KASSEL. Der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera ist vom Kasseler Amtsgericht wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Richter sah es als erwiesen an, daß der Forscher in einem Interview 2017 Homosexuelle herabgewürdigt habe, berichtet die „Hessenschau“. Die Strafe beträgt 60 Tagessätze á 100 Euro.Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Kutschera hatte 2017 in einem Interview über das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare gesagt: „Sollte das Adoptionsrecht für Mann-Mann- bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen kommen, sehe ich staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmißbrauch auf uns zukommen.“ Zudem ergänzte er in dem Gespräch mit dem Nachrichtenportal kath.net, die „widernatürliche Früh-Sexualisierung“ sei eine „geistige Vergewaltigung Schutzbefohlener“. Kinder lesbischer Paare, die mittels künstlicher Befruchtung gezeugt wurden, bezeichnete er als „bemitleidenswerte Befruchtungsprodukte“.
Er begründete seine Aussagen mit evolutionsbiologischen Erkenntnissen. „Im Lauf der Evolution der Säuger hat sich, über 150 Millionen Jahre hinweg, die Mutter-Kind-Bindung als stärkstes Band überhaupt herausgebildet.“ Wenn nun einem Kind etwa die Mutter entzogen werde, „so ist das eine Verletzung des elementarsten Menschenrechts, das überhaupt existiert“.
Staatsanwaltschaft forderte Verurteilung wegen Volksverhetzung
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen Volksverhetzung gefordert, da Kutschera die Menschenwürde Homosexueller „in höchstem Maße“ verletzt habe. Diesen Tatbestand sah der Richter jedoch nicht erfüllt.
Der Richter erklärte laut „Hessenschau“, Kutschera habe mit seinen Äußerungen Werturteile gefällt. Als Beispiel nannte der Jurist Begriffe wie „Falschpolung“ oder die Aussage, bei Adoptionen sei ein „erhöhter Kindesmißbrauch“ wahrscheinlich. Auch angebliche Fakten zu präsentieren, helfe da nicht, da auch die Auswahl von Fakten eine Wertung darstelle. Der Richter empfahl dem Angeklagten eine „Mäßigung des Diskurses“, er könne Sachen ablehnen, auch ohne sie herabzuwürdigen.
Kutschera hatte während der Verhandlung argumentiert, das Kindeswohl stehe im Mittelpunkt seiner Aussagen. Dazu präsentierte er auch wissenschaftliches Material. Sein Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert und auf die Meinungsfreiheit verwiesen. Ob Kutschera oder die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen, war am Montag abend noch unklar.
Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) und die Universität Kassel, an der Kutschera lehrt, teilten mit, sie wollten das rechtskräftige Urteil abwarten. Allerdings sei die Suche nach einem Nachfolger für den 65 Jahre alten Evolutionsbiologen bereits fortgeschritten. (ls)