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Zum Tod von Peter Scholl-Latour: Er ging keinem Krieg aus dem Weg

Zum Tod von Peter Scholl-Latour: Er ging keinem Krieg aus dem Weg

Zum Tod von Peter Scholl-Latour: Er ging keinem Krieg aus dem Weg

Peter Scholl-Latour
Peter Scholl-Latour
Peter Scholl-Latour Foto: Hagen Weimar
Zum Tod von Peter Scholl-Latour
 

Er ging keinem Krieg aus dem Weg

Im Alter von 90 Jahren ist der Bestsellerautor Peter Scholl-Latour nach langer Krankheit in seinem Haus in Rhöndorf gestorben. Ein Nachruf von Günther Deschner.
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„Scholl on Tour“ hieß er bei Journalisten-Kollegen wegen seiner Reiselust, „Opi Partisan“ nannte ihn liebevoll seine Ehefrau Eva. Er war einer der bekanntesten, vielleicht auch der beste Nahost-Experte unserer Zeit. Heute ist Peter Scholl-Latour nach langer Krankheit in seinem Haus in Rhöndorf gestorben.

Von Algerien über Vietnam bis zum Irak, Afghanistan und Syrien hat er Kriege und Bürgerkriege eines halben Jahrhunderts aus nächster Nähe kennengelernt. Mit Reportagen für ARD und ZDF, mit Filmen und Büchern hat er den Deutschen die reale Welt (und das, was sie zusammenhält) näher gebracht. Als Autor war er auch für die JUNGE FREIHEIT tätig. Peter Scholl-Latour wurde befragt, weil er sein Wissen nicht nur aus dem Hörsaal bezog, sondern es „an der Front“ erfahren hat. Er ist keinem Krieg aus dem Weg gegangen. Die Fernsehnachrichten darüber verbindet der deutsche Zuschauer mit dem Gesicht und dem stets unaufgeregten Sprechduktus des Weitgereisten, der im März dieses Jahres seinen neunzigsten Geburtstag feierte. Sein legendärer Vietnam-Bestseller „Der Tod im Reisfeld“ begründete seinen Ruf.

Schon als Junge wollte er Entdeckungsreisender werden

Geboren wurde er 1924 in Bochum. Durch seine elsässische Mutter und seinen saarländischen Vater besaß er sowohl die deutsche als auch die französische Staatsbürgerschaft. In der lothringisch-saarländischen Arztfamilie hing auch ein Napoleonbild im Herrenzimmer. Aufgewachsen an Ruhr und Saar, in Metz und einem Jesuitencollège in der Schweiz, wollte er schon als Junge Entdeckungsreisender werden und träumte sich etwa als ein neuer David Livingstone nach Afrika.

Aus dem Traum erwacht, wurde er nach dem 8. Mai 1945 Soldat im französischen Expeditionskorps für Indochina, dem „Commando Parachutiste Ponchardier“. Keiner außer ihm wußte so genau, wie es dazu kam. Bewog ihn Leichtsinn, wie er einmal sagte?

Nie hielt es ihn lange an einem Ort

„Danach“ studierte er in Deutschland, in Paris und in Beirut Philologie und Orientkunde, lernte dort fließend Arabisch, arbeitete als Journalist und verdingte sich 1953/54 als Pressechef der Saarregierung – ausgerechnet des Separatisten Johannes Hoffmann. Dann wechselte er zur ARD, für die er nach Afrika ging, schließlich als Fernsehchef nach Köln und als Korrespondent nach Paris. 1983 ließ er sich als Chefredakteur für den Stern engagieren. Doch die Mesalliance wurde schnell wieder geschieden.

So bestieg er den fliegenden Teppich, mit dem er seither die Erde und ihre Krisen umkreiste – einer der letzten großen Journalisten alter Schule, einer ihrer besten. Scholl-Latour wurde eine Instanz, fast schon ein Mythos, einer der ganz wenigen mit einem Gespür für das deutsche, französische, europäische Schicksal.

Chronist des Rückzugs der Europäer

Seit Indochina war er Chronist des Rückzugs der Europäer, die einst die Welt beherrschten. Er litt darunter, daß ein Volk 100 Milliarden für einen neuen Telefonstandard verjuxen konnte, aber nicht in der Lage war, ein paar zig Milliarden mehr für die eigenen Streitkräfte aufzubringen. Er konnte nicht fassen, daß sich die Europäer mit dem Bevölkerungsschwund ihrer autochthonen Einwohner abfinden, während um sie herum die Geburten explodieren. Und mehr als einmal hielt er denen, die uns regieren, die Mahnung des französischen Denkers Paul Valéry vor: „Im Abgrund der Geschichte ist Platz für alle.“ Und er wußte doch genau, daß sie ihn nicht verstanden.

