Herr Sofo, Italien weigert sich, von Deutschland abgelehnte Asylbewerber wieder zurückzunehmen. Warum?
Sofo: Italien steht vor einer noch nie dagewesenen Migrationskrise. 2023 sind bereits etwa 130.000 Migranten an unseren Küsten gelandet. Doch wollen die Menschen gar nicht nach Italien, sondern nach Europa. Dennoch erhalten wir von anderen EU-Staaten keinerlei Hilfe. Aus geographischen Gründen sind wir das erste Auffangland, die eigentlichen Zielländer der Einwanderer sind aber meist Frankreich und Deutschland.
Doch statt Italien zu helfen, den Migrationsstrom einzudämmen, betrieben beide in den letzten Jahren eine Politik, die illegale Einwanderung nach Europa gefördert hat, während sie aber ihre Selbstverpflichtung, einen Teil der Migranten aufzunehmen, nicht eingehalten haben.
Na ja, die Bundesregierung hat als Antwort auf Roms Verweigerung in der Tat die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen aus Italien ausgesetzt. Ist das aber nicht eine berechtigte Reaktion?
Sofo: Die Wahrheit ist doch, daß Deutschland und andere Länder in den letzten Jahren ständig Vereinbarungen über die Umsiedlung von Migranten aus Italien mißachtet haben. Ich verstehe daher nicht, warum wir neben den Migranten, die Deutschland gehören, auch noch die aufnehmen sollten, die sich in Ihrem Land aufhalten. Es gilt bitte zu verstehen, daß Italien nicht das Flüchtlingslager Europas ist und daß man sich nicht nur immer dann auf das Dublin-Abkommen berufen kann, wenn es einem nützt.
Deutschland nimmt doch in der EU die meisten Einwanderer auf. Ist es also nicht berechtigt, Italien aufzufordern, Asylbewerber, deren Antrag hierzulande rechtmäßig abgelehnt wurde, zurückzunehmen?
Sofo: Deutschland verfolgte schon 2015 eine schändliche Einwanderungspolitik, die Millionen Migranten die Tore Europas öffnete – ohne die anderen Nationen zu fragen, ob sie einverstanden sind. Deutschland hat als Pull-Faktor gewirkt, für die Folgen aber haben wir alle bezahlt, beziehungsweise bezahlen weiterhin – und Italien an erster Stelle.
Statt die Grenzen zu Italien zu schließen, sollten Sie uns lieber bei der Schließung der EU-Grenzen unterstützen. Denn was wir in Europa brauchen, ist eine gemeinsame Bewältigung des Einwanderungsproblems, indem uns bewußt wird, was vor uns liegt: Die Lösung besteht nicht darin, die Zuwanderer in der EU umzusiedeln, sondern sie daran zu hindern, überhaupt in die EU zu kommen.
Sofo: „Wir brauchen einen Migrationspakt anstelle des gescheiterten Dubliner Abkommens“
Wie soll Deutschland dabei helfen?
Sofo: Wir erwarten, daß sie an unserer Seite stehen, um den gescheiterten Dublin-Vertrag ein für allemal zu überwinden und die Verabschiedung eines Migrationspaktes zu erreichen, der vorrangig die externe Dimension in den Vordergrund stellt.
„Externe Dimension“?
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser hat angekündigt, die illegale Einwanderung zu reduzieren. Ist das ein geeigneter Beitrag?
Sofo: Ich kann nicht beurteilen, ob sie die Einwanderung wirklich bekämpfen will oder nicht, aber ich weiß, daß es im Interesse Deutschlands und des deutschen Volkes liegt, dies zu tun, denn wir haben es mit einer Migrationskrise von epochalem Ausmaß zu tun – und die Migrationsströme, die wir bereits erleben, sind erst der Anfang.
Denn Afrika steht vor einer Bevölkerungsexplosion, die zwangsläufig nach Europa überquellen wird, da der Kontinent nicht entwickelt genug ist, um sein Bevölkerungswachstum selbst aufzufangen. Erst wenn man sich klarmacht, daß allein Nigeria in wenigen Jahren die gleiche Bevölkerung haben wird wie die gesamte EU, ist man in der Lage, den Ernst der Situation, die auf uns zukommt, richtig zu erfassen.
„Die Regelung über ‘Internationalen Schutz’ wird genutzt, um illegale Einwanderung zu legalisieren“
Wie sollte sich die deutsche Politik Ihrer Ansicht nach konkret ändern, um Italien künftig richtig zu helfen?
Sofo: Erstens: Unterstützen Sie uns bei dem Vorhaben, das Recht auf Internationalen Schutz zu ändern.
