KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Organklage der AfD-Bundestagsfraktion gegen mehrere nächtliche Gesetzesbeschlüsse abgewiesen. Die Karlsruher Richter erklärten sämtliche Anträge für unzulässig. Die AfD hatte beanstandet, der Bundestag habe in zwei Sitzungen Gesetze beschlossen, obwohl offenkundig zu wenige Abgeordnete anwesend gewesen seien. In beiden Fällen sei trotz ordnungsgemäßer Rüge kein Hammelsprung zur Stimmenzählung durchgeführt worden.
Die Fraktion warf den damaligen Bundestagsvizepräsidenten Claudia Roth (Grüne) und Hans-Peter Friedrich (CSU) vor, Zweifel an der Beschlußfähigkeit in der 107. und 124. Sitzung des 19. Bundestages ignoriert zu haben. Statt eine Zählung durchzuführen, hätten sie jeweils erklärt, der Sitzungsvorstand sei sich einig, daß die Beschlußfähigkeit vorliege. So waren in der Nacht auf den 28. Juni 2019 unter anderem das Zweite Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU, ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/680 im Strafverfahren sowie eine Änderung des Energiedienstleistungsgesetzes beschlossen worden.
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Regelverstöße beim Hammelsprung?
Nach Paragraph 45 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist das Parlament beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Wird das bezweifelt – durch eine Fraktion oder fünf Prozent der Anwesenden –, muß der Präsident entweder einstimmig die Beschlußfähigkeit feststellen oder eine Auszählung veranlassen. Diese erfolgt durch den sogenannten Hammelsprung: Die Abgeordneten verlassen den Saal und betreten ihn durch getrennte Türen je nach Abstimmungsverhalten – dabei werden sie gezählt.
Im zweiten Fall, in der Nacht auf den 8. November 2019, hatte die AfD erneut die Beschlußfähigkeit bezweifelt. Friedrich erklärte, es sehe „ganz gut aus“ und das Präsidium sei überzeugt, das Quorum sei erfüllt. Die AfD beantragte daraufhin eine namentliche Abstimmung – das Ergebnis: nur 133 abgegebene Stimmen. Die Sitzung wurde daraufhin beendet.
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Die Fraktion vermutete hinter dem wiederholten Vorgehen eine „Unrechtsvereinbarung“ im Bundestagspräsidium. Es habe eine geheime Absprache gegeben, Zweifel der AfD-Fraktion stets ins Leere laufen zu lassen – unabhängig vom tatsächlichen Anwesenheitsstand. Die Klage richtete sich deshalb nicht nur gegen den Bundestag, sondern auch gegen Roth, Friedrich und das gesamte Präsidium.
Bundesverfassungsgericht rügt Fristverstöße der AfD
Doch der Zweite Senat ließ keines der Argumente gelten. Die Klage zur Juni-Sitzung sei zu spät, die zum November unzureichend begründet. Die AfD habe weder eine konkrete Rechtsverletzung dargelegt, noch plausibel gemacht, warum ihre Anträge sich gegen die Personen richteten. Für sitzungsleitende Maßnahmen sei allein der Bundestagspräsident zuständig – auch wenn ein Stellvertreter die Sitzung führt.
Auch die behauptete Absprache im Präsidium sah Karlsruhe nicht als tauglichen Streitgegenstand. Politische Absprachen gehörten zum parlamentarischen Betrieb und seien rechtlich nicht angreifbar – jedenfalls solange sie nicht zu konkret rechtswidrigem Handeln führten. Die Gesetze bleiben somit in Kraft. Auch einen Anspruch auf Erstattung der Verfahrenskosten sprach das Gericht der AfD nicht zu. (sv)