über einen 08/15-Internetdienstleister besprechen, eine Ministerin im Auswärtigen Amt, die einer Atommacht versehentlich den Krieg erklärt und Deutschlands außenpolitische Doktrin damit erklärt, daß in Afrika Toiletten statt am Rande eines Dorfes, künftig in dessen Mitte gebaut werden, „auch wenn das stinkt“.

Vielleicht ist es doch gut, daß Peter Scholl-Latour manche Dinge nicht mehr miterleben muß. Doch andererseits: mit jedem Jahr, mit dem die deutsche Politik mehr dem Format „Der gespielte Witz“ aus der TV-Blödelshow „Nonstop Nonsens“ gleicht, wird sein Fehlen schmerzlicher.

Am 16. August diesen Jahres werden es schon zehn Jahre sein – und seitdem ist kein anderer in seine Rolle hineingewachsen. Die war, das muß man jungen Deutschen inzwischen erklären, die einer Stimme der praktischen Vernunft. Das freilich klingt mehr nach „schwäbischer Hausfrau“, denn nach „Welterklärer“ der Nation – der Titel, mit dem ihn in seinen letzten Jahren die meisten Medien ehrfürchtig adelten.

Scholl-Latour: Realismus statt Schuldkult, Klassenkampf und Amerikanismus

Der Nahe Osten wird von Kriegen und Unruhen geschüttelt, woran die politischen und militärischen Interventionen des Westens einen großen Anteil haben. Angesichts der von Geheimdiensten gesteuerten Desinformation sind die Ausführungen des großen Nahost-Experten wahre Lichtblicke. Von Peter-Scholl Latour
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Doch im Grunde war sein Geheimnis nichts anderes als Neugier und ein offener Geist: die Bereitschaft, die Welt so wahrzunehmen, wie sie tatsächlich ist und wirklich funktioniert – statt sie durch die Brille einer Weltanschauung zu sehen, wie sie auf fast jedes Deutschen Nase saß (und sitzt): sei es die eines masochistischen Schuldkults, gemäß dem Böses und Gefahr nur vom deutschen Menschen ausgehe (heute vom weißen Mann), während alle anderen Völker und Kulturen freundlich und tolerant seien. Sei es die des sozialistischen Klassenkampfes, in dem edle Völker gerechte Kriege gegen den westlichen Imperialismus führten. Oder aber jene, in der brave Amerikaner selbstlos die Demokratie verbreiten und fremde Länder für sie befreien (selbst solche, die gar nicht befreit werden wollen), wobei wir ihnen treu zur Seite stehen. Unter all diesen bebrillten Blinden ist selbst ein Einäugiger König – und erst recht war es ein Peter Scholl-Latour, der mit zwei gesunden und höchst interessierten Augen neugierg die Welt bereiste.

Bemerkenswert, daß vielen, die Scholl-Latours unvoreingenommenen Blick schätzten, dennoch nie der Gedanke kam, doch einfach ihre Brille einmal abzusetzen. Das mag erklären, warum Politik und Medien trotz ihrer vordergründigen Wertschätzung seiner Person, in Wahrheit seine Ratschläge fröhlich ignorierten.

Wie oft Scholl-Latour am Ende richtig lag, ist kaum zu zählen, er war etwa einer der ersten, wenn nicht der erste, der hierzulande vor der gewaltsamen Seite des – von ihm als Kultur und Religion allerdings verehrten – Islam warnte. Er sagte schon am ersten Tag das Scheitern der USA in Afghanistan und später im Irak voraus. Er warnte vor der Erosion der „europäischen“ Flügelmächte Amerika und Rußland und vor einem neuen Kalten Krieg, vor dem Erwachen Chinas und einer neuen „Polenschwärmerei“ anläßlich des (sich schließlich als Phantasmagorie erweisenden) Arabischen Frühlings.

