Politische Beobachter spekulierten die vergangenen Tage aufgeregt, ob Bundeskanzler Friedrich Merz den 35. Jahrestag der Einheit für eine historische Ruck-Rede zur Zukunft Deutschlands nutzen würde. Daß er jetzt so richtig auf den Tisch hauen könnte, ein neues Gemeinschaftsgefühl zu wecken versucht, um die gigantischen Herausforderungen der im Abstieg begriffenen Bundesrepublik zu bewältigen.
Sollte das tatsächlich der Plan gewesen sein, ging er nicht auf. Merz ratterte die bekannten Themen und Schlagworte runter. Die „liberale Demokratie“, die er kurzerhand zur deutschen „Lebensweise“ erklärt, stehe von innen und außen unter Druck; die „digitale Revolution“ verändere die Wirtschaft; die „irreguläre Migration“ habe das Land gespalten; Änderungen seien auch eine „Chance“. Das sind politisch belanglose Allgemeinplätze.
Belanglose Allgemeinplätze
Eine echte Zukunftsvision bleibt der Kanzler, der direkt nach einem „tänzerischen Dialog“ einer Showgruppe des Saarländischen Rundfunks das Wort ergreift, schuldig. Deutschland müsse ein starkes Land bleiben, die Wirtschaft müsse wieder wachsen und die Gesellschaft solle „weltoffen“ bleiben. Solidarisch sollen bitte auch alle bleiben und ganz wichtig: „Der Rechtsstaat dient der Freiheit.“ Natürlich darf auch ein Seitenhieb auf Donald Trump und den „neuen Protektionismus“ nicht fehlen.
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Gleich zweimal muß der Kanzler betonen, daß vor dem Gesetz alle gleich seien. Offenbar sagt er das auch, weil es daran mittlerweile erhebliche Zweifel in Teilen der Bevölkerung gibt. Apropos Bürger. Die sollten sich doch mal ein bißchen mehr „anstrengen“. Die Anstrengungen seiner Regierung in dieser – wie Merz korrekt attestiert – „entscheidenden Phase der neuen Geschichte“ beschränken sich bisher auf das Brechen von Wahlversprechen und das Einsetzen diverser Kommissionen, um den Bruch noch weiterer Versprechungen vorzubereiten. Vielleicht strengt er sich ja erstmal ein bißchen mehr an.
Nation als Wohnungsgemeinschaft
Aufschlußreich ist vor allem eine Äußerung des Kanzlers. „Nation“, sagt Merz, sei die „zustimmende Willensbekundung aller, die das gemeinsame Leben fortzusetzen gedenken“. So kann man auch eine Studenten-WG oder eine in die Brüche gegangene Ehe beschreiben. Daß er sich dabei auf einen französischen Philosophen berufen muß, macht es nicht besser.
Am Ende hält Friedrich Merz eine Rede, die auch ein schlechter Bundespräsident gehalten haben könnte. Hier eine pathetische Phrase, da noch ein Hinweis, daß die Zukunft halt Änderungen mit sich bringt, und am Ende verbittet sich Merz auch „Pessimismus und Larmoyanz“. Doch woran sollen sich die Bürger festhalten? Was soll ihnen denn Mut machen? Diese Rede taugt dafür jedenfalls nicht.
Ruck-Reden können auch andere halten
Dafür taugte auch die ganze Veranstaltung nicht. Sie fand im Saarland statt, weil die Ministerpräsidentin Anke Rehlinger zufällig gerade Präsidentin des Bundesrats ist. Noch kleiner kann die Kleingeistigkeit des deutschen Föderalismus gar nicht mehr werden. Andere Länder begehen ihren Nationalfeiertag mit aufwendigen Festivitäten in der Hauptstadt, mit Militärparaden und dem stolzen Blick zurück und nach vorn. In anderen Ländern wird auch das Volk direkt beteiligt.
In Deutschland dagegen führt der ehemalige Tagesschau-Sprecher Jan Hofer im offenbar kleinstmöglichen Saal der Republik vor einem elitären Zirkel ausgesuchter Politiker durch eine Veranstaltung, die teilweise nicht vom ZDF-Fernsehgarten zu unterscheiden ist. Statt DJ Herzbeat tritt zwischendurch halt Frankreichs Präsident Emanuel Macron auf. Danach trällert ein Kinderchor. Was Macron mit dem 3. Oktober 1990 zu tun haben soll, wird er wohl selbst kaum beantworten können.
Friedrich Merz, dessen Plan für Deutschland offensichtlich nur bis zum Tag seiner Wahl hielt, hätte die Chance gehabt, wirklich eine Ruck-Rede zu halten. Weil das Land sie auch dringend bräuchte. Aber wer sagt eigentlich, daß die ein Kanzler oder Bundespräsident halten muß?