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Meinung: Der Rußland-Konflikt bei Olympia

Meinung: Der Rußland-Konflikt bei Olympia

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Olympia
Olympia
Olympia: professionalisiert, politisiert und kommerzialisiert Foto: picture alliance / abaca
Meinung
 

Der Rußland-Konflikt bei Olympia

Rußland weckt derzeit wie kein anderes Land aufbrausende Emotionen, und zwar vornehmlich im Zentrum der Gesellschaft. Dem westlichen Konzept der „Einen Welt“ stellt sich zunehmend der eurasische Anspruch auf Multipolarität entgegen. Das spiegelt sich auch in der Entscheidung des IOC wider. Ein Kommentar von Thomas Fasbender.
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Um es vorwegzunehmen, auch wenn der Aufschrei in den deutschen Leitmedien unüberhörbar war: Der Urteilsspruch des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) unter Leitung des Deutschen Thomas Bach ist gerecht und gerechtfertigt. Eine Teilnahme des russischen Teams, mit Ausnahme der Leichtathleten, an der Olympiade in Rio mit vergleichsweise strenger Einzelfallprüfung stellt allerdings auch das Maximum dar, das Rußland unter den gegebenen Bedingungen erhoffen konnte.

Außer Frage steht, daß Rußland ein umfassendes Dopingproblem hat, in das Teile des Staatsapparats verwickelt sind. Nationale Vorgaben für die Medaillenzahl – so viel Gold, Silber, Bronze – sind auch in Deutschland Usus, doch offensichtlich werden sie in verschiedenen Ländern unterschiedlich umgesetzt. Man darf davon ausgehen, daß in Rußland spätestens seit der Vorbereitung auf die Winterolympiade in Sotschi 2014 ein Dopingsystem entstanden ist, das mit staatlicher Hilfe viele Sportarten erreicht. Aber erreicht es auch jeden einzelnen Sportler, jede Sportlerin? Sicher nicht. Und gibt es in anderen Ländern kein Doping, sind alle nicht-russischen Sportler „clean“?

Deutsche Medien sind enttäuscht

Das IOC hätte gar nicht anders entscheiden können. Ein Boykott des russischen Teams hätte bedeutet, daß man die sauberen russischen Sportler vom Start ausgeschlossen, die gedopten Sportler anderer Länder dagegen zugelassen hätte – bis zu ihrer Überführung im Einzelfall. Das wäre ein herber Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung gewesen. Sippenhaft ist keine rechtsstaatlich legitimierte Maßnahme.

Seit die IOC-Entscheidung bekannt ist, herrscht in den deutschen Medien Enttäuschung. „Kreuzige ihn, kreuzige ihn“ hatte es zuvor schon geheißen. Vollmundig hatte die Bild-Zeitung angekündigt, russische Siege, sollte das Team doch teilnehmen dürfen, im Medaillenspiegel nicht zu berücksichtigen. Selbst in der ansonsten maßvollen FAZ ist die Rede von Feigheit und Verrat und von der Selbstaufgabe der olympischen Idee.

Uralte Stereotype

Rußland weckt derzeit wie kein anderes Land aufbrausende Emotionen, und zwar vornehmlich im Zentrum der Gesellschaft. Weder links noch rechts fällt das Urteil so harsch und negativ aus wie zu beiden Seiten der Mitte, vom Springer-Verlag bis zum WDR. Da wirken uralte Stereotype, die sich mit enttäuschter Liebe verbinden – immer eine explosive Mischung. Denn die Liebe wäre nicht enttäuscht, hätte man ihr Objekt zuvor besser verstanden.

Dabei ist der vielbeschworene „Geist von Olympia“ schon seit Jahrzehnten eine Mumie. Spötter behaupten, auch in der Antike habe es ihn eigentlich nie gegeben. Die Spiele waren Foren, auf denen die griechischen Kleinstaaten ihre Rivalitäten ebenso austrugen wie in der Zeit zwischen den Spielen, nur eben nicht mit Schwert und Spieß. Bezeichnend ist, daß die neuzeitlichen Spiele 1896, im Zenit der europäisch-westlichen Weltherrschaft, ins Leben gerufen wurden. Gut einhundert Jahre später existiert diese Weltherrschaft nur noch in wenigen Köpfen. Olympia ist professionalisiert, politisiert und kommerzialisiert.

Politische Rußland-Debatte auch im Sport

Ein Vierteljahrhundert lang schien es, als ob weltanschauliche Divergenzen nach dem Ende des Kalten Krieges keine Rolle mehr spielten. Inzwischen wurden wir eines Besseren belehrt. Dem westlichen Konzept der „Einen Welt“ stellt sich zunehmend der eurasische Anspruch auf Multipolarität entgegen. Die neue Konfrontation läßt auch den Sport nicht unberührt. Rußland ist der Protagonist in dieser Auseinandersetzung, kann aber in der nicht-westlichen Welt auf eine Menge schweigender Unterstützung bauen.

Letztlich geht es um die Zukunft der Olympiade und ähnlicher Veranstaltungen. Ausschlüsse und Boykotte dienen nur den zentrifugalen Kräften, die überall am Werke sind. Auch in Deutschland glauben manche, man käme nicht nur in der Politik, sondern auch im Sport viel besser ohne Rußland aus. Was die Politik betrifft, gilt das inzwischen auch für die Türkei. Und der Kreis dieser Länder wird wachsen. Wollen wir als Westen auch weiterhin Einfluß auf den Gang der Dinge nehmen, sollten wir Antagonisten wie Rußland nicht vor den Kopf stoßen. Niemand lernt eine Lektion, wenn er zuvor sein Gesicht verloren hat. Erst recht nicht in (Eur)Asien. Das IOC hat mit seiner Entscheidung den erforderlichen Pragmatismus an den Tag gelegt. Die großsprecherische Kritik daran ist so überflüssig wie ein Kropf.

Olympia: professionalisiert, politisiert und kommerzialisiert Foto: picture alliance / abaca
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