Scholl-Latour behielt sogar noch radikaler recht, als er selbst vorausgesagt hatte

Im Blick zurück erscheint all das erkannt zu haben, freilich nicht sehr schwer, doch muß man sich vergegenwärtigen, mit welch unbeirrten Realitätsverweigerung die Dinge, mal von der Politik, mal von den Medien, mal von beiden, zu ihrer Zeit geglaubt (beziehungsweise ignoriert) wurden (und zum Teil noch werden): Daß etwa ein offensichtlicher Nonsens, wie „Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt“ (Peter Struck), damals der Politik und etlichen Medien als unumstößlich Wahrheit galt. Seine Warnung etwa, „wer halb Kalkutta aufnimmt, hilft nicht Kalkutta, sondern wird selbst Kalkutta“, wird ja bis ignoriert.

In zahllosen Talkshows und Interviews zeigte Scholl-Latour die Hohlheit all der Phrasen auf und behielt, keineswegs in alle Details, aber im Großen recht. Ja, meist kam es sogar noch radikaler als selbst er es vorausgesagt hatte – man denke nur an das absolut atemberaubende Tempo, mit dem der vom Westen 21 Jahre lang aufgebaute afghanische Staat 2022 binnen Tagen kampflos kollabierte.

Alexander von Humboldt bekannte einst: „Am meisten Angst macht mir die Weltanschauung derer, die die Welt nicht angeschaut haben.“ Peter Scholl-Latour, heute vor hundert Jahren in Bochum geboren, hat sie sich gründlich angeschaut.

Zunächst gelang es dem jungen Mann, den Zweiten Weltkrieg zu überleben, indem er sich dem Gestellungsbefehl der Wehrmacht entzog und versuchte, das Land zu verlassen. Nachdem er dabei aber ergriffen wurde, drohte ihm die Hinrichtung, der er dank Krankheit und den Wirren in der Endphase des Krieges knapp entging, wie er später berichtete. Dabei erzählte er gerne – weil nach heute landläufigen Vorstellungen für ausgeschlossen gehalten –, daß mit ihm im Gefängnis ein SS-Mann gesessen habe, „weil er eine Slawin vergewaltigt hatte“.

Als Gefangener des „Vietcong“ im Vietnamkrieg

Niemand hat die internationalen Krisenregionen so oft bereist und die Situationen vor Ort so kenntnisreich beurteilt wie der große Journalist Peter Scholl-Latour. Seine hellsichtigen Analysen bieten auch heute noch Orientierung. Wie sein gesamtes Werk, so schildert auch diese Auswahl seiner Reportagen die fundamentalen Verwerfungen an den politischen und militärischen Brennpunkten der vergangenen sechs Jahrzehnte. Scholl-Latours Beobachtungen erklären noch heute, warum sich die Weltgemeinschaft in manchen Regionen immer wieder geradezu unlösbaren Konflikten gegenübersieht.Seine Reportagen von den Brennpunkten unserer Welt sind eine so fesselnde und erhellende Tour d‘Horizon durch die jüngste Weltgeschichte, von den Zeiten des Kalten Krieges bis hin zur neuen Weltunordnung unserer Gegenwart. Der erste Indochinakrieg und die Entzauberung der Kolonialmacht Frankreich in Algerien, der Vietnamkrieg und die Feldzüge in Afghanistan, wo die USA und die Sowjetunion ihr Waterloo erlebten, der von innen- wie außenpolitischen Krisen geplagte Iran, das dramatische Versagen des Westens in beiden Irak-Kriegen oder die Irrungen und Wirrungen des „Arabischen Frühlings“ ? immer hatte Scholl-Latour fundierte Analysen und zutreffende Prognosen parat. Sie fußten auf einer ausgeprägten Kenntnis des jeweiligen Landes und seiner Bewohner sowie der hinter den Konflikten stehenden historischen Wurzeln, politischen Interessen und religiösen Zwänge. Bis heute sind Scholl-Latours Texte ein Quell der Erkenntnis für all jene, die versuchen, die neue Weltunordnung zu verstehen.
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Aus Lust auf fernen Länder meldete er sich nach Kriegsende zu den französischen Fallschirmjägern – nicht zur Fremdenlegion, wie häufig kolportiert –, mit denen er nach Indochina zog und gegen die Vietminh, den Vorläufer des Vietcong kämpfte. Ab 1948 studierte er dann an der Pariser Sorbonne, entschied sich für Philologie und Politologie, danach für Islamwissenschaft und Arabistik in Beirut.