Sie meinen das, was wir in Deutschland meist „subsidiären Schutz“ nennen, also die pauschale Gewährung von Asyl, ohne daß, wie vom deutschen Asylrecht eigentlich verlangt, eine individuelle Verfolgung vorliegt.
Sofo: Die Linke hat beim Internationalen Schutz die „Maschen“ immer mehr erweitert, indem sie möglich machte, auf seiner Grundlage aus den verschiedensten Gründen Asyl zu gewähren. Die Internationale-Schutz-Regelung ist zu einer Möglichkeit geworden, illegale Einwanderung zu legalisieren.
Und zweitens?
Sofo: Sollte Deutschland eine Überprüfung der Rolle von Frontex unterstützen. Denn die europäische Grenzschutzagentur muß wieder die Aufgabe haben, die Grenzen zu schützen – und dazu etwa eine EU-koordinierte Militäroperation nach dem Vorbild der Operation Sophia von 2015 zu starten.
Also gemeinsame Bekämpfung des Schleuserwesens auch durch den Einsatz von Streitkräften.
Sofo: Ja, denn die Lage auf Lampedusa ist zwar das, was aktuell in den Medien am meisten Beachtung findet, tatsächlich aber steht bereits ganz Süditalien unter Druck. In Kalabrien etwa beobachten wir das Entstehen neuer Routen, etwa ausgehend von der libyschen Provinz Cyrenaika. Und zwar sind im Süden die Nichtregierungsorganisationen weniger präsent, dafür aber ist die Steuerung des Menschenhandels durch das organisierte Verbrechen viel stärker ausgeprägt.
Wie gesagt wollen die meisten Einwanderer gar nicht zu uns, sondern durchqueren Italien auf dem Weg zu anderen Zielen. Würden wir die gleiche egoistische Haltung an den Tag legen wie andere Länder, könnten wir diese Zuwanderer paradoxerweise einfach so schnell wie möglich passieren lassen, ohne sie zu kontrollieren. Aber damit würde Europa sterben, als Projekt und als Zivilisation.
„Das Problem ist, daß die Linke in Brüssel alles tut, um uns zu boykottieren“
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat im Wahlkampf versprochen, ihre Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) würde alles in ihrer Macht Stehende tun, die Zahl der Migranten zu verringern. Offensichtlich konnte sie das Versprechen nicht halten. Warum nicht?
Sofo: Die Wahrheit ist, daß sie alles tut, was sie kann. Aber es gibt nur wenige Instrumente, vor allem nachdem die sogenannten Sicherheitsdekrete von Innenminister Matteo Salvini zum Teil für verfassungswidrig erklärt wurden.
Gleichwohl sind manche europäische Konservative und Rechte etwas enttäuscht und fragen sich, warum die Regierung Meloni nicht strikter gegen die Zuwanderung vorgeht.
Sofo: Wie schon erklärt, besteht unser Ziel darin, eine echte, effektive, dauerhafte Lösung zu finden. Und nicht, Maßnahmen zu ergreifen, die binnen Minuten von der italienischen oder internationalen Justiz wieder aufgehoben werden. Das Problem ist, daß die Linke, und nicht nur die italienische Linke, sondern auch die anderen Delegationen im Europäischen Parlament, alles tun, um uns zu boykottieren.
Ein Beispiel dafür ist das Kooperationsabkommen mit Tunesien, das, noch bevor es in Kraft trat, von Sozialisten und Grünen sabotiert wurde, die nicht wollen, daß man sich mit den Herkunfts- und Transitländern darauf verständigt, daß Migranten vor ihrer Abreise sozusagen gefiltert werden. Und schließlich muß gesagt werden, daß diese Migrationswellen auch eine geopolitische Komponente haben.
Das heißt?
Sofo: Daß sie von den Mächten genutzt werden, die mit uns konkurrieren und die Einfluß in diesen Gebieten haben, um Europa unter Druck zu setzen. Deshalb brauchen wir auch eine europäische Antwort – und zwar eine, die eine Außenpolitik auf afrikanischem Boden beinhaltet, um verlorene Einflußräume wiederzuerlangen. Was Italien übrigens seit Jahren fordert, leider jedoch ohne gehört zu werden, weil man glaubt, die Zukunft Europas stehe nur in dessen Osten auf dem Spiel.
Innenminister Salvini hat den Ansturm auf Lampedusa einen „Kriegsakt“ genannt, also hat er damit recht?
Sofo: Ein Teil dieser Immigration ist meiner Ansicht nach objektiv induziert. Sowohl von NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, als auch von Regierungen sowie internationalen Organisationen. Die fungieren als Vermittler des Menschenhandels, indem sie einige Kilometer vor der Küste Nordafrikas stationiert, Schleuserschiffe veranlassen, abzulegen und ihre Fracht an unsere Küste zu bringen. Das Absurde dabei ist, daß es sich um NGOs handelt, die unter der Flagge nordeuropäischer Länder, auch Deutschlands, fahren.
