Für Julian Assange beginnt das dritte Jahr im Botschaftsasyl. Der Australier sitzt in der ecuadorianischen Botschaft in London fest und muß befürchten, nach Schweden ausgeliefert zu werden. Von Schweden aus könnte er in die USA abgeschoben werden. Dort droht ihm eine Strafe. Welche genau – das weiß niemand.
Denn nirgendwo wurde jemals Anklage wegen irgend etwas gegen ihn erhoben, auch wenn die Medien fälschlicherweise immer wieder behaupten, er sei in Schweden wegen einer Vergewaltigung angeklagt. Das ist er nicht. Er soll lediglich zu dem Vergewaltigungsvorwurf befragt werden, der sich bei näherer Betrachtung als so gut wie unhaltbar darstellt. Dafür ist der Vorwurf aber um so besser geeignet, um Assange als fiesen Sexualstraftäter darzustellen.
Worum geht es wirklich?
Warum verläßt Assange die Botschaft nicht? Er hat mehrfach angeboten, sich der Befragung durch die Schweden in der Botschaft zu unterziehen – abgelehnt. Er hat die Schweden gebeten, zu erklären, daß sie ihn nicht an die USA ausliefern werden – abgelehnt. Er hat die USA aufgefordert, sich zu einer möglichen Anklage vor einem US-Gericht zu äußern – abgelehnt. Das Skandalurteil gegen den Whistleblower Bradley Manning vor Augen (35 Jahre Freiheitsentzug), entschied sich Assange dann für einen Verbleib in der Botschaft.
Worum geht es wirklich? Tatsache ist, daß sich Assange die US-Regierung 2010 mit der Veröffentlichung diverser Geheiminformationen – darunter das schockierende Video eines Hubschrauberangriffs auf Zivilisten im Irak – auf seiner Internetseite wikileaks.org zum Todfeind gemacht hat. Amerikanische Politiker wie Sarah Palin haben gefordert, ihn wie einen Al-Qaida-Terroristen zu verfolgen, was die Todesstrafe einschließen dürfte.
In Wahrheit ist Julian Assange ein Journalist, der über Mißstände aufklärt und Transparenz herstellt, wo Geheimniskrämerei der Regierenden bestehende Machtverhältnisse zementieren soll. Pressefreiheit ist für Leute wie ihn einmal erdacht worden: für Außenseiter, die Unbequemes veröffentlichen. Regierungsnahe Medien wie die New York Times oder der Guardian, die zeitweise mit Assange kooperierten und seine Informationen nahmen, solange er heißes Material liefern konnte, wurden hingegen nie von der US-Regierung ins Visier genommen. Das sagt einiges über die Machtmechanismen in westlichen Ländern aus.
Der Fall Snowden zeigt, daß echte Verfolgte kein Asyl im Westen erhalten
Nun, da das dritte Jahr seines Botschaftsexils beginnt, kommt er sich vielleicht wie József Mindszenty vor, jener ungarische Kardinal, der zeit seines Lebens gegen den kommunistischen Unterdrücker seiner Heimat gekämpft hat. In einem Schauprozeß wurde er 1949 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. 1956 wurde Mindszenty während des Ungarnaufstandes befreit. Als die Rebellion dann aber scheiterte, flüchtete der Primas von Ungarn in die US-Botschaft, aus der es nach dem Einmarsch der Roten Armee kein Entkommen mehr gab.
Auch Assange hatte 2012 nur wenige Optionen. Er hatte die Rechtsmittel ausgeschöpft. Die englische Justiz war fest entschlossen, ihn an Schweden auszuliefern. Er hätte ein anderes Land aufsuchen können, aber welches? Der Fall Snowden hat ein Jahr später gezeigt, daß kein westliches Land bereit ist, westliche Dissidenten aufzunehmen oder als politisch Verfolgte anzuerkennen. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Es gibt Hoffnung. Da ist zum Beispiel einmal der Ukip-Wahlsieg bei der EU-Wahl. Je größer der Einfluß der Eurokritiker auf die britische Politik wird, desto eher wird sich der Griff lockern. Möglicherweise wäre auch eine Ukip-Regierung weiterhin Washington-treu, aber zumindest lehnt die Partei um Nigel Farrage den EU-Haftbefehl, der die juristische Grundlage für das Auslieferungsersuchen der Schweden ist, ab. Auch in englischen und amerikanischen Medien wird regelmäßig die Freilassung Assanges diskutiert.
Am Dienstag veröffentlichte USA Today einen Aufruf von Assanges Anwalt Michael Ratner, der Amnestie und freies Geleit für seinen Mandanten forderte. Auch andere amerikanische Prominente von Ron Paul bis Oliver Stone haben sich dafür ausgesprochen, Assange endlich freizulassen. Auch die Entscheidung eines amerikanischen Berufungsgerichts, daß einer Behörde die Verwendung von Metadaten untersagt hat, läßt aufhorchen: In den USA zeichnet sich eine leichte Abkehr vom NSA-Überwachungsstaat ab. Und damit vielleicht auch ein Ende der Verfolgung von Whistleblowern und Publizisten wie Assange.
Hohe Kosten für den Steuerzahler
Der Schlüssel liegt in diesem Moment in England. Vor einem Jahr gab es schon einmal einen Annäherungsversuch. Ecuadors Außenminister Ricardo Patino war in London, um in einer Arbeitsgruppe mit seinem britischen Amtskollegen William Hague verschiedene Fragen zu klären, darunter den Fall Assange. Doch dann, das berichtete Assange jetzt, habe Rußland Edward Snowden Asyl gewährt, woraufhin die Briten die Verhandlungen mit den Ecuadorianern abgesagt hätten.
Auch die Kosten für die britischen Steuerzahler sprechen dagegen, daß das Vereinigte Königreich seinen Druck fortwährend aufrechterhält. Die Webseite govwaste.co.uk beziffert sie auf über 6,3 Millionen Pfund Sterling. Damit hätten 25.000 Krankenhausbetten für einen Tag finanziert werden können. Die britische Polizei bewacht die Botschaft seit zwei Jahren rund um die Uhr mit einem Großaufgebot. Assanges Vertraute Stefania Maurizi berichtet, sie habe vor wenigen Tagen „zwei Scotland Yard Vans, drei zivile Polizeivans, zwei weitere Zivilstreifen und vier Scotland Yard Agenten“ vor der Tür gesichtet. Besucher von Assange klagen nach seiner Auskunft darüber, daß sie aggressiv befragt und ihre Personalien festgestellt werden.
Wenn es keine Lösung gibt, könnte Assange noch eine Weile in seinem Exil bleiben. Er schreibt dort Bücher und hat es sogar geschafft, aus seinem Gefängnis heraus Edward Snowden bei seiner Flucht vor den US-Geheimdiensten zu unterstützen. Es wird berichtet, daß er momentan seine Zeit damit verbringt, die Fußballweltmeisterschaftsspiele zu schauen. (Er unterstützt Ecuador.) Möglicherweise wird dies nicht das letzte große Turnier sein, das er in der Botschaft verfolgt. Kardinal Mindszenty kam erst in der Phase der Entspannungspolitik 1971 frei. Nach 15 Jahren.