Trotz eines Abstechers in die Politik als Regierungssprecher des Saarlandes, etablierte er sich als Journalist, wurde ARD-Asien- und Afrikakorrespondent, dann Fernsehdirektor des WDR, ging schließlich als Leiter des dortigen ZDF-Studios zurück nach Paris. Als Sonderkorrespondent im Vietnamkrieg geriet er mit seinem Kamerateam gar in Gefangenschaft, „zum Glück einer nordvietnamesischen Einheit, die nur so tat, als seien sie Vietcongs. Wäre es der echte Vietcong gewesen, hätten sie uns alle umgebracht“, erzählte er später. Stattdessen machte er aus der Not eine Tugend, indem er seine Häscher überzeugte, eine Dokumentation über die Gefangenschaft drehen zu dürfen, in der sie als disziplinierte, tolerante „Gastgeber“ natürlich gut wegkommen. Mit Schläue wandte er so jede Gefahr ab und brachte zudem einen ganz besondere Reportage mit zurück.

Vor allem aber schrieb Peter Scholl-Latour Bücher. „Der Tod im Reisfeld. Dreißig Jahre Krieg in Indochina“ wurde ab 1979/80 zu einem überragenden Erfolg. Sein Rezept war die Darstellung der politischen und geschichtlichen Entwicklungen der Länder, Kulturen und Konflikte über die er schrieb und die er persönlich bereist und durchlebt hatte – während andere Korrespondenten nur von ihren sicheren Hotels aus berichteten – in eine abenteuerliche Unmittelbarkeit zu verwandeln und sie mit privaten, teils sehr privaten Erlebnissen, zu lebendigen Reiseberichten zu verarbeiten, die informativ und unterhaltsam zugleich waren.

Natürlich galt Scholl-Latour ob seines Realitätssinns der Linken als „rechts“

Der Aufstieg des Islamismus ab 1979, dem Jahr in dem die Revolution der Ajatollahs im Iran, der Einmarsch in Afghanistan, was zur Bewegung der Mujaheddin führte, sowie die wahnwitzige Besetzung der großen Moschee in Mekka, die eine Islamisierung Saudi-Arabiens auslöste, zusammenkamen, machten Scholl-Latours ursprüngliche Kompetenz gefragter denn je. Ganz besonders seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem „Krieg gegen den Terror“ war seine Expertise für die islamische Welt erneut enorm gefragt.

Der Nahe Osten wird von Kriegen und Unruhen geschüttelt, woran die politischen und militärischen Interventionen des Westens einen großen Anteil haben. Angesichts der von Geheimdiensten gesteuerten Desinformation sind die Ausführungen des großen Nahost-Experten wahre Lichtblicke.
Peter Scholl-Latour:Der Fluch der bösen Tat –Das Scheitern des Westens im Orient. Jetzt im JF-Buchdienst bestellen.

Doch langsam sickerten auch Vorwürfe, Scholl-Latour sei „rechts“ von links außen ein und 2004 entblödete sich der Spiegel nicht, sie aufzugreifen, wobei auch Scholl-Latours Wertschätzung für diese Zeitung eine Rolle spielte. Daß er von links zunehmend Kritik erfuhr ist angesichts seiner wachsenden Kritik an einer Masseneinwanderung aus dem islamischen Raum sowie einem damals vorangetriebenen EU-Beitritt der Türkei nicht überraschend. Denn natürlich war ihm klar, daß das nicht zum großen harmonischen Multikulti-Miteinander führt, sondern zu wachsenden Problemen und für den Fall ihrer ungebremsten Fortentwicklung sagte er „bosnische Verhältnisse“ voraus.

