Es gehe „um unser Verhältnis zu einer ganzen Generation unseres Volkes“, sagte der Redner in einer sehr emotional geführten Debatte des Bundestags. Wer versuche „die gesamte Kriegsgeneration pauschal als Angehörige und Helfershelfer einer Verbrecherbande abzustempeln, der will Deutschland ins Mark treffen. Dagegen wehren wir uns.“ Der frühere Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Alfred Dregger sprach so, lautstark unterbrochen von Mitgliedern der Grünen, als das Parlament über die seinerzeit heftig umstrittene „Wehrmachtsausstellung“ stritt.
Unmittelbar hinter Dregger im Bonner Plenum saß an diesem Tag im März 1997 eine großgewachsene blonde Abgeordnete; wie er zählte sie zum konservativen Flügel der Christdemokraten, der ihren hessischen Landesverband lange dominiert hatte, dessen Einfluß auf die gesamte Partei jedoch längst zurückgedrängt worden war. Der Name der Politikerin: Erika Steinbach, direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Frankfurt am Main III. Wie ihr Kollege Dregger hatte sie sich als Gegnerin der als zu einseitig und plakativ kritisierten Ausstellung profiliert.
Fast genau zwanzig Jahre nach dieser Episode, im Januar 2017, erklärte Steinbach ihren Austritt aus der CDU, der sie 40 Jahre angehört hatte und in der sie sich fast ebenso lange von der Kommunal- bis zur Bundespolitik engagiert hatte. Ihre Austrittserklärung verband sie mit einer scharfen Abrechnung mit der Politik Angela Merkels und dem Vorwurf des mehrfachen Rechtsbruchs durch die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Asylkrise nach 2015. Fortan gehörte Steinbach bis zum Ende der Legislaturperiode im selben Jahr dem Bundestag als Fraktionslose an, ostentativ verbannt in den hinteren Teil des Plenarsaals mit einem Stuhl ohne Tisch.
Steinbach profilierte sich als Konservative
Parlamentarische Premiere für die 1943 im westpreußischen Rahmel als Tochter eines Luftwaffen-Feldwebels geborene Diplom-Verwaltungswirtin und studierte Violinistin war die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl 1990. Da holte sie mit 42,9 Prozent der Erststimmen das Direktmandat – vor dem (damaligen) SPD-Linksaußen Diether Dehm.
Zuvor hatte Steinbach seit 1977 der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt angehört. Zur CDU habe sie ihre Ablehnung der gewalttätig auftretenden autonomen Szene in Frankfurt und das dezidiert konservative Profil der Partei unter Landeschef Dregger geführt, schilderte sie später einmal gegenüber der FAZ.
Im Bundestag macht sich Steinbach einen Namen als Innen- und Menschenrechtspolitikerin, zugleich wird sie bald als neue „konservative Galionsfigur“ wahrgenommen. Nicht immer zur Freude ihres Frankfurter Kreisverbandes, in dem ihre innerparteilichen Gegner sie beispielsweise zwingen, eine geplante Protestveranstaltung gegen eben jene „Wehrmachtsausstellung“ abzusagen.
Und 1991 gehörte Steinbach zu den 13 Abgeordneten, die gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze stimmten. Sie begründete dies damit, daß diese Festlegung der Grenze nur als Teil einer Gesamtregelung aller offenen Fragen – insbesondere mit Blick auf die Anliegen der Vertriebenen (Entschädigungsregelungen, Rückkehrrechte, Vermögensrückgaben) – hätte vorgenommen werden können.
Steinbachs Verdienste um Erinnerungskultur
Ungleich prominenter wird die mit dem 2019 verstorbenen Dirigenten Helmut Steinbach verheiratete Bundestagsabgeordnete, als sie 1998 an die Spitze des Bundes der Vertriebenen (BdV) rückte. Zunächst machte sich die neue Präsidentin hier einen Namen (und intern nicht nur Freunde), indem sie für den Verband eine strikten Abgrenzungskurs nach rechts durchsetzte. Daß sie später die Interessen der Vertriebenen auch im Zusammenhang der EU-Osterweiterung deutlich zur Sprache brachte, trug ihr den Respekt der Betroffenen ein und machte sie zur Zielscheibe von teilweise maßloser Polemik in Ländern wie Polen oder der Tschechischen Republik – und seitens linker deutscher Medien.
Eines ihrer größten Verdienste Steinbachs ist zweifellos ihr Engagement für eine sichtbarere Erinnerungskultur für die Vertriebenen – jenseits ihrer eigenen Verbände und Heimatstuben. Ein erster Schritt dahin war die Gründung des „Zentrums gegen Vertreibungen“. Geschickt hatte die BdV-Präsidentin dafür namhafte Mitstreiter mobilisiert, gegen die schwerlich die „Ewiggestrigen-Keule“ geschwungen werden konnte: allen voran den SPD-Politiker Peter Glotz, den Holocaust-Überlebenden und Publizisten Ralph Giordano und den Grünen-Politiker und früheren tschechischen Bürgerrechtler Milan Horáček.
Daß im Zuge der Etablierung einer staatlichen Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ manches wieder aufgeweicht wurde, gehört zum vielleicht Unabwendbaren. Und während Erika Steinbach über Jahre mit viel diplomatischem Gespür immer wieder auch bei Angela Merkel für die Sache der Vertriebenen (und Spätaussiedler) geworben hatte, zeigte die Kanzlerin nach 2009 der Parteifreundin deutlich, wo die Grenzen von Loyalität lagen: Da knickte Merkel vor ihrem damaligen Koalitionspartner FDP ein und ließ Steinbach fallen, die – völlig selbstverständlich – als BdV-Chefin einen Beiratssitz in der Bundesstiftung beanspruchte. Doch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wollte das mit Rücksicht auf polnische Befindlichkeiten unbedingt verhindern – und setzte sich durch.
Parteipolitische Abstinenz ist seit AfD-Beitritt wieder vorbei
Ein nachhaltiger Erfolg bleibt: Steinbach hatte mit durchgesetzt, daß die Große Koalition ähnlich wie Ungarn und Rumänien einen seit 2015 jährlich am 20. Juni begangenen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung einführte.
Vom Ruhestand ist Erika Steinbach auch nach Ende ihrer Amtszeit an der Spitze des BdV 2014 und ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik 2017 weit entfernt. Als Vorsitzende der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) sieht sie es als ihre Aufgabe, die Bestrebungen zugunsten einer Professionalisierung der AfD zu unterstützen. Zuvörderst muß sie dabei juristisch die (nicht nur) finanzielle Gleichbehandlung der DES erstreiten, die eine Mehrheit im Bundestag trotz eines erhobenen Zeigefingers aus Karlsruhe nach wie vor verweigert.
Ihre parteipolitische Abstinenz, die sich die erfahrene Politikerin nach ihrem Austritt aus der CDU selbst verordnet hatte, beendete Steinbach im Januar 2022: Da trat sie der AfD bei – und nannte als Anlaß dafür die Art und Weise, wie der bisherige Bundesvorsitzende Jörg Meuthen die Partei verlassen hatte.
Die leidenschaftliche Hobby-Gärtnerin und Liebhaberin klassischer Musik begeht an diesem Dienstag ihren 80. Geburtstag.