Möchten Sie gern, so wurde er einmal gefragt, so alt werden wie der Schriftsteller Ernst Jünger, der mit knapp 103 Jahren starb? „Ich habe nicht den Ehrgeiz, so alt zu werden“, versichert der Doyen der deutschen Reporter, fügt nach kurzer Nachdenkpause hinzu: „Es sei denn, mir ginge es auch dann noch so gut wie heute. Wenn nicht, dann eben nicht.“

Mit ideologiekritischem Blick auf die Welt

In zahlreichen Büchern über die globalen und regionalen Konflikte dieser Welt unternahm Scholl-Latour den Versuch, gedankliche Ordnung in die „Wirren der Gegenwart“ zu bringen – mit einem ideologiekritischen Realismus, der ihm einst am Pariser „Sciences Po“, dem renommierten Zentrum der französischen Politikwissenschaft, gelehrt worden war und der sein publizistisches Werk durchgängig auszeichnet. Durch die glückliche Verbindung mit dem Studium der Arabistik und dank der kontinuierlichen Beschäftigung mit der arabischen Welt war Scholl-Latour wie kein anderer prädestiniert, insbesondere die Umwälzungen, die als „Arabellion“ firmieren, kritisch journalistisch zu begleiten.

Immer wieder bezog er dabei auch eine Gegenposition zu der in Deutschland weitverbreiteten beschönigenden und oft verschwiemelten Betrachtungsweise. Folgt man dem Autor, so geht es in der internationalen Politik nur um Macht und Sicherheit der Staaten, die eine interessengeleitete Politik auf der Basis ihrer jeweils sehr unterschiedlichen, oft konträren Wertesysteme, Kulturen und Religionen betreiben.

Einfältigen Propagandisten fuhr er über den Mund

Zuletzt wurde dies in seiner journalistisch-politischen Position zum Syrien-Konflikt deutlich: „Viele in Europa nehmen an, hinter dem Konflikt von Syrien steht der Ruf nach Freiheit und Menschenrechten. Das ist Unsinn. Bei diesem Konflikt geht es um eine Machtfrage, nämlich darum, ob der Iran eine Land-Verbindung zum Mittelmeer bekommt – und zwar über Irak, Syrien und den Libanon. Dies ist der Hintergrund der Aktionen gegen den syrischen Präsidenten.“

Am meisten gefiel mir, wie er Vorbetern westlicher Propaganda in Talkshows immer wieder über die emsigen Plappermäulchen fuhr. Um Israel kümmerte er sich nur selten, sparte das Thema demonstrativ aus. Wahrscheinlich war es für ihn von geringem Interesse. Unvergeßlich, wie sich sogar TV-Inquisitor Michel Friedman hilflos an Scholl-Latours Haltung dazu festrannte.

Seine skeptische Grundhaltung hob sich wohltuend vom Denken à la mode ab

Seine nüchternen, fast sarkastischen Betrachtungen dieser aus den Fugen geratenen Welt waren einzigartig. Er gehört damit in eine Reihe mit dem von ihm verehrtesten aller Franzosen, Michel de Montaigne, der das Kind einer grausamen Zeit der Religionskriege war. Scholl-Latour sah den Menschen als ein durchaus fehlerbehaftetes Geschöpf. Daraus erwuchs sein grundlegender Skeptizismus. Seine „realistischen“, aus breiter Erfahrung und einer pragmatisch-skeptischen Grundhaltung hervorgehenden Beobachtungen und Schlußfolgerungen hoben sich wohltuend von der im Deutschland von heute modischen naiv-gutmenschlichen Denkweise ab.

Er wagte es, in machtpolitischen Dimensionen zu denken – wie alle „normalen“ Länder der Aufklärung. Daß er ein glühender Frankreich-Fan und Gaullist war, mußte man zur Kenntnis nehmen – auch wenn man ihm nicht immer folgen mochte.

Grab mit „tollem Blick auf den Rhein“

Nun bleiben uns nur noch die Erinnerung an sein journalistisches Werk und seine politischen Einsichten. Ein Grab für sich und seine Frau hatte er schon lange gekauft. „Ich möchte auf dem Waldfriedhof in Rhöndorf begraben werden, wo auch Konrad Adenauer liegt. Von dort aus hat man einen tollen Blick auf den Rhein.“

 

Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises 2008 an Peter Scholl-Latour

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Peter Scholl-Latour Foto: Hagen Weimar
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