Die Vorwürfe gegen ihn beeindruckten Scholl-Latour nicht, im Gegenteil, gegenüber Journalisten lobte er gar freimütig die JUNGE FREIHEIT als letztes Blatt, das noch wage, ungeschönt zu drucken, was er schreibe. Immer wieder gab er dieser Zeitung auch Interviews, griff gar gelegentlich für die JF zur Feder – und einen Teil seiner Gastkommentare wählte er später für einen Sammelband aus, ohne Scheu, dafür möglicherweise Kritik zu ernten. Zudem gestattete er für die JF mit seinem Konterfei und dem Zitat zu werben: „Die JUNGE FREIHEIT bedeutet für mich, daß es in der deutschen Medienlandschaft noch unabhängige Geister gibt und Journalisten, die das Risiko eingehen, gegen den Strom zu schwimmen.“

Millionenauflagen für seine Bücher

Bis zuletzt bereiste Scholl-Latour, selbst hochbetagt noch die Welt und fünf Jahre vor seinem Tod erreichte er mit einer Reise nach Ost-Timor sein Ziel, jedes Land der Erde besucht zu haben. Buchstäblich bis zum Sterbebett schrieb er zudem seine Bücher. Sein Vorletztes, „Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient“, erschien wenige Wochen nach seinem Tod und landete erneut auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste. Im Jahr darauf erschien seine Autobiographie „Mein Leben“.

An die vierzig Bücher hat er verfaßt mit einer Gesamtauflage von zehn Millionen Stück. Geschrieben hat er sie alle mit der Hand, ohne Schreibmaschine und erst recht ohne Computer. Die digitale Welt blieb ihm fremd, das Internet erst recht. Täglich spazierte er bis zuletzt wie eh und je zu seinem Kiosk, um die wichtigsten nationalen und internationalen Tageszeitungen zu kaufen. Als der Arabische Frühling aufflammte, reiste er sofort nach Nordafrika. Zurück von dort widersprach er der Euphorie der Medien hierzulande und warnte, daß die Bewegung in Wahrheit nicht so machtvoll sei, wie sie durch die neuen Medien erschien – und wieder sollte er recht behalten. Nirgendwo setzte sie sich auf Dauer durch.

Sein Thron bleibt vakant

Als Scholl-Latour schließlich die Diagnose einer schweren Erkrankung erhielt, lehnte er eine in seinen Augen sinnlose Behandlung ab und beschloß, dem Schicksal nicht ins Handwerk zu pfuschen und sich dem Tod zu stellen, der schon mehrfach nach ihm gegriffen hatte, zuletzt 1997 in Herat, Afghanistan, wo er in ein Gefecht geriet. Doch diesmal, das war ihm bewußt, würde der Schnitter auch ernten. Sein tiefer katholischer Glaube, den er konservativ verstand und zu dem er sich stets bekannte, mag ihm geholfen haben: 2014 verstarb Peter Scholl-Latour 90jährig in Rhöndorf/Bad Honnef, vermutlich so wie er gelebt hat – immer fröhlich, immer neugierig, immer wagemutig und immer voller Zuversicht. Vielleicht sogar war er gespannt auf diese allerletzte, größte Reise.

Bis heute ist sein Thron als der Welterklärer der Deutschen verwaist. Und in Zeiten einer rapiden, militanten Ideologisierung, der wahnhaft jede Realität nur Ausdruck der angeblichen Herrschaft des rassistischen, weißen Patriarchats ist, wird das zum großen Schaden des Landes wohl auch so bleiben.

Peter Scholl-Latour wenige Wochen vor seinem Tod an seinem Schreibtisch: Immer neugierig, immer wagemutig. Quelle: picture alliance/dpa, Tim Brakemeier
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