Allerdings spielen auch geopolitische Mächte wie die Türkei, China oder Rußland eine Rolle, die in den letzten Jahren ihre Präsenz in Afrika auf Kosten Europas erheblich verstärkt haben. Sie verwalten nun die Migrationsrouten und nutzen sie als Druckmittel, gerade in einer heiklen Zeit wie dieser mit dem andauernden Ukraine-Konflikt. Nochmals, eben deshalb brauchen wir ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene!
„Wenn man Grenzen nicht verteidigt, dann ist es sinnlos, daß es sie gibt“
Australien verfolgt seit Jahren eine äußerst erfolgreiche Null-Toleranz-Politik gegenüber illegaler Einwanderung, was auch zahllose Menschen vor dem Ertrinken gerettet hat. Sollte Europa diese kopieren?
Sofo: Wenn man wollte, könnte man das. Jedoch ist die Situation Australiens und Europas nur teilweise vergleichbar. Ich wiederhole diesbezüglich, daß wir die wirtschaftlichen und demographischen Perspektiven Afrikas nicht ignorieren dürfen!
Was ist mit den sogenannten „Push backs“, diese sind nach gegenwärtiger Rechtslage illegal. Braucht es nicht eine europäische Initiative, das zu ändern?
Sofo: Ohne solche Zurückweisungen an den Grenzen kann es in der Tat keine Politik zu ihrem Schutz geben. Denn werden Grenzen nicht verteidigt, ist es sinnlos, daß sie gibt. Deshalb ist der immigrationsorientierte Ansatz der Linken auch verrückt. Denn das wäre, als würde man Ihnen absprechen, das Recht zu haben, zu entscheiden, wann, wie und wem Sie Ihre Haustür öffnen oder verschließen. Nur wenn wir jene zurückweisen, die illegal einreisen wollen, können wir den Migranten klarmachen, daß der einzige Weg der der legalen Einwanderung ist.
Aber dafür müßten doch internationale Verträge geändert werden.
Sofo: Und Italien steht dabei bereits an vorderster Front – doch ohne die Unterstützung von Ländern wie Deutschland kann das nicht gelingen.
„Wir müssen unbedingt gemeinsam eine rechte Gegenkraft in Europa schaffen“
In Deutschland wird derzeit diskutiert, ob eine neue Partei der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zum Scheitern verurteilt ist oder zum großen Erfolg werden könnte. Diese mutmaßlich kommende Partei ließe sich am ehesten mit der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung vergleichen, deshalb die Frage: Warum war die in Italien zuerst so erfolgreich, gar ein ernster Rivale der Rechtsparteien, ist dann aber doch gescheitert?
Sofo: Ihr Scheitern liegt darin begründet, daß sie geboren wurde, indem sie sich als anti-systemische und populistische Kraft verkaufte – indem sie behauptete, sie sei diejenige, die sich niemals mit irgendeiner anderen Partei verbünden, sondern diese alle auslöschen würde. Das ist natürlich eine ausgezeichnete Strategie, um einen Konsens bei Wahlen zu erzielen. Aber danach kommt die Wirklichkeit, die ernsthafte Politik. Und in den vier Jahren, in denen die Fünf Sterne in der Regierung waren, haben sie es geschafft, sich zuerst mit der Rechten und dann mit der Linken zu verbünden, also mit all den anderen, gegen die sie angetreten war.
Verheiratet sind Sie mit der rechten französischen Politikerin und Aktivistin Marion Maréchal, deren Tante Marine Le Pen ist. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit rechter europäischer Politiker?
Sofo: Sie ist wichtig. Das Thema Einwanderung ist ein bezeichnendes Beispiel für das Scheitern der Europäischen Union in den letzten Jahren. Italien und Europa zahlen die Folgen der selbstmörderischen Migrationspolitik der Linken, und das gleiche sehen wir bei den Themen Ökologie und Ethik. Wir müssen daher unbedingt versuchen, die Mehrheit im Europäischen Parlament zu stürzen, indem wir eine konservative Gegenkraft schaffen – und zwei Länder sind dafür ausschlaggebend, Frankreich und Deutschland.
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Vincenzo Sofo ist Mitglied der Partei der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni und Abgeordneter des Europäischen Parlaments in der Fraktion der Europäischen Konservativen. 2019 rückte er für die Lega ins Parlament nach, 2021 wechselte er zu den Fratelli d’Italia. Der studierte Ökonom, 1986 in Mailand geboren, ist mit Marion Maréchal, Nichte Marine Le Pens und Vizechefin der Partei Reconquête des französischen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour, verheiratet.